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Ausgabe:

1967

Spalte:

28-29

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bič, Miloš

Titel/Untertitel:

Die Nachtgesichte des Sacharja 1967

Rezensent:

Bright, John

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1

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Wesentlich ist hier die Unterscheidung zwischen „Tradition" und
„Interpretation", deren Verhältnis im folgenden Abschnitt (160—191)
noch systematisch dargestellt wird. „Tradition" ist für den Verfasser
der Tatbericht als der Urkern des Kapitels, der sich zwar nicht mehr
vollständig rekonstruieren läßt, dessen wesentliche Elemente sich jedoch
aus der jetzt vorliegenden Überarbeitung klar herausschälen lassen.
Dieser Urkern (1, 2.4b.7.9LXX, 12.16.21.25.26—27a; 2, 2 f. (?) enthalten
ihn in einem Grundbestand, vgl. den Überblick, 161) ist im
wesentlichen durch die Elemente bestimmt, die auf die altorientalischen
Vorbilder zurückgehen, aber in der vorliegenden Form schon von dem
theologischen Gestaltungswillen der Tradenten geprägt sind. In diesem
ältesten Schöpfungsbericht wurde die Erschaffung der Welt durch
die Tat Gottes vollbracht; charakteristisches Stichwort ist das Verbum
fTOS „machen" (das später an einigen zentralen Stellen aus theologischen
Gründen durch den prägnanten Ausdruck ttia „schaffen"
ersetzt wird, vgl. 165 ff.), das die Schöpfung der Welt wie das Tun
eines Handwerkers darstellt.

„Interpretation" ist demgegenüber der „Wortbericht", den die
Priesterschrift ganz konsequent jedem einzelnen Abschnitt des Tatberichtes
voranstellt. Dieser wird zwar nicht beseitigt, aber uminterpretiert
, indem die neue Deutung vorangestellt wird (171). „Vorordnung
besagt Überordnung; das Nachgeordnete ist von dem Vorgeordneten
her zu verstehen." (Zwar ließe sich mindestens ebenso
häufig im Alten Testament auch das umgekehrte Prinzip des umdeutenden
Anhanges nachweisen, aber für diesen Fall wird es zutreffen.) Indem
das Wort die Rolle der schöpfenden Kraft übernimmt, wird Abstand
und Überlegenheit des Schöpfers über sein Geschöpf stärker
hervorgekehrt und die Gefahr des Antropomorphismus, die in der alten
Vorstellung lag, überwunden. Obwohl es auch altorientalische
Parallelen für die Hochschätzung der Macht, ja sogar schöpferischen
Kraft göttlichen Wortes gibt (vgl. den Exkurs 173 ff.), hat Israel nach
Ansicht des Verfassers diese altorientalische Hochschätzung des Wortes
doch nicht übernommen, vielmehr sind die auffallend späten Belege für
die Schöpfung durch das Wort erst die Folge der prophetischen Verkündigung
, welche eine Hochschätzung des Wortes mit sich brachte
(175 ff.).

Diese Unterscheidung zwischen „Tradition" und „Interpretation"
gibt, wenn sie vielleicht auch nicht mehr ist als ein neuer Ausdruck
für ein schon längst beobachtetes Verhältnis (überhaupt könnte man an
der Arbeit bei aller ihrer Gründlichkeit vielleicht eines, nämlich etwas
den Reiz der neuen Idee, vermissen), einen guten Maßstab ab für die
Aufschlüsselung des komplizierten Werdeganges des Kapitels. Und mit
Zustimmung wird man bemerken, daß der Überlieferungsvorgang nicht
einlinig als ein bloßes Gegenüber von „Tradition" und „Interpretation"
verstanden wird, sondern erkannt ist, daß es sich um einen „langen
Überlieferungsprozeß" handelt, in dem verschiedene Stadien aufeinander
folgen (161.163 f.; vgl. bes. S. 163 u. Anm. 4). Insofern werden
die Begriffe „Tradition" und „Interpretation" an ihre Grenze
geführt, als die (ältere) „Interpretation" für die jüngere sofort wieder
zur „Tradition" wird, die sie nun ihrerseits neu interpretiert.

