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1967

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1

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licht wurde. — Gegenüber der 1. Aufl. ist der Ausdrude, der seinerzeit
so viel Anstoß erregte, gelegentlich geglättet worden. Die
lateinischen Belege sind jetzt übersetzt, erscheinen aber im Urtext
als Anhang.

Das Buch wollte im pelagianischen Streit das „existentiale
Grundphänomen" sichtbar machen, das umkämpft wurde und das
auch uns in gewisser Weise zugänglich sein muß, so daß wir das
damals Gesagte am Grundphänomen selber messen können:
Freiheit. J. stellt einleitend stoisches Freiheitsideal und christliches
Freiheitsverständnis gegenüber, um dann die christl. Fragestellung
in ihrer augustinischen Fassung zu untersuchen. Dabei
orientiert sich die Untersuchung vor allem an Rm 7, um in der
Differenz der augustinischen Auslegung vor und während des pel.
Streites den Ansatz zu einer das Phänomen suchenden Kritik der
augustinischen Begrifflichkeit zu erarbeiten. Ein Anhang „Zur her-
meneutischen Struktur des Dogmas" verrät die theologische Voraussetzung
dieser philosophischen Studie, obwohl nur die hermen-
eutische Voraussetzung bekanntgegeben werden soll.

Die knappe Analyse des Freiheitsproblems in der Stoa ist für
sich ein kleines Meisterstück. Freiheit erscheint hier als Kongruenz
der Autarkie in äußerer Situation und in innerer
Haltung, und zwar so, daß das Ich im reinen Sich-Beschrän-
ken auf sich selbst seiner selbst absolut sicher und in solcher Sicherheit
frei zu sein vermag. Während also in der Stoa die Freiheit
in einer Gegenbewegung gegen die das Ich gefährdende Welt gewonnen
wird, erscheint im Christentum „die Angst des Alleinseins
vor Gott" als die Dimension, in der Freiheit gewonnen werden
kann; denn dem Christen ist G o 11 „das eigentlich Gefährdende
des Daseins schlechthin", insofern er den Menschen „in die Hilflosigkeit
eines weltentblößten Selbstsein-Müssens verweist" (29).
Der Leser wird sich darüber klar sein müssen, daß mit dieser Behauptung
zugleich über das ganze Unternehmen und dessen theologische
Relevanz entschieden wird. Hier also stellt sich bereits
die Wahrheitsfrage. M. E. wird man J. deshalb gerade diese Prämisse
entschieden bestreiten müssen, wenn man das christliche
Freiheitsverständnis nicht dem hermeneutischen Horizont eines
Gesetzes überantworten will, das zwar des Menschen „Geschöpf-
lichkeit in dem, was nach ihrer äußersten Möglichkeit in ihr ist,
offenbar werden" (3 3) und sein Scheitern gewiß werden läßt, das
aber dem Evangelium von vornherein jede ontolo-
gisch konstitutive Bedeutung raubt. Und das nicht einmal
, indem das Gesetz mit dem Evangelium streitet, sondern
indem es an ihm vorbei Gnade postuliert: so daß
der auf sich selbst gestellte, aber eben so vor Gott
gestellte Wille eine Paradoxie zu vollziehen hat, „deren Durchvollziehung
. . . den Menschen reif (!) machen soll für die Annahme
der Gnade" (34). Wenn aber so aus der Insuffizienz des Willens
gegenüber der Forderung Gottes „die Notwendigkeit der
Gnade" resultieren soll, dann kann die Behauptung, diese Gnade
sei dem Menschen „durch den Erlösertod Christi in einem bestimmten
Sinne verfügbar geworden" (ebd.'), nur als ein Mytho-
logumenon verstanden werden, das den Tod Jesu als Erlösertod
postuliert. Kann also GNADE im Horizont des
Gesetzes als Gnade gedacht werden? Was sagt Rm 6, 14?

Die Ausführungen über die hermeneutische Struktur des
Dogmas verschärfen die Nötigung zur Entscheidung gegenüber
dem Ansatz, der in dieser Studie exzellent und verlockend konsequent
durchgehalten wird. Die im pelagianischen Streit „zum
Austrag stehenden Existenzialphänomene" sind vertreten durch
„theoretische Gebilde", die sich als Dogmen in Satzwahrheiten
formulieren (80). Dogmen sind also „undialektische Objekt-
Sätze" von der „rationalen Struktur des apophantischen (.theoretischen
') Subjekt-Prädikat-Satzes", in denen ursprünglich „innerexistentielle
Phänomene", vergegenständlicht werden (80f.). D. h.
positiv, daß selbst in den „entlegensten und metaphysischsten
dogmatischen Hypostasierungen" (80) Grunderlebnisse und
Grundmotive menschlicher Erfahrung symbolisch vertreten werden
, weil das von sich selbst bedrängte Dasein sich selbst auslegen
will. Warum aber will die „Vergegenständlichung
der in die Sprache drängenden Daseinsphänomene" (81)
sich gerade als theologische vollziehen und also im Dogma
zur Ruhe kommen? Was nötigt zur Übersetzung dialektischer

