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Ausgabe:

1967

Spalte:

628-629

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Frau in Kirche und Gesellschaft 1967

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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627

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8

628

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Krause, Reinhard: Die Predigt der späten deutschen Aufklärung
(1770-1805). Stuttgart: Calwer-Verlag [1965]. 154S.
gr. 8° = Arbeiten zur Theologie, hrsg. v. Th. Schlatter, A. Jepsen
u. O. Michel, II, 5. Lw. DM 18.-.

In Übereinstimmung mit der durchschnittlichen Interessenslage
in der heutigen Homiletik haben wir ein Werk vor uns, das vom
hermeneutischen Ansatz her mehr den Gehalt als die Gestalt der
Aufklärungspredigt untersucht. Nach knappen Hinweisen auf den
historischen Wandel (10-17), der es bewirkte, dafj eine eigene
Predigtweise in der Aufklärung entstehen konnte, wird J. J. Spal-
ding als Bahnbrecher der Aufklärungspredigt vorgestellt und
Herders Kritik an seinen homiletischen Theorien vorgebracht
(18-34). J. S. Semler hat für die Aufklärungspredigt den »hermeneutischen
Schlüssel" geliefert: »In der Darstellung des Wesens
biblisch-christlicher Lehre als einer Summe von allgemeinen sittlich
-religiösen Wahrheiten stellt man aber ein gegenüber dem
Bibeltext relativ unabhängiges Kriterium auf" (37). Nun setzt sich
„die neue hermeneutische Denkweise mit ihrem undogmatischen,
praktisch-sittlichen Charakter allgemein durch ..." (38). Ausführlich
wird dann deutlich gemacht, wie sich von daher die
Stellung der christlichen Lehre im aufgeklärten Predigtwesen
wandelt (52-87). Die einzelnen Lehrstücke werden hörer- und
zeitnahe interpretiert, wobei die offizielle Bindung an einen
Predigttext im allgemeinen nicht aufgegeben wird. Am ausführlichsten
wird die »praktische, soziale und weltoffene Zielsetzung
als Schlüssel zum Verständnis der Aufklärungspredigt" (88-141)
dargestellt. Das Leben in Haus, Ehe, Familie, Beruf, Natur, Geschichte
, Politik, Ökonomie wird in hausbackener Konkretheit angesprochen
. Die Predigt nimmt ihre Weltverantwortlichkeit wahr.

Schon diese letzten Hinweise erhellen, daß die Homiletik der
Aufklärung „das Problem der modernen Predigt zum ersten Male
klar erkannt" hat (8). Der Verf. schließt sich hierin dem Urteil
von A. Niebergall an: Der durchgehende hermeneutische Grundansatz
der Aufklärung hat positiv dazu beigetragen, daß „eine
ganzheitliche Verwirklichung unseres Christseins in Kirche und
Welt" in Angriff genommen wurde, außerdem das „ehrliche
Suchen nach einer neuen, modernen Ausdrucksweise und Übersetzung
traditioneller Begriffe in die Sprech- und Denkweise der
Neuzeit" (143). Daß die Aufklärungspredigt schließlich „in eine
bedenkliche Welthörigkeit abgleiten" mußte, indem sie sich dem
Nützlichkeitsinteresse und der Akkomodation verschrieb, lag
daran, daß ihre Verankerung in Bibel und reformatorischem
Evangelium zu schwach und schließlich gar nicht mehr vorhanden
war (144).

Wer es noch nicht wußte, weiß es nach der Lektüre dieses
Buches: Die Aufklärungspredigt birgt mehr Probleme „als nur
ein Paar skurrile Überschriften von besonders anstößigen Produkten
des Rationalismus vulgaris" (7). Es wird diese Behauptung
auch dadurch unterstützt, daß viele neue Quellen jener predigtfreudigen
Generation zu Worte kommen. Ihre Interpretation und
Zusammenstellung wirken nicht nur historisch belehrend, sondern
springen auch bis in viele Einzelheiten hinein ohne Umschweife in
die heutige hermeneutische und homiletische Debatte über. Es
wird deutlich, daß diese nicht erst seit kurzer Zeit geführt wird.

Für die Darstellung einer Periode der Geschichte und ihrer
Predigtprobleme bedeutet es gewiß immer eine Schwierigkeit, bei
der Herausarbeitung ihrer treibenden Motive nicht zu verallgemeinernd
zu verfahren. Wohl wird häufig betont, daß in der
„späten Aufklärung" eine Entwicklung von stärkerer evangelischer
Bindung zu einer immer mehr .untheologischen und säkularisierten
Predigtweise" stattgefunden habe; aber nicht immer ist
diese Bewegung spannungsvoll genug vorgeführt worden. Die
»Lehre von Christus" läßt sich nicht ohne weiteres nur »als ein
Sonderfall der Anthropologie einordnen" (77). Z. B. waren Männer
wie Spalding, W. A. Teller und auch J. L. Ewald wesentlich stärker
im evangelischen Bekenntnis verankert, als es herausgestellt wird.
Verf. übersieht, daß Spalding auch um Christi Erlösungstat in
Vergebung und Rechtfertigung weiß (Über die Nutzbarkeit des
Predigtamtes und deren Beförderung 1772, S. 144 ff. und 170 ff.).

