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Ausgabe:

1967

Spalte:

460-462

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kandler, Karl-Hermann

Titel/Untertitel:

Die Abendmahlslehre des Kardinals Humbert und ihre Bedeutung für das gegenwärtige Abendmahlsgespräch 1967

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 6

460

brief sieht PIs in der sarx zusammen mit der Forderung der Beschneidung
einen Ausdruck des alten Äons und entwickelt dann aus der Diskussion
über die zwei Söhne Abrahams heraus einen explizit apokalyptischen
Gegensatz zwischen Fleisch und Geist. Dieser gegen die Ju-
daisten gerichtete sarx-Begriff wird im Philipperbrief beibehalten, obwohl
dort auch ein neutraler Gebrauoh erscheint. In Kor A wird der
technische sarx-Begriff vermieden, weil sein Gebrauch die antisomatische
Theologie seiner gnostischen Gesprächspartner eher gestützt hätte.
In Brief B ist die Diskussion anders gelagert; deshalb konnte der technische
Begriff dort gebraucht werden, um die Gnostiker als Angehörige
des alten Äons zu bezeichnen. Das gleiche geschieht in den Briefen C
und D hinsichtlich der Theios-Aner-Missionare. Im Römerbrief wird
der ursprüngliche Horizont des sarx-Begriffes wieder sichtbar, weil er
dort die sündige Selbstbehauptung der Nomisten und des alten Äons
ausdrückt. Demnach ist für Pls sarx physisch das Fleisch, das z. B. beschnitten
werden kann, und zugleich eine dämonische Macht des alten
Äons. Da der Gegensatz zwischen Fleisch und Geist apokalyptisch verstanden
wird, bleibt die Schöpfungslehre ungefährdet; ein neutraler
Gebrauch von sarx ist noch immer möglich, weil der Christ bis zum
endgültigen Kommen des neuen Äons im alten ausharren und dienen
muß.

Hinsichtlich des soma-Begriffs gilt, daß Pls bei seiner Verwendung
nur teilweise von der hellenistischen Popularphilosophie beeinflußt
war und aus ihm einen physisch gedachten Begriff gemacht hat.
Da die gnostische Ableitung (Reitzenstein, Käsemann, Schmithals) auf
Grund der neu gewonnenen Einsicht in die späte Entstehung des gnostischen
Erlösten-Erlöser-Mythus hinfällig geworden ist (Colpe, Schenke
), wird die „Leib-Adam"-VorsteIlung des Spätjudentums zur Erklärung
herangezogen. In den früheren Briefen wird soma noch ganz untechnisch
als Ausdruck für den sichtbaren menschlichen Leib verwendet.
Eine Neuentwicklung zeigt sich im Verlauf des Korintherbriefes A, in
dem Pls der antisomatischen gnostischen Theologie gegenüber einen
neuen Begriff von soma aufstellt: es ist Grund der Einheit der Menschen
zueinander. Diese Bedeutung wird auch in Brief B benutzt. Daneben
schafft Pls einen zweiten technischen Gebrauch, nach dem soma
die Einheit zwischen Christus und der Kirche bezeichnet. Diese neue
Bedeutung wurde auf Grund der spätjüdischen Idee von Adam als Behälter
der Seelen ermöglicht und ist in der Auseinandersetzung mit den
Gnostikern entstanden. Der soma-Begriff in den späteren Korinthcr-
briefen ist untechnisch, weil die Gesprächspartner des Apostels seine
neuen Ideen nicht verstehen konnten. Im Römerbrief begegnet uns nur
der zuerst genannte technische Gebrauch. Soma ist der leibliche Träger
der menschlichen Existenz in beiden Äonen. Die somatische Rettung
wird durch den Leib Christi bewirkt, dessen Tod und Auferstehung
den Wendepunkt der Äonen ausmacht. Eine antignostische Tendenz
wird in der differenzierten Anwendung des soma-Begriffs, vor allem
in Römer 6—8 sichtbar. Dieselbe Tendenz erklärt die merkwürdige
Vermeidung des soma-Begriffs in Rom 12, wo die Kirche — anders
als in 1 Kor 12 — nicht als Christi Leib bezeichnet wird.

