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1967

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Judaica

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 7

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bis zur judischen Mystik reicht. Alle Autoren sind bemüht, die
durch die jeweilige Literatur gestellten Aufgaben im Zusammenhang
mit der entsprechenden geistigen Umwelt zu lösen und so
die Methoden der modernen Wissenschaft auf die anstehenden
Probleme der jüdischen Literatur anzuwenden.

So befaßt sich C. H. Gordon mit den „Hebrew Origins in the
Light of Recent Discovery" (S. 3-14) und versucht, in der an
ihm geschätzten Sachkenntnis besonders zwei Themen zu erörtern
: Einmal trägt er hier seine chronoligsche Einordnung
der Patriarchen ins Amarna-Zeitalter mit gewichtigen Gründen
vor, zum anderen versucht er die Zusammenhänge der altvor-
derorientalischen Welt mit der mykenischen auf Grund der Textfunde
von Ugarit sicherzustellen. E. A. Speiser steuert in „The
Wife-Sister Motif in the Patriarchal Narratives" (S. 15-28) neue
Aspekte zu dem jüngst mehrfach behandelten Thema „Die Gefährdung
der Ahnfrau", Gn. 12, 10-20; 20, 1-18; 26, 6-11, bei,
indem er die in den churritischen Texten von Nuzi erkennbare
familienrechtliche Praxis nachweist, die dem Bruder gegenüber
seiner Schwester besondere Verpflichtungen überträgt, welche
er dem Ehemann bei der Eheschließung und Übergabe seiner
Schwester auferlegt. Dieses Ehefrau/Schwester-Verhältnis scheint
das Verhalten der Patriarchen Abraham und Isaak zu erleuchten.

N. M. Sarna „Psalm 89: A Study in Inner Biblical Exegesis"
(S. 29-46) weist in dem genannten Lied verschiedene formale
Elemente, das des Orakels .Hymnus' und der Klage, nach und
verlegt die Entstehung nach der inhaltlichen Deutung in das
Jahr 735/34 v. Chr. H. L. Ginsberg setzt in „The Quintessence in
Koheleth" (S. 47-59) die Lebensweisheit des Predigers in Beziehung
zu dem guten Ratschlag, welchen Utnapischtim (Col. X)
dem das ewige Leben suchenden Gilgamesch erteilt, den nämlich
, die Güter des Daseins zu genießen, solange dafür Zeit gewährt
ist. R. Gordis wiederum bemüht sich in „Elihu the Intru-
der: A Study of the Authenticity of Job (Chapters 32-33)" (S.
60 -78) um den Nachweis der integrierenden Zugehörigkeit der
Elihu-Reden zur Konzeption des Hiob-Buches.

Textlich^sprachlichen Eröterungen wendet sich M. H. Goshen-
Gottstein in „The Rise of the Tiberian Bible Text" (S. 79-122)
zu. Er setzt sich mit P. Kahles These über die Entstehung des
Masoretischen Textes kritisch auseinander und sucht die lebendige
Texttradition herauszustellen, die infolge organischer Entwicklung
zum textus receptus der Masoreten geführt hat. Textfragen
beschäftigen auch I. Twersky, der in „The Beginnings of
Mishneh Torah Criticism" (S. 161-182) die Anfänge textkritischer
Untersuchungen, welche die Mischne Torah des Mai-
monides unter den mittelalterlichen jüdischen Gelehrten hervorgerufen
hat, behandelt. A. S. Halkin untersucht in „The Medieval
Jewish Attitüde toward Hebrew" (S. 233-248) die unterschiedliche
Verwendung und Bewertung der hebräischen Sprache bei der Abfassung
von Abhandlungen der europäischen und orientalischen
jüdischen Theologen des Mittelalters.

Mehr den inhaltlich-sachlichen Fragen ist S. Lieberman in
„How Much Greek in Jewish Palestine?" (S. 123-141) zugewandt.
Dabei stellt er die griechisch-hellenistische Philosophie und Ethik
der rabbinischen Lebensweisheit gegenüber und versteht bei
ähnlicher oder gar gleicher Themastellung auf beiden Gebieten
die Unterschiedlichkeit und Eigenständigkeit beider zu klären.
M. Smith geht in „Observations on Hekhalot Rabbati"
(S. 142-160) auf eine spätjüdische, magisch-gnostische Sammlung
ein, die das Bestehen des Menschen bei der Begegnung mit dem
Thronwagen Gottes ermöglicht. Christlich-gnostische Einflüsse
sind nicht zu übersehen. Einer besonderen Gestalt der jüdischen
Geistesgeschichte ist A. Hyman in seinem Beitrag „Spinoza's
Dogmas of Universal Faith in the Light of their Medieval Jewish
Background" (S. 183-195) auf der Spur. Nach ihm ist Spinoza
in seinen religiös-ethischen Ideen der Lehre Maimonides' verpflichtet
. A. Altmann, der Herausgeber, vergleicht in „The Delphic
Maxim in Medieval Islam and Judaism" (S. 196-232) die Ausprägungen
des delphischen „Erkenne dich selbst!": in der islamischen
und jüdischen Religionsphilosophie.

