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1967

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 7

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Falsches. Auch Ritter hat nicht scharf und folgerichtig erkannt,
daß -ökumenisch" im 4. Jh. und darüber hinaus ein lediglich
plerophorer Ausdruck ist, dem kein offizieller Rang eignet. Die
Frage, ob die Synode „ökumenisch" war oder nicht, trägt eine
kanonistische Terminologie an sie heran, die ihr fremd ist und
immer wieder zu den bekannten gequälten Deutungsversuchen
führen muß. Auch die im vierten Exkurs vorgetragene These
über den „Jungnicaenismus" halte ich für unrichtig, trotz der
klugen Beobachtungen, die er enthält. Das Aufkommen von Begriffen
wie Homoiousios, Anhomoios, auch Homotimos und dergleichen
ist nur begreiflich, wenn dem Homoousios der Sinn
„Wesensgleichheit" zukommt. Es ist eine delikate und wichtige
Aufgabe, die Entstehung der homoiousianischen und der kappa-
docischen Theologie erneut gründlich zu studieren, und man
wird viele Nuancen wahrnehmen. Daß - nicht so sehr im Selbstbewußtsein
der Theologen, wohl aber faktisch - ein tiefgreifender
Wandel im Verständnis der verwandten Begrifflichkeit sich
vollzogen hat, ist unleugbar und wird durch den inkriminierten
Begriff angedeutet.

Ich breche ab. Die Ausstellungen sollen nicht verdunkeln,
daß die Auseinandersetzung mit den Thesen und Erwägungen
Ritters lohnt, denn auch dort, wo widersprochen werden muß,
sind die Ausführungen des Verf.s oft nicht ohne particula veri,
und sie enthalten Anregungen, denen nachzugehen von Nutzen
sein wird.10

Tübingen Hans-Dietrich Altendorf

v) In einem Aufsatz zu den Urkunden der Synode von 381 setze ich mich
demnächst mit einigen Thesen Ritters auseinander.

KTRCHENGESCHTCHTE: MITTELALTER

C o m b e s. Andre, Mgr., Prof.: La Theologie mystique de Gerron
. Profil de son evolution. Tome I. Rom: Desclee et Socii
Editores Pontificii 1963. 430 S. gr. 8° = Spiritualitas, Collectio
ab Instiruto Spiritualistico Pontificiae Universitatis Lateranensis
ed. A. Combes, 1.

Der berühmte Pariser Professor und Kanzler der Sorbonne
Jean Charlier (1363-1429), nach seinem Geburtsort Gerson genannt
, ist nicht bloß als einer der führenden Männer des Konstanzer
Konzils bekannt, als der er auch jüngst im Zusammenhang
mit der Erinnerung an ienes Konzil Beachtung fand, sondern
ebenso als mystischer Theologe von eigener Art, welche
die Mystik früherer Zeiten in gewissem Maße umprägte und das
theologische Denken neu befruchtete. Schon vor mehr als hundert
Jahren hat die Mystik Gersons die Aufmerksamkeit der
Forschung erregt un<i eine Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen
veranlaßt. Combes rügt freilich an ihnen, daß sie vielfach
nur die Hauptschrift des Kanzlers „De mystica theologia"
heranzogen, sich allzusehr um eine Systematik der Gedankengänge
mühten und viel zu wenig deren Entwicklung und zeitbedingten
Hintergrund beachteten. Der besondere Wert seines
Buches scheint mir in seinem historischen Gehalt zu bestehen,
wodurch sich die nicht ohne Kritik auch an der bisherigen Geschichtsforschung
vorgetragenen Ausführungen über die Mystik
Gersons fast zu einer Biographie des Kanzlers weiten, jedenfalls
Wesentliches zu deren Verständnis und damit auch zum
theologischen Denken jenes Mannes beitragen. Neben rein theologischen
Darlegungen über die von Gerson verwendeten Begriffe
und ihre Bedeutung, über Gersons Abhängigkeit von früheren
Autoren stehen literarkritische Untersuchungen über dessen
mystische Schriften, wobei auch auf paläographische Probleme
der Manuskripte eingegangen wird, und rein historische Erörterungen
über die Entstehungsumstände der mystischen Traktate
des Kanzlers, dessen persönliche Situation zum Zeitpunkt der
Abfassung und dessen Intentionen. Diese vielseitige Konzeption
und die dadurch bedingte Weitschweifigkeit des ja aus
akademischen Vorlesungen entstandenen Buches macht seine Lektüre
nicht gerade leicht, zumal nur wenig vom Beweisgang in
den gleichwohl auch sehr ausführlichen Anmerkungsapparat verwiesen
wird, doch verschafft eine reiche Gliederung mit vielen,
zum Teil thesenartigen Untertiteln einige Auflockerung. Die

wissenschaftlichen Voraussetzungen für die Behandlung seines
Themas hat sich der Autor durch jahrzehntelange Beschäftigung
mit Gersons Persönlichkeit erworben, als deren wohl wertvollste
Frucht die Neuedition der „Mystica Theologia" des Kanzlers
(Padua 1958) anzusprechen ist. Durch sie ist die ältere unkritische
Ausgabe dieses Werkes in den von Louis Ellies Du Pin Antwerpen
1706 veröffentlichten „Opera omnia" Gersons verdienstvoll
ersetzt worden, die freilich noch für andere Traktate herangezogen
werden müssen.