Der Begriff syneidesis wurde in der Forschung auf zweifache
Weise bestimmt, ohne daß die beiden Bedeutungen auf eine gemeinsame
Wurzel zurückgeführt werden konnten. Dabei bezeichnet
syneidesis entweder das peinliche Wissen von Selbstschuld (Pierce,
Spicq) oder das Gewissensvermögen selbst (Gutbrod, Maurer). Da die
früheren Forscher (Delitzsch, Ewald, Zahn, Kähler) den paulinischen
syneidesis-Begriff von der stoischen und der späteren christlichen
Verbindung mit der Gottesstimme befreit haben, bleibt die Aufgabe,
die besondere Betonung der autonomen Autorität des Gewissens bei
Pls zu erklären. In den früheren Briefen werden statt syneidesis
Begriffe wie kardia verwendet. Erst in Kor B taucht syneidesis auf,
und zwar in zwei verschiedenen Bedeutungen, die genau den beiden
Fragen der Gemeinde an Paulus entsprechen. In seiner Antwort auf
die Frage der Gnostiker, ob das Gewissen der „Schwachen" nicht erzogen
werden sollte, verwendet Pls die syneidesis als „Gewissensvermögen
" (1 Kor 8). In 1 Kor 10 ist sie das peinliche Wissen von
Schuld; hier geht es um die Frage der Schwachen, ob das gekaufte
Fleisch nicht geprüft werden müsse. Der zweifache Gebrauch des Begriffes
ist demnach situationsbedingt. In Brief C, in dem Pls die
gnostischen Gedanken der Korinther weitgehend aufnimmt, entspricht
syneidesis der gnostischen Definition. Erst im Brief F ist sie mit der
hellenistisch-jüdischen £/enchos-Tradition verbunden. Die grundsätzliche
Zweiheit wird auch im Römerbrief beibehalten. Die Entstehung
des technischen syne/desis-Begriffs im Ringen mit den Parteien in
Korinth erklärt, warum Pls die autonome Autorität des Gewissens des
Einzelnen besonders betont hat. Da er die Gefahr der Zerstörung der
persönlichen Integrität bei den Schwachen befürchtet, falls diese gegen
ihr eigenes Gewissen der Forderung der Gnostiker, Opferfleisch zu
essen, gefolgt wären, plädiert er für die Autonomie des einzelnen Gewissens
, auch wenn es falsch orientiert ist. Auf Grund der Voraussetzung
von der Erwählung auch der Schwachen, dann der alleinigen
Gültigkeit des göttlichen Gerichts gegenüber dem menschlichen Urteil
und schließlich der hebräischen Vorstellung von der Einheit der Person

hat Paulus eine neue Idee des autonomen Gewissens entwickelt, die
mit der Vorstellung von der Gottesstimme nichts mehr gemein hat.

Der meist in paränetischen, antienthusiastisch ausgerichteten
Stellen auftretende Ausdruck nous (nouthesia usw.), der sich schon
im frühesten Stadium der paulinischen Theologie findet und in den
einzelnen Briefen nicht mehr weiter entwickelt wird, meint die Gesamtheit
der Gedanken und übernommenen Einsichten, die das Bewußtsein
des Menschen ausmacht und die Urteilskraft und Fähigkeit zur rationalen
Mitteilung bewirkt.

Phronein und die damit verwandten Begriffe, die ebenfalls meist
paränetisch gebraucht sind, finden sich bereits im Galaterbrief, werden
aber erst im Philipperbrief zu einem wichtigen Mittel in der Auseinandersetzung
mit häretischen Libertinisten. Dem häretischen Hang zum
Egoismus stellt Pls eine Gesinnung entgegen, die unter dem Eindruck
des neuen Äons gebildet ist. In Korinth trifft Pls auf einen Gebrauch
von phionimos im Sinne einer pneumatischen Autarkie, die er in den
verschiedenen Korintherbriefen und im Römerbrief bekämpft.

Den Terminus eso bzw. exo anthropos hat Pls von den Gnostikern
Korinths übernommen und in Brief C gegen die Theios-Aner-
Missionare verwendet. Auch im Römerbrief findet sich eine Spiegelung
der gnostischen Vorstellung vom pneumatischen Kern des Menschen;
auch diese Vorstellung wird wie in Kor C von Pls umgebogen. Eine
einheitliche Konzeption wird jedoch mit diesem Begriff nicht gestaltet.

