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Ausgabe:

1967

Spalte:

35-37

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schattenmann, Johannes

Titel/Untertitel:

Studien zum neutestamentlichen Prosahymnus 1967

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1

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freuen, kann mit weiteren Auflagen des Buches gerrechnet werden
. Für diesen Fall schlage ich vor:

1. Die Einteilung in drei Abschnitte ist zu grobmaschig; wer
nicht die Arbeiten bestimmter Verfasser sucht, sondern mit Sachfragen
an die Bibliographie herantritt, muß alle Nummern durchmustern
, um auf die Untersuchungen etwa zum neronischen
Circus oder zum Obelisken zu stoßen. Daher sollte eine sorgfältig
bedachte Unterteilung nach Themen vorgenommen werden,
die eine rasche Orientierung ermöglicht.

2. Die verzeichnete Literatur sollte von allzu großem Ballast
befreit werden; es ist wirklich nicht nötig, jeden Zeitungsaufsatz
zu notieren. Noch wichtiger ist, daß die Inhaltsangaben
schärfer und präziser gefaßt werden, als es jetzt der Fall ist. Nicht
wenige Arbeiten sind reichlich allgemein und verschwommen
referiert, andere unvollständig, manche geradezu irreführend1. Es
ist nicht zu tadeln, daß der Kompilator mit seiner Meinung
zurückhält (er läßt freilich doch auch wieder Wertungen einfließen
, die zuweilen problematisch sind). Aber es ist unumgänglich
, daß er so gründlich in die Materie eingearbeitet ist, um
exakt referieren zu können; auch muß dem Benutzer die Art der
gebuchten Arbeit deutlich werden: ob es sich um selbständige
Forschung, um kundige Zusammenfassung, um Popularisierung
handelt. Der Wert einer derartigen Bibliographie besteht allein in
der genauen Unterrichtung über die fördernden Untersuchungen;
auf die Notierung von möglichst allen Äußerungen zum Thema
kommt es gar nicht an. In dieser Hinsicht ist die fleißige Zusammenstellung
wesentlicher Verbesserung fähig, die ihr hoffentlich
zuteil wird.

1) Vgl. die berechtigten Ausstellungen von E. Dinkler (Theolog.
Rundschau, N. F. 31, 1966, S. 233f.).

Tübingen Huns-Dietrich AI te n clor f

Schattenmann, Johannes: Studien zum neutestamentlichen Prosahymnus
. München: Beck 1965. VIII, 115 S. gr. 8°. DM 18.—.

Ermutigt durch Franz Dölger, Hildebrecht Hommel und
Carl Schneider legt der Verf. diesen Versuch vor, der „in Neuland
führt" (Vorwort). In der Tat wird der Leser aufgefordert,
auf dem an Versuchen nicht gerade armen Terrain der urchristlichen
Hymnodik einem unerwartet neuartigen Vorstoß zu
folgen. Auch wenn sich mancher vorsichtige Forscher an der Deutung
einiger „anerkannter" Hymnen beteiligt, ist die Schwierigkeit
des ganzen Problemkreises doch allgemein bewußt. Daß die
vorliegende Arbeit geeignet wäre, Vorurteile abzubauen, liegt
außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Vorsichtshalber nimmt Sch.
zwei Vorbehalte gleich in die Überschrift auf: Er legt keine
„vollständige Durcharbeitung der hymnologischen Probleme"
(Vorwort), sondern „Studien" vor und grenzt sein Objekt glücklich
mit dem Begriff „Prosahymnus" von Poesie ab.

Doch stoßen wir hier bereits auf eine erste Schwierigkeit. Sch. erspart
sich eine Definition des Begriffes „Hymnus". Das gibt ihm die Möglichkeit
, auch Partien zu untersuchen, die man als Prosa, willigstenfalls
als Kunstprosa bezeichnen würde, wie das Logion Matth. 16, 17—19
oder die Partie Jud. 8—23. Dabei weiß er, daß „liturgische Formen
immer in frühere Zeiten zurückreichen" (S. 23). Wer freilich zwischen
Kunstprosa, intuitiven Bildungen (etwa 1. Kor. 13) und hymnischen
Traditionen nicht differenziert, wird kaum beweisen können, daß die
Beobachtungen für Hymnen typisch sind und nicht einfach nur Merkmale
der Kunstprosa. Man gewinnt den Eindruck, das Wort Tradition
gelte dem Autor nur als ein Mittel, den Prolog auf lesus selbst (S. 75)
und deuteropaulinische Hymnen auf den Apostel Paulus zurückführen
zu können.

Die Eigenheit der Hymnen ist ihre besondere Form. Im
Gegensatz etwa zu K. G. Kuhn1 plädiert Sch. für griechische Formen
. Als „notwendiger Hintergrund zu den Hymnen des Neuen
Testaments" (S. 11) erscheinen die leider meist verlorenen Hymnen
und Formeln der Mysterien, an deren Stelle Verf. die Gnosis

*) K. G. Kuhn, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim,
WUNT 1, 1950, hatte die Entstehung des Reims aus der Gleichartigkeit
der hebräisch-aramäischen Suffix-Endungen verständlich zu machen versucht
. Doch sind die Belege für eine Ableitung aus dem griediischcn
Homoioteleuton vorläufig immer noch besser, zumal er mit Rückübersetzungs
-Vorschlägen operieren muß.

eines Simon Magus als Vorbild ansetzt (vgl. die einzig breiter
begründeten Abschnitte VI und VII und Anhang 4.-6.). Doch
wird die Gnosis als Einzelphänomen und nicht wie eine spätantike
Geisteshaltung3 in Betracht gezogen.