In einem ersten Kapitel rechtfertigt Combes sein Buch unter
anderem auch durch Darlegungen über die Notwendigkeit einer
neuen Sicht der Mystik Gersons, die sich keineswegs ohne Brüche
und Änderungen darstelle und schon deshalb ein stärkeres Eingehen
auf die historische Situation fordere. Vor allem wird auf
Überarbeitungen von „De mystica theologia" und auf eine Wandlung
der Anschauungen Gersons in seiner Spätzeit hingewiesen,
die sich aus einer bisher übersehenen Äußerung aus dem Jahre
1425 erschließen läßt. Die Mystik des Pariser Kanzlers spielt
bekanntlich eine hervorragende Rolle in der von ihm geplanten
und propagierten Reform des Theologiestudiums. Durch sie sollte
dem das Gemüt völlig unberührt lassenden, rein scholastisch
ausgerichteten Studienbetrieb ein heilsames Gegengewicht geschaffen
werden. Solche Ideen fanden ihren Niederschlag in den beiden
„Lectiones contra vanam curiositatem", die Gerson im November
1402 bald nach seiner Rückkehr nach Paris und der Wiederannahme
des 1399 auch aus politischen Gründen niedergelegten
Kanzleramtes gehalten hat. Mit ihnen beschäftigt sich Combes
im zweiten Kapitel seines Buches, das im Zuge einer rechten
Charakteristik der mvstischen Theoloaie Gersons zu einer Reihe
von rjaradoren Feststellungen führt, wie etwa zur Identifizierung
der noch wesentlich affektiven Mystik nleichwohl mit intelligen-
tia. Das mag sich wohl vor allem aus dem praktisch-reformatorischen
Anliegen der „Lectiones* und der geistigen Situation
des durch sie angesprochenen Hörerkreises erklären. Oberhaupt
wird man gut tun, Gerson in erster Linie als Reformer zu werten
. Die beiden nächsten, gewiß nicht zufällig am ausführlichsten
gestalteten Kapitel behandeln Gersons mystische Hauptschrift,
die aus zwei Teilen besteht, von denen der erste, spekulative,
aus den Jahren 1402-1403 stammt, der zweite, praktische, 1407
niedergeschrieben wurde. Die Ereignisse während dieses zeitlichen
Intervalls, vor allem auch schon die Beschäftigung Gersons
mit den Problemen des Papstschismas und des Verhaltens
Frankreichs und seiner Pariser Universität im Streit der Päpste,
tragen manches zum Verständnis der Grundhaltung bei. Schon
da^ der Kanzler seine älteren Ausführungen durch einen praktischen
Teil zu ergänzen für nötig fand, der gleichwohl theoretisch
genug ist, muß als signifikant hervorgehoben werden, und zwar
um so mehr, als der unmittelbare Anlaß der Universitätsreform in
jener Zeit schon etwas in den Hintergrund getreten war. Gerson
mag damals in der mystischen Theologie schon mehr als bloß
einen neuen Weg für das Universitätsstudium gesehen haben. Zu
augenscheinlich trat die Reformbedürftigkeit der ganzen Kirche
hervor. Die Ausführlichkeit von „De mystica theologia" macht
auch die Abhängigkeit Gersons von theologischen Autoritäten
deutlicher faßbar. Nach Untersuchung der Zusammenhänge
mit dem Areopagiten und Bonaventura verweist Combes vor
allem auf Huco von Balma als das von Gerson bevorzugte Vorbild
. Das letzte Kapitel des Buches von Combes gilt dem Wirken
Gersons in der Zeit nach 1408, vor allem während des Pisancr
und Konstanzer Konzils. Hier steht durchaus der Prediger Gerson
im Vordergrund, dessen an mystischen Gedanken erstaunlich
reichen Sermones einer eingehenden Untersuchung unterzogen
weiden. Die kirchenpolitische Tätigkeit Gersons Wieb
nicht ohne Einfluß auf sein theologisches Denken, wiederum
wird ein gewisses Ungenügen an den Ausführungen früherer
Jahre deutlich und zugleich auch die reformatorischen Intentionen
vor dem Forum der Gesamtkirche.

Der Anhang bietet zwei Spezialstudien, einmal über eine
Nürnberger Handschrift von Konzilsreden und deren Verfasser,
zum anderen eine kritische Auseinandersetzung mit der 1963