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Ausgabe:

1967

Spalte:

625-626

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Loretz, Oswald

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit der Bibel 1967

Rezensent:

Wiesner, Werner

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Seite 1

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625

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8

Besinnung nicht von der historischen abzulösen, sondern beides
ständig miteinander zu vollziehen.

Rendtorff verdeckt sich das Bedrängende jener Einsicht im
Hinblick auf die Theologie leider weithin dadurch, daß er das
spannungsreiche Mit- und Widereinander von Christusimpuls
und modernem geschichtlichen Weltbewußtsein formalisiert.
Hierdurch können die Gröfjen, welche in ein Verhältnis gesetzt
■werden sollen, wie Kirche, Christentum und technisch-wissenschaftliche
Welt, kein klares Profil gewinnen. Sie werden als
ein Gegebenes vorausgesetzt und nicht in ihrer inneren Spannung
durchleuchtet. Indem Rendtorff einsetzt bei Semler und
die frühe dialektische Theologie nur von ihrer negativen kulturkritischen
Seite her angeht, fixiert er sich selber - bewußt
oder unbewußt? - hinein in das scheinbar vorgegebene Spiel
jener innerweltlich gedeuteten Kräfte. So kann zwangsläufig
nur dasjenige klar in den Blick kommen, was die Reformatoren
unter dem Stichwort weltliches Regiment Gottes faßten, und
selbst dieses nur ohne seinen eschatologischen Kampfhorizont.
t>er eigentliche Auftrag der Kirche, vor das Angesicht des Wiederkommenden
zu rufen, in seinem Namen Schuld zu vergeben.
Gewissen zu trösten und sein heiliges Gottesrecht über uns
Menschen zu proklamieren, versinkt im Nichtbedachten. Aus
der Forum-Struktur unseres Menschseins mit ihren coram-Re-
lationen, welche G. Ebeling in seiner Lutherdeutung vorbildlich
herausgearbeitet hat, erscheint nur noch das „coram mundo'
bzw. coram meipso" und „coram hominibus", das „coram Deo"
wie gar ein Ringen wider die dunklen Chaosmächte versinkt
jenseits des Horizontes.

Eine derartige Formalisierung muß die zentralen Fragen
gerade auch hinsichtlich des geistlichen Ortes der Kirche im
Gesamt der theologischen Besinnung aus dem Blick rücken. Es
wäre vielleicht hilfreich, wenn wir uns hier zunächst durch die
analogen Besinnungen helfen ließen, welche in den Geisteswissenschaften
gegen diesen Trend in der Philosophie, Pädagogik,
Literaturwissenschaft uam. in den Jahren zwischen den beiden
V/eltkriegen gewonnen wurden. Darüber hinaus bleibt die von
Kierkegaard so schonungslos formulierte Frage: Was heißt es,
Dozent oder Professor zu sein darin, daß jemand gekreuzigt
wurde? Diese Frage steht ja hinter Barths Blick fort von der
Wissenschaft hin auf die Verkündigung. Dieser Stachel sollte
bleiben.

Heideiberg Albrecht Peters

Loretz, Oswald: Die Wahrheit der Bibel. Freiburg-Basel-
Wien: Herder [1964]. 140 S. 8°. Kart. DM 16.80.

Die Frage nach der Wahrheit der Bibel ist für evangelisches
Verständnis die Grundfrage des Glaubens und der Kirche, mit
deren Beantwortung beide stehen oder fallen. Kein Wunder,
daß sich die heutige evangelische Theologie in ihren verschiedenen
Richtungen von dieser grundlegenden Frage bewegen
läßt, in welchem Sinne und Umfang dem biblischen Zeugnis
des AT und NT trotz seines restlos menschlich-geschichtlichen
Charakters göttliche Wahrheit zukommt. Für die katholische
Theologie besteht diese Frage in ihrer fundamentalen Bedeutung
so nicht, da für sie die Wahrheitsfrage durch das unfehlbare
Lehramt der Kirche beantwortet ist, das die Wahrheit der
Bibel, sowohl nach ihrer Begründung wie ihrer Auslegung praktisch
garantiert, auch wenn die kirchliche Lehre selbst (Trid.
Sess. IV) den biblischen Kanon neben den „ungeschriebenen Traditionen
" als Offenbarungsquelle sich überordnet. Daß in den
biblischen Schriften Gottes Wahrheit enthalten ist, hat die
Kirche entschieden, und was in der Bibel die Wahrheit ist,
entscheidet sie allein durch ihr Auslegungsmonopol.

