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Ausgabe:

1967

Spalte:

611-613

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Machovec, Milan

Titel/Untertitel:

Marxismus und dialektische Theologie 1967

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8

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ja anfänglich schon aus der Katakombenmalerei kennen, geführt
.

Die im modernen Denken übliche Sicht, ein bloßes Abbild
irgend ein« historischen Geschehens darin zu erkennen, reicht
nicht heran an Absicht, Sinn und Standort eines solchen Mosaiks
, in dem sich das Kreuz in Mandorla mit Transfigurations-
icionographie, Parusiethematik und Verehrung des Lokalheiligen
in einer grandiosen Gesamtschau vereinigt und die Gemeinde
davor fast hörbar in ihren Glauben aufruft im Blick auf die
Endzeit und Wiederkunft des Herrn.

Unserer heutigen Problematik um Entmythologisierung, um
gegenständliche oder abstrakte Kunst, steht hier die einzig mögliche
adäquate Symbolsprache, verständlich und eindrucksstark
über die Jahrhunderte hinweg, gegenüber, vom Verf. mit umfassendem
Wissen in die gesamte frühchristliche Kunst und die
internationale Literatur dazu eingeordnet.

Durch die große Zahl guter Abbildungen unterstützt, ist diese
Arbeit zugleich ein ausgezeichneter Führer in die gedankenreiche
Welt altchristlicher Apsidenbilder und ihrer gesamtchristlichen
wie auch betont endzeitlichen Thematik.

Lutherstadt Wittenberg Oskar T h u I i n

PHILOSOPHIE UND
RELIGIONSPHILOSOPHIE

Machovec, Milan: Marxismus und dialektische Theologie.
Barth, Bonhoeffer und Hromädka in atheistisch-kommunistischer
Sicht. Übers, v. D. Neumärker. Zürich: EVZ-Verlag
[1965]. XI, 192 S. 8°. Kart. DM 14.50.

In der Schweiz erscheint die deutsche Obersetzung einer der
beachtlichsten Arbeiten marxistischer Religionskritik, die der
Professor für Philosophie M. Machovec 1962 in der Tschechoslowakei
veröffentlichte (und die auch in slowakischer und ungarischer
Übersetzung erschienen ist). Das Buch will nicht abstrakt
über d i e Religion handeln, sondern konkrete und heutige
Erscheinungsformen analysieren; und es geht in Verfolg
dessen zu der Methode über, bestimmte Einzeltheologen thematisch
werden zu lassen. Das fördert zugleich, daß es zum Dialog
kommt, zu jenem „Dialog, der nicht nur spitzfindige Diskussion
ist, sondern das aufrichtige Streben verrät, sich jenem
.anderen' ganz zu öffnen, nicht nur intellektuell, sondern auch
in Gefühl und Moral, nicht nur in seiner Stärke, sondern auch
in seiner Schwäche" (IX). Natürlich ist es nicht jener wissenschaftliche
Dialog etwa im Sinne Piatons, der Wahrheit durch
ihn erst finden möchte, sondern es ist mit „Dialog" letztlich
doch nur die differenzierende und gezielte argumentatio ad
hominem gemeint (S. 177 ff.). Aber das soll kein Vorwurf sein.

Aufjer dem sich überall regenden Bemühen um Differenzierung
, um Nuancierung wie Typisierung erscheint als das Neue
an Machovecs Studie dies, dafj seine Religionskritik den Schwerpunkt
darauf legen möchte. Berechtigtes an der „Religion" im
fast schon Hegeischen Sinne „aufzuheben" (S. 180) und aufzubewahren
, um es „rationalisiert, entmystifiziert, dechiffriert, zurechtgerückt
" (S. 180) zur eigentlichen Geltung zu bringen. Ablehnung
und Absterbenlassen der Religion dürfe nichts, was zur
menschlichen Natur gehört, verkümmern lassen. Der ökonomische
Wandel ziehe ja nicht automatisch das Verschwinden der
Religion nach sich, sondern nur unter Vermittlung eines komplizierten
Prozesses ideologischer Arbeit. In diesem Sinne
fordert Machovec - und dies in Auseinandersetzung mit Ver-
jrrungen in den eigenen Reihen - das Anstreben einer echten
Konversion. „Zu ihr kommt es, wenn dieser Mensch in einem
anderen geistigen System besser sich selbst findet", d. h.
das, woran er glauben möchte, „irgendwo anders in vollkommenerer
, reinerer, reiferer, gesellschaftlich wirkungsvollerer und
aktiverer Gestalt findet" (S. 161 f.).