Existenzphänomene in die Dimension der Eindeutigkeit
(cf. S. 82), die durch die Vergegenständlichung und deren Analogie
zum Ding gewonnen wird? Eine unausweichliche „Fundamentalstruktur
des Geistes als solchen" (82)? Sicher auch. Dogmen
fallen ja nicht vom Himmel. Aber ist damit das Selbstverständnis
des Dogmas getroffen? Ist der (gar nicht zu bestreitende) „Bereich
ontologischer Abkünftigkeit" (89) nicht insofern ein
höchst angemessener, als die sich hier enthüllende „Phänomen-
Ferne" (89) ein Hinweis zu sein vermag auf die fundamentalonto-
logisch völlig entzogene Nähe eines ganz anderen „Phänomens",
das theologisch allererst zwischen Nähe und Ferne zu unterscheiden
gewährt? Und lehrt? Auf daß dann im theologischen
Begriff gnädigen Seins aus Gott (bzw. in Christus)
des Menschen Selbsterfahrung vor Gott neu begriffen wird!

Der späte Jonas wird, wie die Einleitung von J. M. Robinson
schön zeigt, solchen Fragen an seine Frühschrift offen sein (cf.
Ev. Theol. 24, 1964, 641 f.). Der Leser, der sich solche Fragen
stellt, wird so aber erst recht diese Analyse des paulinischen Freiheitsproblems
bei Augustin mit Aufmerksamkeit und reichem Gewinn
studieren. Ich meine, daß solches kritisches Studium der
hochaktuellen Studie die beste „Wiedergutmachung" wäre, die die
deutsche Theologie dem Gelehrten schuldet, dem einst im Namen
der deutschen Wissenschaft „drei Tage und drei Nächte Haft im
Bauche eines großen Fisches" zuerkannt worden sind.

Zürich Eberhard J ü n £ v I

A u g u s t i j n , C, Dr.: De Martelaar en zijn Getuigenis. Kampen:
Kok 1966. 27 S. gr. 8°. Hfl. 1.75.

Duchrow, Ulrich: Der sogenannte psychologische Zeitbegriff Augustin
im Verhältnis zur physikalischen und geschichtlichen Zeit
(ZThK 63, 1966 S. 267—288).

Schindler, Alfred: Gnade und Freiheit. Zum Vergleich zwischen
den griechischen und lateinischen Kirchenvätern (ZThK 62, 196 5 S.
178—195).

Wickert, Ulrich: Glauben und Denken bei Tertullian und Origenes
(ZThK 62, 1965 S. 153—177).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Kühn, Ulrich: Via caritatis. Theologie des Gesetzes hei Thomas von
Aquin. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1964] u. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1965. 279 S. gr. 8° = Kirche und Konfession.
Veröffentl. des Konfessionskundl. Inst, des Evang. Bundes, 9.

Der Verf. dieser Leipziger Habilitationsschrift (vgl. die Anzeige
ThLZ 88, 1963, 793-795) verfolgt eine doppelte Absicht.
Er sucht Informationen für das kontroverstheologische Gespräch
bei Thomas von Aquin, weil dessen Theologie eine der klassischen
„Gesamtausprägungen theologischen Denkens" im Raum einer
Konfession und im Hintergrund ihrer dogmatischen Sätze darstellt
(Einleitung, 11). Er sucht ferner die „Begegnung mit der mittelalterlichen
Theologie als der Theologie auch der eigenen Väter im
Glauben" und fragt speziell, „ob es nicht auch einen evangelischen
Thomas zu entdecken gibt oder wenigstens einen solchen, der
einer evangelischen Theologie Wichtiges zu sagen hat" (l3f; vgl.
15, 43, 48). Die Arbeit leistet dabei — darin besteht ihr vorweg
festzustellender Ertrag — einen Beitrag zur Thomasforschung von
so „hohem fachmediävistischen Wert", daß man nach dem Urteil
eines katholischen Sachkenners „nicht weiß, wie K.s Untersuchung
in absehbarer Zeit im wesentlichen überholt werden soll"1.

Wenn demnach das erstgenannte Vorhaben als geglückt und
das zweite zumindest als vielversprechend anzusehen ist, so liegt
das nicht zuletzt an dem Gegenstand, der in der Arbeit auf methodisch
angemessene Weise durch systematische, innerhalb des tho-
manischen Gesamtwerks jedoch historisch vorgehende Befragung
angegangen wird. Die Ausgangsthese des Verf., die sich im Verlauf

*) Otto H. Pesch OP, Thomas von Aquin im Lichte evangelischer
Fragen. Zu drei neuen Thomas-Monographien (Cath. 20, 1966, 54—82),
67; vgl. 65, 68. — Pesch bespricht außerdem die Bücher von Max Seckler
,' Das Heil in der Geschichte. Geschichtstheologisches Denken bei
Thomas von Aquin (München 1964) und Hans Vorster, Das Freiheitsverständnis
bei Thomas von Aquin und Martin Luther (Kirche und Konfession
8, Göttingen 1965).