Gegenüber dieser offiziellen katholischen Lehre bedeutet es
ein Neues, Überraschendes, wenn ein katholischer Theologe in
dem zu besprechenden Buche nach dem Beispiel protestantischer
Theologie, auch unter Absehung von der im Tridentinum und
Vatikanum I vertretenen formalen Inspirationslehre, nach der

Bestimmung und Begründung der biblischen Wahrheit in ihr
selbst fragt. Dabei ist er sich über die Problematik klar, die
in der Behauptung der Wahrheit der Bibel angesichts ihres
durchgehend menschlich-geschichtlichen Charakters bzw. in dem
kirchlichen Satz von der „Irrtumslosigkeit der Schrift" liegt. »Es
ist... unvollziehbar geworden, Schrift und Offenbarung in dem
Sinne in eins zu setzen, daß erstere in allen ihren Aussagen
direkt mit der Wahrheit Gottes selbst identifiziert wird" (S. 19),
Es muß vielmehr gefragt werden, „wie und wo? in der
Schrift göttliche Wahrheit vorliege" (S. 23). Ehe er selbst eine
Antwort auf diese Frage entwickelt, setzt er sich mit der These
W. Pannenbergs und seiner Freunde kritisch auseinander, daß
nicht das Wort, auch nicht das biblische, sondern allein die
Geschichte in ihrer reinen Faktizität, von der die Bibel
berichtet, die Offenbarung sei. Er sieht darin einen „nachhinkenden
Historizismus" (S. 43). Es fragt sich allerdings, ob der
Verf. von der Auffassung Pannenbergs so weit entfernt ist,
wenn er die Geschichte als Offenbarung nur durch das biblische
Wort, auch bloß in seiner historischen Faktizität, ergänzt sein
lassen will. „Es gilt die historischen Gründe sichtbar zu machen,
die verstehen lassen, warum in der Schrift von Gottes Tun und
Gottes Wort die Rede ist, wenn sie von der Offenbarung Gottes
spricht" (S. 51). Hier tritt eine entscheidende Verschiebung der
Fragestellung ein. Die ursprüngliche Frage war doch, ob und in
welchem Sinne die Rede der Schrift von Gottes Tun und Wort
Wahrheit für uns ist! Diese Frage läßt sich aber nicht historisch
beantworten. Denn von göttlichem Tun und Reden zeugen
auch andere religionsgeschichtliche Dokumente, die man wohl
in ihrem Ursprung historisch erklären, deren Wahrheitsanspruch
sich ebensowenig historisch begründen läßt wie der der Bibel.
„Das grundlegende Ereignis in dieser Hinsicht..." ist für den
Verf. „der Bundesschluß Gottes mit Israel". Darauf baut der
Verf. nach alter biblizistisch-eklektischer Methode eine Föderaltheologie
auf, in der sich Wort und Ereignis nach dem Schema
Verheißung und Erfüllung entsprechen. Nun ist der Bundesschluß
Gottes mit Israel gar kein „historisches Ereignis", sondern eine
theologische Deutung eines Ereignisses, die reines Glaubensurteil
ist und die Wahrheit des biblischen Glaubenszeugnisses,
nach der doch erst gefragt wurde, bereits voraussetzt. Das
Ganze läuft auf einen circulus vitiosus hinaus. Aber auch
historisch ist die Methode des Verf. nicht durchführbar.
Weder das AT noch das NT haben eine einheitliche Bundestheologie
. Paulus kann 2. Kor. 3, 6 ff. Mosebund und Neuen Bund
inhaltlich in einen kontradiktorischen Gegensatz setzen (vgl.
Gal. 4, 24ff.). Die johanneischen Schriften kennen den Bundesgedanken
überhaupt nicht. Wenn man von der Person Jesu
Christi absieht, hat die Bibel überhaupt keine inhaltliche Einheit,
die man als ihre „Wahrheit" proklamieren könnte. Die Wahrheitsfrage
in der Bibel kann nur in der Korrelation von Christusbotschaft
und im Geisteszeugnis begründeten Glauben dogmatisch
beantwortet werden, nicht in einem historischen Objektivismus
, dessen subjektivistische Kehrseite die willkürliche Auswahl
und Harmonisierung biblischer Inhalte ist. Ferner wirkt es
einigermaßen künstlich, wenn der katholische Theologe dem
Dogma entsprechend die „Irrtumslosigkeit" der Schrift „ohne
Einschränkung" (S. 78) vertritt, weil sie von der immerwährenden
Treue Gottes in den berichteten geschichtlichen Ereignissen
Kunde gibt, aber dann doch die Einschränkung macht: sie
müsse nicht „in jedem kleinsten Detail ein exakter, irrtumsfreier
Tatsachenbericht sein" (ebda). Wo liegt die Grenze zwischen irrtumsfreier
Darstellung der Ereignisse und den „Details"? Ebenso
problematisch ist es, wenn der Verf. die Wahrheit der Bibel in
der Treue Gottes Israel gegenüber begründet sieht und dies
wieder durch die historische Tatsache, daß Israel nicht vernichtet
ist (S. 79). Als ob wir die Geschichtszukunft voraus wüßten!
Ein solcher Geschichtspositivismus hilft uns in der Theologie
nicht weiter. Daß der Verf. sich aber die Frage nach der Wahrheit
der Bibel abgesehen von ihrer kirchlichen Legitimierung
gestellt hat, ist ein begrüßenswertes Zeichen der Annäherung
zwischen katholischer und evangelischer Theologie.

Mainz Werner W i e s n e r