Im einzelnen tangieren die Aufstellungen mit ihrer Flächigkeit das
historisch Zumutbare. Daß Paulus den Hymnus Phil. 2,6—11 in Rom
in Antithese zu einem Simonianischen Liede (aus Iren. haer. I 23) schuf
(S. 71 f.), für welches der jesuanische Johannesprolog wiederum die
Voraussetzung war (S. 76), mag das illustrieren. Wäre es nicht doch
besser und für das interkonfessionelle Gespräch ergiebiger, wenn man
den formgeschichtlichen vor literarkritischen Impulsen den Vorzug einräumte
und aus der Erwägung die notwendigen historischen Konsequenzen
zöge, daß ein Hymnus zur Tradition des Zitierenden zu gehören
pflegt?

Präziser besteht die gesuchte Form nicht mehr in hellenischen
, „metrischen", sondern in „rhythmischen" Versmaßen,
wobei „ohne Rücksicht auf Quantität nur die Silbenzahl berücksichtigt
" wird (S. 3 Anm. 1). Demzufolge sind jeweils die Zeilenlängen
und das Silbenmaß der Verse zu zählen. Zwar gleichen
sich die Zeilen nicht notwendig in Bezug auf die Länge: „Sie
sind den Fluten eines Stromes vergleichbar, der durch feste Ufer
und Molen in eine bestimmte Bahn gelenkt wird" (S. 3). Aber
die Verse entsprechen einander in der Silbenzahl oder zielen auf
eine geheimnisvolle Silben-Endzahl. Denn das ist die Entdeckung
des Autors, daß die untersuchten Hymnen (a) um eine „Mitte"
herum komponiert sind'1, (b) in ihren Versen eine bestimmte
Silbenzahl einhalten (z. B. in Eph. 1, 3-14: I 136 Silben, II 136,
III 77 und IV 92) und (c) auf Dreieckszahlen' und bisweilen in
der Endsumme auf andere geheimnisschwere Zahlenrelationen
zielen. Daß die Dinge nie ganz aufgehen (Dreieckszahl von 12
wäre 78, nicht 77; von 13 die 91 statt der 92), nimmt Sch. in
Kauf5. Nur büßen seine Ergebnisse dadurch an Überzeugungskraft
ein, daß er beinahe allen analysierten Stücken Zusätze nachsagt
, gelegentlich Umstellungen ganzer Kola-Gruppen vorschlägt
und bisweilen Sinnzusammenhänge um der Silbenzahl willen zerschneidet
, als hätten wir es mit moderner Poesie zu tun, die bisweilen
mutwillig gegen alle grammatischen Regeln ankämpft. So
wird man den Gewinn der Arbeit darin erblicken, daß eine Frage
gestellt und ein Weg zu Ende durchschritten worden ist. Die
Frage nach der Form aber bleibt weiterhin offen, und die nach
den Gattungen und dem Sitz im Leben der Gemeinde sind erst
noch zu stellen.

Sch. kommt bezeichnenderweise fast nur bei den überlieferten
Formeln der Mysterien und bei hellenistischen Stücken ohne Eingriff
aus, im Neuen Testament wohl nur bei Phil. 2,6—11 (jedoch einschließlich
der fast stets als Zusatz bestimmten Wendung „eines Kreuzestodes
aber"). Gravierend ist die Versetzung im Lied Kol. 1,12—20:
v. 13f. gerät vor 18b—20; nun folgt dem auf Gott gemünzten Logoshymnus
v. 12.15—18a ein Christoshymnus mit genau gleicher Silbenzahl
(151 = ähnlich der Dreieckszahl von 17 : 153). Bei Joh. 17,20
nimmt Sch. z. B. zwischen den Worten aZXä xal tisqi und twv
matevovx<ov bzw. zwischen Stä tov Xöyov und avvwv ek i/ue kolo-

2) Dazu H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, I 19542.

3) So hat zum Beispiel der Hymnus Eph. 1, 3—14, von dem Sch.
ausgeht, in v. lobe eine „Mittelschrift" (gemeint ist eine Art „Überschrift
in der Mitte") mit Themaangabe. Doch dergleichen findet selbst
Sch. nur ein einziges Mal, während er sich sonst mit der Bestimmung
von Wendungen oder Worten in der Mitte begnügt.

4) Im angeführten Beispiel Eph. 1 heißt das: I/II zielen auf die
Dreieckszahl 16, III auf die 12 und IV auf die 13 (alles = 57, also fast
Dreieckszahl für 10 : 551).

r>) Überhaupt ist er großzügig, wie die Liste S. 105—107 „8. Der
Schlüssel zur Zahlenmystik und Silbenzählung" lehrt. Von 61 untersuchten
Hymnen oder Strophen treffen nur 9 genau und 16 weitere mit
einer Silbe Abweichung die gemeinte Dreieckszahl. Schon bei den Dreieckszahlen
für die 9 oder 10 sind die Endzahlen bis zu fünf Silben ungenau
! Das mittelalterliche „Christ ist erstanden" (Evangelisches
Kirchengesangbuch Nr. 75) würde, im deutschen Text mit den angeführten
Mitteln untersucht, zu folgendem Ergebnis führen: Strophe I 28 Silben
, Strophe II 33, Strophe III 29, zusammen 90. Man beachte: die 28
ist Dreieckszahl zur 7 und die 90 kommt der 91, der Dreieckszahl zur
13, sehr nahe! So darf man dann wohl auch noch den Choral mit Sdi.
einordnen??