Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Titel/Untertitel:

Systematische Theologie

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

r>89

haben in Gott ihren Urquell. Auf ihrem Kontrapunkt baut sich
das ganze Denken Kierkegaards auf.

Der Nächste ist für Kierkegaard der Repräsentant Gottes
in der Welt, weil er von Gott geliebt ist. Er ist als Geliebter
der Mandatar der Liebe Gottes. Es ist darum unmöglich, den
Nächsten, der jeder Mensch ist, nicht zu lieben. Wer nicht liebt,
bleibt im Tode.

Kierkegaard wollte keine Definition der Liebe geben; das ist
auch unmöglich, „da der Begriff der Liebe immer schon von
ihrem Dasein überholt ist" (S. 145). Es ging ihn in seinem Werk
immer nur um die Frage, wie Liebe realisiert werden kann.

Es ist im Rahmen einer Rezension nicht möglich, das versteht
sich von selbst, die Fülle der gestellten Probleme erschöpfend
darzustellen. Nur im Durchdenken des Buches kann sich
dem Leser sein Gehalt enthüllen. Die Arbeit ist, auch in ihrer
sorgfältigen Auseinandersetzung mit der Kierkegaardforschung
zu diesem Thema, ein wesentlicher Beitrag zur Deutung seines
Werkes. Gut wäre es gewesen, wenn der Verfasser noch stärker
die erbaulichen Reden aus dem Jahre 1843, „Liebe deckt der
Sünden Menge", herangezogen hätte, weil sie Existenz in Liebe
im innersten Kern zur Sprache bringen.

Dresden Doniel Hoflmonn

Branden, S. G. F., Prof., M. A., D. D.: History, Time and
Deity. A historical and comparative Study of the Conception
of Time in Religious Thought and Practice. Manchester: Manchester
University Press; New York: Barnes & Noble [1965].
XII, 240 S. m. 3 Abb., 14 Taf. 8°. Lw. 35 s.

In der theologischen Diskussion der letzten Jahre hat das
Problem der Geschichte zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Seit Heideggers Kategorie der Geschichtlichkeit durch die Bultmann
-Schule zu einem Schlüsselbegriff in der Theologie wurde,
stand auch die Frage nach dein Zeitverständnis zu weiterer Klärung
an. S. G. F. Brandon, Professor für vergleichende Religionswissenschaft
an der Universität Manchester, weitet in dieser
Veröffentlichung seiner ,Forwood Lectures', Liverpool 1964,
diese Fragestellung auf den Bereich der nichtchristlichen Religionen
aus. Die Untersuchung bestätigt, daß die Frage nach
dem Zeitverständnis auch in den Religionen von zentraler Bedeutung
war und ist.

Bereits in seinem 1951 erschienenen Buch ,Time and Man-
kind' hatte der Verfasser die Frage nach dem religiösen Verhalten
des Menschen im Blick auf die existentielle Grunderfahrung
zeitlicher Wandlung behandelt. Dem gleichen Gegenstand
galten seine in den Jahren 1954-57 in Oxford gehaltenen Vorlesungen
, die 1962 unter dem Titel ,Man and his Destiny in
the Great Religions' erschienen. Die Thematik dieser beiden
Bücher wird mit dieser Veröffentlichung nunmehr in Form
einer religions-phänomenologischen Bestandsaufnahme systematischer
Art weiter verfolgt. Der Bereich des Imaginären, Formen
ritueller Praxis, Göttermythen und philosophische Spekulationen
werden unter diesem Gesichtspunkt in einzelnen ausgewählten
Beispielen der Religionsgeschichte untersucht.

Ein erstes Kapitel führt in die Thematik ein. An Hand von
Beispielen aus fünf verschiedenen Religionen wird verdeutlicht,
wie eng die Frage nach dem Zeit- und Geschichtsverständnis mit
dem Grundanliegen der jeweiligen Religion verknüpft ist. Brandon
geht es dabei um den Aufweis einer „letzhinnigen Herausforderung
, die die Zeit der menschlichen Existenz aufgibt"
(S. 12). Auf sie beziehen sich die Antworten, die sich in den
verschiedenen Religionen finden.

Die einzelnen Abschnitte des Buches entfalten jeweils einen
dieser einleitend aufgeführten Grundtypen.

