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Ausgabe:

1967

Spalte:

598-600

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bühler, Andreas

Titel/Untertitel:

Kirche und Staat bei Rudolph Sohm 1967

Rezensent:

Schott, Erdmann

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2. Die Erhellung der Denkform macht die Einzelaussagen
eines Gelehrten durchsichtiger und zeigt gleichzeitig die großen
Strömungen einer bestimmten Epoche des Geistes deutlicher an.
In der Geschichte der Trinitätsspekulation des 12. Jahrhunderts
repräsentiert Petrus von Poitiers eine Trinitätslehre des Typs
,genus-species', Richard von St. Viktor eine des Typs ,acrio-
passio'. Das genius-species-Modell' erschließt tiefere Wesensaussagen
; das .actio-passio-Modell' betrachtet den dreieinen
Gott dynamischer, existenzieller. Nimmt man hinzu, daß es im
12. Jahrhundert noch einen breiten Strom einer ökonomischen
und immanenten Trinitätsspekulation gab, so sieht man allmählich
ein differenzierteres und vielschichtigeres Bild der Theologie
dieser Zeit. Dazu trägt auch diese Studie Wesentliches bei.
Dieser Beitrag wäre aber noch überzeugender und gewichtiger,
wenn der Verfasser die Aussagen und Urteile der beiden Theologen
aus dem 12. Jahrhundert nicht den Erkenntnissen des
Thomas von Aquin konfrontiert und daran gemessen, sondern
in und aus der umgebenden Geisteswelt und Wissenschaft des
12. Jahrhundert erhoben hätte.

Die Voraussetzungen der Trinitätslehre des Petrus von Poitiers
liegen in der noch immer unzulänglich erforschten
Sprachlogik und sprachlogischen Theologie, wie sie vor allem
im Anschluß an Gilbert von Poitiers dessen nähere und entferntere
Schüler (Simon von Tournai, Odo von Ourscamp,
Petrus Comestor u. a.) vertraten bzw. bezeugten. Dabei
kommt es gewiß nicht nur auf die literarische Abhängigkeit des
Petrus von Poitiers von den erwähnten Theologen an, obgleich
auch diese noch geklärt werden muß, sondern auf die Methode,
die Art und Weise, wie die Sprachlogiker auf die reine und gültige
Ausdrucks- und Sprechweise achten. Was kann die Sprachlogik
in der Theologie leisten?

Vor wenigen Jahren hat N. Häring in einem Beitrag zur
Scholastik [32 (1957) 373- 398) die sprachlogischen und philosophischen
Voraussetzungen zum Verständnis der Christologie
Gilberts von Poitiers untersucht und dabei auf die von Pris-
cian stammende Unterscheidung von Wortsubstanz und Wortqualität
des Nomens und deren theologische Bewandtnis hingewiesen
. Das Nomen, die Benennung, kommt dadurch zustande,
daß ein Subjekt unter eine bestimmte Form gebracht wird. Wie
verhalten sich bei den Nomina sacra Wortsubstanz und Wortqualität
, Person und Proprietät? Die Trinitätsspekulation des
,genus-species-Typs' ist ständig mit diesem Problem beschäftigt
. Die Kritik der reinen und gültigen theologischen Sprache
war keine Spielerei. Die Sprache und Ausdrucksweise in der
Theologie sind ein außerordentlich feines Instrument der Erkenntnis
. Petrus von Poitiers hat damit gute Arbeit geleistet.
Er hat in H. Wipfler einen begabten Interpreten gefunden. -
Der Text ist untadelig. Mir fielen nur wenige Fehler auf: S. 213
4. Z. v. o„ S. 216 5. Z. v. o.

Bochum tudwig H ö d I

Neumann, Siegfried: Gegenstand und Methode der theoretischen
Wissenschaften nach Thomas von Aquin auf Grund
der Expositio Super Librum Boethii de Trinitate. Münster/W.:
Aschendorff (1965). XXI, 178 S. gr. 8° = Beiträge zur Geschichte
d. Philosophie u. Theologie d. Mittelalters. Texte u.
Untersuchungen, hrsg. v. M. Schmaus, XLI, 2. Kart. DM 28.-.
Zu dem Thema der vorliegenden Studie über die Philosophie
des Aquinaten gibt es seit der Arbeit von H. Meyer,
Die Wissenschaftslehre des Thomas v. Aq. (1934), wenigstens
für den deutschen Sprachraum keine ins Gewicht fallende Veröffentlichung
. Während jedoch Meyer unter Berücksichtigung
nahezu aller Werke, vorzüglich aber der Kommentare zu Aristoteles
die gesamte thomanische Wissenschaftslehre unter Einschluß
der Glaubenstheologie behandelte, hat sich S. N e u -
mann in zweifacher Hinsicht Beschränkungen auferlegt: Einmal
beschäftigt er sich nur mit den „theoretischen Wissenschaften
" (= Mathematik, Naturphilosophie, Metaphysik); sodann
hält er sich streng an eine für die angeschnittenen Fragen
wichtige Frühschrift des Aquinaten, die „Expositio super librum
Boethii De Trinitate". Damit gelingt ihm unseres Erachtens ein
erheblicher Fortschritt. Denn erstens trägt er ausdrücklich der

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heute allgemein anerkannten Tatsache Rechnung, daß bei Thomas
Lehrentwicklungen bestehen. Zweitens ist dank der vorbildlich
durchgeführten Textanalysen und Interpretationen nur
eines Werkes der philosophische Ertrag im Vergleich zu Meyer
erheblich weitreichender und schärfer.