Dieser wendet sich nur in antiorthodoxer Frontstellung gegen eine
falsch dogmatisierende Predigtweise, die unverbindlich und unverständlich
bleibt. In der Sache legt er darüber hinaus auf eine
besser mit »Semipelagianismus" (so E. Hirsch) zu bezeichnende
Betonung der Früchte des Glaubens Wert (Spalding, 115 und 227).
- Daß auch bei Teller die Christologie eine mehr als nur moralische
Bedeutung (so S. 47) gewinnt, stellt schon E. Hirsch fest (Geschichte
der neueren evangelischen Theologie, Bd. IV, 1 S. 96 ff.). Auch
bei J. L. Ewald finden sich Angaben über eine soteriologische Bedeutung
der Christologie (z. B. Über Predigerbeschäftigung und
Predigerbetragen, Lemgo 1789 H. 6, S. 7 ff. und 15). Damit verbindet
sich auch ein Wissen um die Sündenverfallenheit des
Menschen. Die Äußerungen zur Anthropologie sind in der Aufklärung
nicht nur optimistisch gehalten. Von daher ist das sich
oft wiederholende Urteil, die Aufklärungspredigt sei anthropozentrisch
(S. 22, 24, 32, 33, 34, 54, 61) und optimistisch (S. 69, 144)
ausgerichtet, zu einseitig. Es entsteht der Eindruck, daß Verf. hier
und da mehr aus der kritischen Sicht heutiger reformatorischer
Theologie urteilt als in dem damaligen gegebenen »Gegensatz zur
orthodoxen Predigtweise" (17).

Einige kleinere Anfragen: Daß J. G. Marezolls hermeneutische
Lehrsätze einer Unterscheidung von Buchstabe und Geist „wohl
mit zum Revolutionärsten gehören, was je zum hermeneutischen
Problem gesagt worden ist" (S. 40), dürfte wohl zu superlativisch
ausgedrückt sein. - Die sehr allgemeinen vergleichenden Hinweise
auf Hellenismus (69), Pietismus (89) und Spätjudentum (80)
dürften so nicht ohne weiteres zutreffen. - Daß sich die Aufklärungspredigt
„ausschließlich auf Verstand und Willen" richtet
(144), ist nach den Angaben auf S. 28 und 120 so nicht haltbar. -
Der Begriff des Moralischen wird hier und da zu schnell auf den
innerweltlichen und sittlichen Bereich eingeengt gesehen. Spalding
definiert, eine „moralische Gemütsverfassung" des Menschen sei
eine „herzliche Einwilligung in eine jede Wahrheit, die ihn angehet
" (a. a. O., S. 215) und rechnet dazu nicht zuerst den Bereich
von Pflicht und Gesetz, nicht nur weltliche Moral und Sitte, sondern
auch das Verlassen auf Trost, Hoffnung, Freude, Beruhigung,
Sicherheit (216 f.), auch Gottesdienst, Andacht, Frömmigkeit (242).

Einige Wünsche seien über den Inhalt der Arbeit hinaus vermerkt
, die in der Darbietung des Stoffes bereits genug Gutes zu
bieten weiß: Die auf S. 15 gestreiften Probleme der formalen
Homiletik in der Aufklärung bedürfen noch einer gründlicheren
Untersuchung; ebenso die auf S. 141 und 146 berührte Frage nach
dem Echo der Aufklärungspedigt in den Gemeinden.

Die Anmerkungen und Ergänzungswünsche wollen die Lektüre
des Buches nicht hindern; im Gegenteil: Keine Geschichte der
Predigt wird diesen wichtigen Beitrag übersehen dürfen.

Rüdersdorf b. Berlin Friedrich Winter

Die Frau in Kirche und Gesellschaft. Berlin-Hamburg: Lutherisches
Verlagshaus 1965. 121 S. 8° = Missionierende Gemeinde.
Im Auftr. d. Ausschusses d. Vereinigten ev.-luth. Kirche
Deutschlands f. Fragen d. gemeindlichen Lebens hrsg. v.
E. Baden, G. Knospe, H. Schmidt, H. Schnell u. W. Wilken,
13. Kart. DM 6.40.

Unter dem Thema dieses Heftes stand die Arbeit der General-
syncde der VELKD auf ihren regionalen Tagungen in Berlin-
Weißensee und in Kiel (April und Mai 1965). Die vorliegende
Veröffentlichung bietet zunächst die vorbereitende Studie des
Gemeindeausschusses, sodann, gemäß dem Willen der Synode,
nicht nur deren Entschließungen, sondern auch die Referate, die
im Rahmen der Tagungen gehalten worden sind. Theologische
Grundsatzfragen werden dabei von Hermann Klemm und Wolfgang
Trillhaas, die soziologischen Probleme von Christa
Drummer und Lieselotte Nold erörtert. Eva-Dorothee
Denneberg spricht über „Die Frau in der Kirche", Hans-
Georg Jaedicke über „Die alternde Frau". - Synodale Arbeit
fruchtet nur dann, wenn das an zentraler Stelle Erarbeitete in
den Gemeinden vernehmbar gemacht und weiterbedacht wird.
Dazu soll die Veröffentlichung dienen.