Bis zur Zeit von Kor D hat Pls die Wendung pneuma tou an-
thropou in typisch urchristlichcr Weise gebraucht, wobei der zugeteilte
Geist Gottes mit dem menschlichen Geist gleichgesetzt wird. Aber in
Kor B unterscheidet Pls grundsätzlich zwischen göttlichem und menschlichem
Geist, um so die gnostische Vorstellung vom Besitz des göttlichen
Geistes abzuweisen. Da es für diese Unterscheidung in der hellenistischen
Welt keine Analogien gibt, muß sie von Pls gestaltet sein.
In den späteren Briefen kehrt der Apostel wieder zum ursprünglichen
allgemein christlichen Gebrauch zurück.

Unter den mehr oder weniger jüdisch geprägten anthropologischen
Begriffen spielt kardia eine zentrale Rolle. Pls verwendet diesen Begriff
durchgängig in der traditionellen Weise; kardia meint die Person
als das Zentrum des Wollens, Denkens und Handelns. Nur gelegentlich
erscheint kardia in der Auseinandersetzung mit den Gegnern. Neu
ist bei Pls die Verbindung mit hellenistisch anthropologischen Begriffen
, doch wird von Pls die jüdische Vorstellung von der Einheit der
Person bewahrt. Die damit verbundenen hellenistischen Termini werden
durch die Bindung an kardia neu geprägt.

Ähnlich ist es bei dem Begriff psyche, den Pls ebenfalls aus der
jüdischen Tradition übernimmt. Psyche bedeutet das sichtbare irdische
Leben oder die individuelle Person. Der typisch rabbinische Gebrauch
„Seele" erscheint bei Paulus lediglich in zwei Fällen. Im Philipperbrief
verwendet der Apostel Ausdrücke wie mia psyche, sym-
psychos und isopsychos, um das gemeinschaftliche Leben der Kirche
zu charakterisieren; diese Begriffe sind wohl von der früheren hellenistischen
Kirche entliehen. In Kor A und B verwendet Pls den
gnostischen psycnikos-Begriff in der Diskussion mit dessen Urhebern,
läßt ihn aber da fallen, wo diese nicht mehr seine Gesprächspartner
sind.

Splanchnoa stammt ganz aus dem apokalyptischen Judentum
bzw. Urchristentum und wird von Pls gelegentlich benutzt, um die vom
neuen Äon her geprägte Gesinnung auszudrücken. Dieser Begriff spielt
keine Rolle in der Auseinandersetzung mit den Gegnern und bleibt
darum stets konstant.

Zusammenfassend kann man also sagen, daß der Apostel die wichtigsten
anthropologischen Begriffe in der Auseinandersetzung mit seinen
theologischen Gegnern in wechselnder Bedeutung gebraucht. Die
wenig konstant bleibenden Termini spielen keine Rolle in seiner Auseinandersetzung
mit diesen Häresien. Mit den zentralen Begriffen verteidigt
Pls das theologische Hauptanliegen der endzeitlichen Offenbarung
der göttlichen Gerechtigkeit in Christus und zeigt mit ihnen
die Konsequenzen dieses Heilsgeschehens für den Menschen auf, wobei
er nicht abstrakte und festbleibende Lehrsätze formuliert, sondern die
Herausforderung seiner Gesprächspartner beantwortet. Nur der kardia-
Begriff stellt eine Art von beständigem Kern in der paulinischen Anthropologie
dar.

Kandier, Karl-Hermann: Die Abendmahlslehre Kardinal Humberts
und ihre Bedeutung für das gegenwärtige Abendmahlsgespräch.
Diss. Leipzig 1966. VI, 153 S.

Diese Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, einerseits die Abcndmahls-
lehre Kardinal Humberts (gest. 1061) aus ihrer Zeit heraus darzustellen
, andererseits sie aber für das Abendmahlsgespräch der Gegenwart
fruchtbar zu machen.

Teil A („Dogmcngeschichtlicher Hintergrund") stellt die Abcnd-
mahlslehre Humberts in die dogmengeschichtliche Entwicklung hinein.