Neben den nicht unwichtigen Erkenntnissen zum Verständnis
der mittelalterlichen Mathematik und Naturlehre bzw.
-Philosophie ist zu erwähnen, daß Neumann vom Ansatz des
thomanischen Denkens her sehr eingehend idie Frage nach
der Möglichkeit einer Metaphysik erörtert. Den unmittelbaren
Anlaß dazu gibt die von Thomas im Kommentar zum boethia-
nischen „De Trinitate" entwickelte Gegenüberstellung von zwei
Weisen einer Abstraktion einerseits und der „separatio"
andererseits. In der endgültigen Fassung des entscheidenden Abschnittes
q. 5, art. 3 unterscheidet er im aristotelischen Sinne
zwei Grundformen des geistigen Erkennens: Die Wesenserfassung
(indivisibilium intelligentia) der sinnenhaft erkannten Gegenstände
und das auf das Sein der Dinge bezogene Urteilen.
Wie es nun für die Wesenserfassung in der „Abstraktion" eine
gewisse „distinetio" seinsmäßig verbundener Sachverhalte geben
kann, so besteht auch für das Urteilen die Möglichkeit einer
Unterscheidung oder Trennung. Genauerhin ist das verneinende
Urteil, daß es nicht notwendig zum Seienden oder der Substanz
(im thom. Verständnis des Wortes) gehöre, materiell oder körperlich
zu sein, die „separatio". In dieser, die m. a. W. als
negatives Urteil die Indifferenz des Seienden zur Körperlichkeit
feststellt, erblickt Thomas seitens des erkennenden Menschen
den Ermöglichungsgrund der Metaphysik.

Seit den dreißiger Jahren, vor allem aber seitdem textkritisch
einwandfreie Ausgaben des Kommentars zu „De Trinitate"
vorliegen (P. Wyser, 1947; Br. Decker, 1955), gibt es im englischen
und französischen Sprachraum Diskussionen zum Unterschied
von Abstraktion und Separation. Sie bedeuten sachlich
eine Korrektur am traditionellen Schulthomismus mit seiner
Lehre von den drei Abstraktionsgraden. Es ist das Verdienst
von Neumann, für die deutschsprachige philosophische Literatur
erstmals in umsichtiger, gründlicher Weise ein belangvolles
Thema thomanischer Metaphysik in Angriff genommen zu haben
.

Die durchweg gebrauchte Verdeutschung des ma. „scientia
naturalis" als „Naturwissenschaft" ist philologisch einwandfrei.
Dennoch kann sie zu schweren Mißverständnissen führen. Wahrscheinlich
wäre der indifferentere Ausdruck „Naturlehre" weniger
verfänglich. Vielleicht hätten auch die Ausführungen von S. 127
sowie S. 97, Anm. 1 irgendwo an geeigneter Stelle am Anfang
gebracht werden sollen. Die tiefgreifenden Unterschiede der antiken
bzw. ma. „scienta naturalis" zur neuzeitlichen „Naturwissenschaft
" werden leider allzu oft übersehen.

Die Studie von N e u m a n n, in der wir einen wirklich beachtenswerten
Beitrag zur Metaphysik und ihrer Geschichte erblicken
, zeigt überzeugend, was in einer sorgsamen, geduldigen
Analyse von Texten eines Philosophen an Bedeutsamem erarbeitet
werden kann.

Walberberg Dietrich Schlüter

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Bühler, Andreas: Kirche und Staat bei Rudolph Sohm. Zürich
: EVZ-Verlag [1965], XV, 359 S., 1 Porträt gr. 8° =
Basler Studien z. historischen u. systematischen Theologie,
hrsg. v. M. Geiger, 6. Lw. DM 23.-.

B. gibt eine umfassende Würdigung des Denkers Sohm. Er
stellt Sohms Anschauungen als Ganzes dar. „Das ist in dieser
Weise noch nicht geschehen, indem die Betrachter, je nach ihrem
Standort als Juristen oder Theologen, bloß von ihrem eigenen
Punkt an Sohm herangingen und deshalb mehr oder weniger
auch nur diese eine Seite berücksichtigten" (S. VTI). B. verfolgt
Sohms Aussagen durch sämtliche erreichbaren Schriften
hindurch. Dabei erweist sich ihm Sohm als einer der „letzten
großen Denker des corpus christianum", der aber „schon von

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 8