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Ausgabe:

1967

Spalte:

440-442

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Geyer, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Von der Geburt des wahren Menschen 1967

Rezensent:

Sperl, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 6

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Heilsanstalt, die objektive Heilsgewißheit auf Erden verbürgende
römische Kirche, zerbrach" (258).

Man wird den Wert der vorliegenden Untersuchung nicht
allein nach dieser Schlußthese bemessen dürfen. Die Untersuchung
ist vielmehr in erster Linie als eine Darstellung der nomi-
nalistischen Abendmahlslehre zu werten, und in dieser abgegrenzten
Darstellung des Quellenbestandes besteht ihr besonderer
Wert. Freilich zieht der Verf. gerade aus seiner Quellendarstellung
nicht die erforderlichen Konsequenzen: Seine Schlußthese
z. B. steht im Widerspruch zur eigenen Quellenanalyse,
die insbesondere bei Gabriel Biel eine grundsätzliche Zuordnung
der Schriftauffassung und Ekklesiologie mit eindeutiger Betonung
der letzten ergibt. Die Differenzierung zwischen einem
„echten" Nominalismus und einem „falschen", wie sie der Verf.
unternehmen möchte, ist damit lediglich hypothetischer Natur.
Insofern läßt sich die Abendniahlslehre und Theologie Luthers
aus dem Nominalismus auf Grund der vom Verf. gelegten Basis
nicht erklären. Was der Verf. z. B. von seiner Basis aus gegen
die Auffassung Ernst Sommerlaths, der Gedanke der Realpräsenz
bei Luther sei aufs engste mit seiner theozentrischen Gottesanschauung
verknüpft (Der Sinn des Abendmahls nach Luthers
Gedanken über das Abendmahl 1527—1529, Leipzig 1930),
an Einwänden erhebt (257), entbehrt einer sachlichen Grundlage
.

In scharfem Widerspruch steht der Verf. mit seiner These
zu den Ergebnissen der Nominalismus-Forschungen Leif Granes,
der nicht überzeugt ist, daß der Ockhamismus irgendwelchen
Einfluß auf Luther ausgeübt habe (a. a. O., S. 378 u. S. 380).
Der Ockhamismus könne „zwar ein Stück von Luthers theologischem
Weg veranschaulichen, aber er kann ihn nicht erklären
" (ebd., S. 382). Es ist sehr zu bedauern, daß der Verf. diese
Untersuchung Leif Granes, die 1962 erschien, nicht mehr verwertet
hat, wie er überhaupt die gesamte neuere Literatur in auffälliger
Weise übergangen hat (so u. a. die einschlägige Darstellung
der Abendmahlslehre Biels von Pasquale A n a t r i e 11 o ,
La dottrina di Gabriele Biel sull' Eucaristia, Mailand 1937). Für
die Folgerungen, die der Verf. aus seiner Darstellung ziehen
möchte, wäre eine Auseinandersetzung mit der neueren Literatur
erforderlich gewesen.

Dieser Hinweis braucht jedoch die eigentliche Quellendarstellung
der vorliegenden Untersuchung nicht in gleichem Maße
zu treffen. In dieser meist auf schwierigen Handschriften beruhenden
akriben Quellendarstellung muß die anregende Bedeutung
der vorliegenden Untersuchung für die weitere Beschäftigung
mit dem Nominalismus erblickt werden, zumal ein nicht
geringer Teil des vom Verf. benutzten Quellenmaterials durch
Editionen (so durch die Edition von Biels Expositio Canonis
Missae, Bd. Uli, Wiesbaden 1963—1964, ed. H. A. Oberman,
W. J. Courtenay, Daniel E. Zerfoss) auch einem breiteren Leserkreis
zum Vergleich inzwischen zugänglich gemacht worden ist.

Erlangen lernst-Wilhelm Kohls

Essler, W. K.: Untersuchungen zum zweiten Gottesbeweis des hl.
Thomas von Aquin (FS 49, 1967 S. 134—136).

Ganzer, Klaus: Das Mehrheitsprinzip bei den kirchlichen Wahlen
des Mittelalters (ThQ 147, 1967 S. 60—87).

Heynck, Valens: Zur Datierung des „Correctorium fratris Thomae"
Wilhelms de la Mare (FS 49, 1967 S. 1—21).

Moral, Thomas: Teoria y practica de la „Lectio divina" en h
Congregaciön de S. Benito de Valladolid (Rcvista Agustiniana VII,
1966 S. 382—420).