Und hier geraten wir an den Punkt, wo eigentlich die
kritische Frage nach der Konsequenz des eingeschlagenen Weges
einsetzen muß. Wenn das so dargestellte Verhältnis der
Traditionsstufen zueinander richtig gesehen ist (und hier scheinen
die Ausführungen des Verfassers genau mit Beobachtungen
übereinzustimmen, die man nach Ansicht des Rezensenten auch in
anderen Teilen der pentateuchischen Überlieferung machen kann),
muß man nämlich fragen, ob die dualistische Gegenüberstellung
von „Tradition" und „Interpretation" überhaupt ein in jeder
Hinsicht zureichendes Prinzip ist. Nur am Rande sei bemerkt,
daß es auch für prophetische Texte nicht ausreicht (gegen S. 163,
Anm. 4). Aber auch in Gen 1 ist die „Interpretation" ja offensichtlich
nicht einschichtig zu sehen. Hier entsteht aber nun das
Problem, daß der Verfasser die „Interpretation" der Priesterschrift
zuweist. Für diese wird die übliche Datierung der Literar-
kritik: exilische oder nachexilische Entstehungszeit, übernommen
(72 u. Anm. 5). Doch sind die Konsequenzen dieser Übernahme
zuende bedacht? Eine solche Datierung setzt ja voraus (auch wenn
für das „Sammeln und Bearbeiten" vielleicht einige Jahrzehnte in
Anspruch genommen werden, vgl. Fohrer a. a. O.), daß es sich
bei der Priesterschrift um ein doch im wesentlichen einheitliches
und auf einen Zusammenhang hin planvoll angelegtes Dokument
handelt, das auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt werden
kann. Der Verfasser arbeitet besonders im Hinblick auf das
Wochenschema und die in 2, 1 ff. erscheinende Beziehung auf die
Einsetzung des Sabbaths mit dieser Datierung (70 ff.), gerät aber
dabei in eine wenig überzeugende Beweisführung. Denn die Begründung
der Hellsverkündigung mit der Schöpfung ist keineswegs
eine exilische Neuerung (erst recht nicht eine Erfindung
Deuterojesajas, obwohl das nicht selten so dargestellt wird),
sondern gattungsmäßig begründet und in der Form des priesterlichen
Heilsorakels zuhause. Sie hängt eng mit der Schöpfungsprädikation
des Hymnus zusammen, die ihrerseits vielleicht aus
alten jebusitischen Traditionen übernommen ist (vgl. H. Schmid
in ZAW 67, 195 5, 168 ff.), also auf jeden Fall weit in die vor-
exilische Zeit zurückreicht. Vom Text her gesehen ist der beste
Hinweis auf diesen Tatbestand die Begründung des Sabbath-
gebotes im Dekalog von Ex 20, V. IIa, die u. E. fälschlich als
nachexilisch betrachtet wird (72), obwohl diese Datierung von
denen, die sie vertreten, nur wegen der Beziehungen zu Gen 1 so
angesetzt wird. Daß sie in Wirklichkeit von Gen 1 aber
traditionsgeschichtlich ganz unabhängig ist, wird jedoch ganz
richtig gesehen. Gerade diese Stelle ist also der beste Beweis
dafür, daß derartige Begründungen ebensogut in vorexilischer
Zeit denkbar sind.

Auf der anderen Seite erkennt der Verfasser deutlich die
Vielschichtigkeit auch der „Interpretation": „so läßt sich doch
mit einiger Sicherheit feststellen, daß mehrere priesterschriftliche
(sie!) Interpretationsvorgänge zu unterscheiden sind. Beispielsweise
der Wortbericht, das Speisegebot und das 7-Tage-Rahmen-
werk mit dem Sabbat als Abschluß, die sich alle als priesterschriftlich
erweisen, können kaum einem einzigen Interpretations-
stadium entstammen." (164). Hier drängt sich der Schluß auf,
daß diese verschiedenen Interpretationsvorgänge, die alle
wiederum zueinander im Verhältnis von Tradition und Interpretation
stehen, durchaus nicht auf einen einzigen, eng begrenzten
und noch dazu späten Zeitraum festzulegen sind, sondern
daß wir hier Vorgänge vor uns haben, die, der Beharrlichkeit
priesterlicher Traditionen entsprechend, wie sie sich innerhalb
des Textes auch an der Behandlung der alten Überlieferungsstoffe
zeigt, sich nur sehr allmählich und über einen beträchtlichen
Zeitraum hin zu der heutigen Endform hin entwickelt haben.
Nichts zwingt dabei, für den Hauptzeitraum dieser Entfaltung in
die nachexilische Zeit hinabzugehen, die allenfalls als Schluß-
punkt der Entwicklung in Frage kommt, da ihre Anfänge so
deutliche Beziehungen zu der alten, noch im Lande und unter
dem Einfluß der Berührung mit den Kanaanäern entstandenen
mythischen Tradition aufweisen und auch die Worttheologie
keineswegs erst so späten Ursprungs sein muß.

Das Ergebnis einer derartigen überlieferungsgeschichtlichen
Untersuchung pentateuchischer Texte, wie sie in der vorliegenden
Arbeit mit vorbildlicher Sorgfalt durchgeführt wird, drängt
also zu weiterreichenden Folgerungen auch im Hinblick auf den
Gesamtcharakter der Quellen, beispielsweise der Priesterschrift,
als sie hier in den Blick kommen. Die Gesichtspunkte der literar-
kritischen Epoche, vor allem ihrer Quellendatierungen, die immer
noch als scheinbar unumstößlich weitergetragen werden, liegen
den neugewonnenen überlieferungsgeschichtlichen Einblicken
ferner, als meist angenommen wird. Hier gilt es also noch klarer
und konsequenter zu urteilen.

Ein Text wie Gen 1 bleibt für die Traditionsgeschichte
hervorragend bedeutsam, weil wir über die Überlieferungsvorgänge
des priesterlichen Bereiches des Alten Testaments
noch immer so wenig wissen. Eine alte Geringschätzung
alles Priesterlichen wirkt hier immer noch nach. In Wirklichkeit
waren es die Priester, die ganz hervorragend als Bewahrer und
Interpreten alter Traditionen gearbeitet haben, deren theologische
Leistungen aus der Gedankenwelt des Alten Testaments nicht
wegzudenken sind, wenn wir ihm nicht wesentliche Gehalte
rauben wollen. Aus diesem Grunde legt man eine Arbeit dankbar
aus der Hand, die zum Weiterdenken in dieser Richtung anregt.

Bochum Henning Graf Reventlow

Bit, Milos: Die Nachtgesichte des Sacharja. Eine Auslegung von
Sacharja 1—6. Neukirchen: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
[1964]. 75 S. 8° = Biblische Studien, hrsg. v. O. Weber,
H. Gollwitzer u. H.-J. Kraus, 42. DM 5.—.

This little book provides an exposition of Zech. 1:7—6:15

which, though based upon a thorough examination of all rele-