Was nun die „dialektische Theologie" anbetrifft, so kann sie
der marxistische Kritiker natürlich auch nur als „religiöse" Erscheinung
ansprechen. „Wenn ihr keine Religion habt, werden

wir mit eurem Glauben streiten, dann gilt für i h n alles, was
Atheismus und Materialismus in den fast dreitausend Jahren
ihrer Entwicklung, die im Marxismus gipfelte, (über Religion)
ermittelt haben" (S. 157). Machovec versteht die dialektische
Theologie auch nicht wesentlich aus einer immanenten theologischen
Entwicklung heraus; denn die Religion habe „keine
eigene autonome Geschichte" (S. 50), sondern spiegele jeweilige
Krisen der Gesellschaft - verzerrt und mystifiziert - wider,
wodurch sie freilich zu jeder Zeit echte Realität und wirkliche
Gegenwart und nicht nur „Überbleibsel" des Mittelalters sei
(S. 179 f.). Nichtdestoweniger sieht er an der dialektischen Theologie
typische Eigenarten protestantischen Denkens (wie Fähigkeit
und Neigung zu Selbstkritik) ausgeprägt und konfrontiert
er sie der liberalen Theologie. Aus dem Vergleich mit dieser erwächst
alsdann Machovecs Hauptthese zur Einschätzung der
dialektischen Theologie: Im Gegensatz zur liberalen Theologie
sei es ihr gelungen, am befreiendsten die Frage und Sorge zu
überwinden, ob .theologische Existenz' noch möglich sei - und
zwar, indem sie diese Frage verneinte. Sie, die
dialektische Theologie, brachte (in den zwanziger Jahren) das
Paradoxe fertig, die radikalste Religionskritik und die Verzweiflung
an theologischer Existenz selbst und als solche zum Fundament
theologischer Existenz zu machen - und zu einem so
breiten und massiven, daß hierauf alsdann noch die gesamte
traditionelle Dogmatik Platz bekam. An mehreren Stellen nennt
sie Machovec „ein herrliches Geschenk" (S. 103) an die heutige
Theologie.

„Der Gott, der von den Atheisten kritisiert wird, ist tot, aber
nicht Gott selbst, der überwirkliche, ewige, der sowohl über die
Illusionen der Kirchgänger als über die Angriffe der Atheisten
erhaben sei... Das ist angeblich die Lösung! Einfach, klar und
bequem" (S. 105).

„Etwa die Frage, ob ein gerechter Gott diese oder jene
Schrecken der Welt... zulassen könnte, ist angeblich Unsinn;
denn der wirkliche Gott kann nur selbst fragen, er kann nicht
befragt werden. Sobald der Mensch fragt, sobald er sich selbst
eine Audienz bei Gott erzwingen will, hat er es immer nur mit
seinen eigenen Vorstellungen zu tun, mit einer Fiktion, einem
Abgott, einem Götzen . .. Aber Gott - Gott selbst, Gott allein! -
kann niemals vor das Gericht der Welt gezogen werden . . . Man
murj zugeben, dafj das gut konstruiert ist. .." (S. 79/80).

„Wie mit einer Theologie polemisieren, die die Richtigkeif
der Religionslosigkeit und der Religionskritik .anerkannt' hat?
Die zu jeder Selbstkritik bereit ist, die euch eure Argumente
geradezu vom Munde abliest... Wie mit einer Anschauung polemisieren
, nach der Gott die Welt vorsätzlich so konstruiert
hat, daß sie für Materialismus und Atheismus Zeugnis ablege?"
(S. 164).

„Hunderte von Pfarrern . . . nahmen sich schließlich von der
dialektischen Theologie nur das, was ihnen gerade. . . paßte:
... daß man sich nicht den Kopf zu zerbrechen braucht... Die
christliche Botschaft ist ein großes Wunder, das einfach da ist
. . ." (S. 126).

„Barth wird so auch zum Erneuerer der Orthoxie,
dafür schaut in Wahrheit die evangelische Christenheit dankbar
zu ihm auf, dafür klopft ihm - obwohl bislang unauffällig
- auch Rom selbst auf die Schulter" (S. 107).

Aber nicht nur Restauration und Sanktionierung von Bequemlichkeit
qehen von der dialektischen Theologie aus, sondern
- und dies legitimer, von den Religiösen Sozialisten eingepflanzt
- Imrvulse dazu, bürgerlichen Pharisäismus (abzubauen
und konventionelle Denkgewohnheiten umzukehren. Das
schafft weite Öffnungen für den Marxismus und läßt an dessen
eschatologischem Zug, ja Chiliasmus. ursprünglichste eigene Anliegen
sich wieder entfachen. Barth selbst erkenne in dieser
Richtung seine eigentlichen Schüler und dokumentiere das durch
seine politischen Stellungnahmen (auf die M. ausführlich eingeht
, sie hierbei auf seine intellektuelle Überlegenheit, die weiten
Horizont mit sich bringe, zurückführend).

Auf verhältnismäßig knappem Raum wird zum Schluß hin
über Hromädkas Theologie referiert und danach (S. 144-153)