Indices von zitierten Bilbelstellen, genannten Namen und behandelten
Sachgegenständen beschließen den Band und machen
dem abendländischen Nichtjuden die Beschäftigung mit den von

hervorragenden Gelehrten des heutigen Judentums behandelten
Themen ersprießlich. Die häufige Erwähnung M. Maimonides'
im Namenindex läßt die Bedeutung dieses mittelalterlichen Gelehrten
für die jüdische Wissenschaft der Gegenwart deutlich
erkennen. Dieses Zeugnis des jüdischen Selbstverständnisses ist
für den Nichtjuden äußerst aufschlußreich, wird jedoch mit die
Sache würdigender Kritik angenommen.

Halle /Saale Gerhard Wallis

JUDAICA

Glatzer, Nahum N.: Anfänge des Judentums. Eine Einführung
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1966).
104 S. 8°. Kart. DM 16.80.

Mit seinem knapp gefaßten Werk will der in Amerika wirkende
Gelehrte alle Interessierten in die Anfänge des Judentums
einführen. Da es ihm, wie er im Vorwort schreibt, unmöglich
ist, „Judentum" eindeutig zu definieren, begnügt er sich
damit, in sieben Kapiteln die ihm wesentlich erscheinenden
Strömungen darzustellen: Hellenistisches Judentum / Wesentliche
Lehren des pharisäischen Judentums (wobei Glatzer „pharisäisch"
gleich „rabbinisch" setzt) / Am Rande des Judentums / Hillel
der Alte und die Sekte vom Toten Meer / Flavius Josephus '
Jochanan ben Sakkaj und die Apokalyptik / Jochanan aus Tibe-
rias. Damit der Leser sich zurechtfinden kann, schickt er als I.
Kapitel einen vom babylonischen Exil bis zum Abschluß der beiden
Talmude reichenden geschichtlichen Überblick voraus. Mit
anderen Worten: Glatzer legt sieben ansprechend geschriebene
Essays vor, eine Methode, die gerade bei Glatzers Absicht zu
belehren (vgl. das Vorwort) vor einer systematischen Darstellung
den Vorzug verdient, weil sie vor dem Leser plastische
Geschichtsbilder erstehen läßt. Die Möglichkeit, zwischen den
verschiedenen Kapiteln Beziehungen herzustellen oder sich zu
dem einen oder anderen Begriff Informationen zu verschaffen,
wird durch das die Seiten 100-104 umfassende Register gewahrt.
Dem Rezensenten drängt sich indessen der Verdacht auf, daß
das Buch etwas zu schnell auf dem Markt erscheinen mußte;
anders könnte er sich nämlich gewisse Mängel nicht erklären.
Wendete sich der Autor an die Fachwelt, so fielen sie nicht besonders
ins Gewicht. Da das Buch jedoch für die breite Öffentlichkeit
bestimmt ist, kann man sie nicht stillschweigend übersehen
; der Laie ist nicht in der Lage, eine kritische Kontrolle
auszuüben, zumal die gewählte Methode einen weitgehenden
Verzicht auf die Auseinandersetzung mit der Literatur bedingt.
Ich greife einige bezeichnende Beispiele heraus:

1. In dem „Die messianische Zeit und die kommende Welt"
übsrschriebenen Unterabschnitt des III. Kapitels führt er neben
dem 4. Esra als Hauptquelle „das hebräische oder aramäische,
wohl um die Wende des zweiten zum ersten Jahrhundert verfaßte
Buch Henoch" (S. 54) ein und erweckt somit den Eindruck,
als rührten die folgenden Zitate daher. Sie entstammen indessen
G. Beers Übersetzung des äthiopischen Henoch bei E. Kautzsch,
Die Apokryphen und Pseudrpigraphen des Alten Testaments,
1900, 2. Bd., S. 217-310. Die Frage hebräisch-aramäisch dürfte im
übrigen entschieden sein, seit man in der vierten Höhle von
Qumran aramäische Henoch-Handschriften gefunden hat, allerdings
nicht von den Kapiteln 37-71, denen bei Glatzer besondere
Beweislast zufällt (J. T. Milik, Dix ans de decouvertes dans
le desert de Juda, Paris 1957, S. 30 f.).

2. In dem nämlichen Kapitel werden die rabbinischen Quellen
undifferenziert zusammengesehen, gleichgültig, ob es sich
um Mischna, Tosefta, tannaitischen Midrasch, die beiden Talmude
oder späte Sammlungen homiletischer Midraschim handelt
. Es wäre zu berücksichtigen, daß dieses Material aus verschiedenster
Zeit stammt und durch zu verschiedenen Zwecken
erfolgte Tradierung und Kompilation eine Umformung erfahren
hat.

3. Aus der Sulpicius Severus-Stelle .....adhibito consilio

. . . at contra alii et Titus ipse evertendum inprimis templum
censebant" einen ausdrücklichen Zerstörungsbefehl Jerusalems
herauslesen zu wollen (S. 76), ist zweifellos eine Überinterpretation
.