Der Vergegenwärtigung des Vergangenen im Ritus ist ein
eigenes Kapitel gewidmet. Das Verlangen des Menschen, den
Zeitstrom zu stoppen und des Vergehenden habhaft zu werden,
findet seine Veranschaulichung in den Riten der Wiederbelebung
und in der iterativen Vergegenwärtigung im Kult. Bei
dem Bemühen, Motivparallelen zu sammeln, wird auch das pau-
linische Verständnis der Taufe und des Herrenmahls herange-

540

zogen. „Die christliche Reaktion auf die Herausforderung der
Zeit, wie sie in den Riten von Taufe und Eucharistie ihren Ausdruck
findet, .... ist morphologisch betrachtet ihrem Wesen
nach identisch mit dem osirischen Todesritual" (S. 30). Daß der
Verfasser die paulinische Anamnesis des Heilsgeschehens einfach
unter die Kategorie „Wiederholungsriten" einreiht, macht
es ihm unmöglich, die eschatologische Bedeutung zu erfassen, die
gerade nicht in der .anamnesis' aufgeht, sondern die Vorwegnahme
eines Zukünftigen, Neuen in der Zeit darstellt. Die Unterscheidung
von „Morphologie" und „theologischer Interpretation
", die der Verfasser in diesem Zusammenhang vornimmt, ist
nicht im Stande, über diesen wesentlichen Unterschied hinwegzuhelfen
.

Aufschlußreich sind die Interpretationen der Göttermythen
als Versuch einer religiösen Antwort auf das Zeitproblem ("Time
as Deity"). Ein eigenes Kapitel ist dem zyklischen Zeitdenken
in den Religionen gewidmet, das auf dem Hintergrund einer
transpersonalen kosmischen Wiederkehr Antwort auf das Leiden
an Zeit und Vergänglichkeit zu geben versucht. Hier
kommt in übersichtlicher Weise die innere Verwandtschaft griechischer
und östlicher Weltdeutung zum Vorschein („The
.Sorrowful Weary Wheel").

Je ein Kapitel ist dem hebräischen und dem christlichen Zeitverständnis
gewidmet. Unter besonderer Berücksichtigung der
Einflüsse aus der altorientalischen Religionswelt wird hier das
Motiv der Geschichte als Heilsgeschichte herausgearbeitet. Die
Ermöglichung dazu liegt im persönlichen Gegenüber des geschichtlich
handelnden Gottes („The Revelation of Divine Purpose
").

Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit dem Zeit-
und Geschichtsverständnis im neutestamentlichen Schrifttum.
Unter Verweis auf die Ergebnisse der neutestamentlichen Forschung
wird die Ausweitung des Geschichtshorizontes durch
die einzelnen Etappen des Neuen Testamentes verfolgt. Im wesentlichen
bestätigt Brandon die Cullmannsche Konzeption des
Christusereignisses als der Mitte der Zeit. Die Universalgeschichte
wird damit zu einem göttlichen „Zweiphasen-Plan", der durch
die Zäsur des Christusereignisses markiert ist. Der Weg, den er
beschreitet, um zu diesem Ergebnis zu kommen, ist stellenweise
zu breit angelegt. Fragen paulinischer Theologie, synoptische
Probleme, das johanneische Kerygma, die hellenistische
Erweiterung des nachpaulinischen Schrifttums u. a. führen immer
wieder vom eigentlichen Thema ab. So gleicht dieses Kapitel
stellenweise eher einem Grundriß neutestamentlicher Theologie
und muß damit hinter dem zurückbleiben, was an einschlägigen
Monographien zu diesen Themen bereits vorliegt.

Der Wert des Buches liegt zweifellos in seiner Synopse
religionsgeschichtlichen Materials zum Problem der Zeit und
Geschichte. Hier hat der Verfasser, wie die umfangreichen Anmerkungen
beweisen, reichhaltig Literatur herangezogen und
ausgewertet. Eine weiterführende Diskussion bestimmter Positionen
bietet das Buch nicht, so wenig es die heutige theologische
Auseinandersetzung um Zeit und Geschichte vorantreibt. Aber
es bereichert sie durch die Einbeziehung religionsvergleichender
Analysen.

Kampala / Uganda Horst Bürkle

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Ratschow, Carl Heinz: Gott existiert. Eine dogmatische Studie
. Berlin: Töpelmann 1966. IV, 87 S. 8° = Theologische
Bibliothek Töpelmann. hrsg. v. K. Aland, K. G. Kuhn, C. H.
Ratschow u. E. Schlink, 12. DM 12.-.
Das ist eine ungewohnte dogmatische Studie. Ungewohnt ist
der Mut, mit dem hier aus der Einsicht in die Aufgabe dogmatischen
Denkens ein die gegenwärtige Theologie bewegendes
Problem durchdacht wird. Ungewohnt ist auch die Art, in der
dies geschieht. Ungewohnt ist die Einkehr in die theologische
und philosophische Arbeit der altprotestantischen (lutherischen)
Orthodoxie in der Meinung, dort etwas für die Gegenwart lernen
zu können. Ungewohnt ist die liebevolle Sorgfalt, mit der

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 7