Prevovsky, O.: Pietro Bohier, difensore della dignitä episcopale
all'inizio dello scisnia d'Occidente (Salesianum 28, 1966 S. 626—671).

Robleda, O.: La noeiön tomista de la Ley en relaciön con las
ideas romanas (Gregorianum 48, 1967 S. 284—301).

S t e i d 1 e , Basilius: Zur lateinisch-französischen Ausgabe der Magister-
Regel (ThRv 63, 1967 Sp. 9—12).

U 1 1 m a n n , Walter, Prof.: Papst und König. Grundlagen des Papsttums
und der englischen Verfassung im Mittelalter. Salzburg-München
: Anton Pustet [1966]. 82 S. 8° = Salzburger Universitätsschriften
. Dikc. Schriften zu Recht und Politik, hrsg. v. R. Marcic,
E. Mock, F.-M. Sdimölz, E. Weinzierl, 3. Kart. DM 11.80.

W e i g 1 e , Fritz [Bearb.]: Die Briefsammlung Gerberts von Reims.
Weimar: Böhlau 1966. V, 286 S. 4° = Monumenta Gcrmaniac Hi-
storica. Die deutschen Geschichtsquellen des Mittelalters 500—1500.
Die Briefe der deutschen Kaiserzeit, 2. DM 36.—.

Zimmermann, Harald: Das Problem des Mittelalters in der Kirchengeschichtsschreibung
des deutschen Protestantismus (Geschichtswirklichkeit
u. Glaubensbewährung. Festschrift für Bischof Friedrich
Müller. Stuttgart: Ev. Verlagswerk 1967 S. 108—129).

KIRCHENGESCHICHTE: BEFORMATWNSZEIT

Geyer, Hans-Georg: Von der Geburt des wahren Menschen.

Probleme aus den Anfängen der Theologie Melanchthons. Neukirchen
: Neukirchener Verlag d. Erziehungsvereins [1965]. 381 S.
gr. 8°. Kart. DM 39.50.

Die Theologie der Jahre 1519 — 1522 ist das im letzten
Jahrzehnt bevorzugte Arbeitsfeld der Melanchthonforschung.
Nur eine eindringende Kenntnis der Anfänge ermöglicht ein
Verständnis des späteren Systems. Diese Überzeugung hat den
Vf. zu einer sorgfältigen und umfangreichen Analyse der frühen
melanchthonischen Theologie, genauer: der Rechtfertigungslehre
und der damit verknüpften Probleme bestimmt. Die spätere
Zeit ist nicht ganz übergangen; im 3. Abschnitt der Untersuchung
wird sie ausdrücklich mit einbezogen. Daß dieser letzte
Teil einen Ausblick bis in das Jahr 1545 enthält, könnte auf
einen an der geschichtlichen Entwicklung orientierten Aufbau
hinweisen. Doch die systematischen Gesichtspunkte überwiegen.

Im Teil A ,De apostoli Pauli doctrina adversus Philosophiam'
(13—122) werden die Probleme der Methode, der menschlichen Natur
und des Verhältnisses zur Philosophie behandelt. Entsprechend dieser
Thematik werden neben den Frühschriften auch die ersten Loci herangezogen
: in ihnen ist die Anthropologie ausführlich und in scharfem
Gegensatz gegen die Philosophie entfaltet. Da Erasmus die bestrittene
Position vertritt, wird seine Auffassung der melanchthonischen in
einem ausführlichen Unterabschnitt gegenübergestellt (99—122). Für
die ganze Darstellung ist charakteristisch auf der einen Seite eine
minutiöse Interpretation zusammenhängender Abschnitte — z. B.
umfassende Erhellung der rhetorischen Tradition, aus der Melandithon
sdiöpft. Neben den Quellenschriften von Aristoteles, Cicero und
Quintilian werden besonders die Hinweise ausgewertet, die H. Lausberg
, Handbuch der Rhetorik (1960) bietet (4lff.). Aus der Fülle
der interessanten Einsichten sei nur eine als besonders instruktiv herausgegriffen
. Vf. zeigt die Mehrdeutigkeit des Begriffes .liberum arbi-
trium' auf und er weist nach, daß Melanchthons Ablehnung engstens
rerknüpft ist mit der Exegese des Begriffes <xapf. Mit der Negation
des liberum arbitrium bringt er zum Ausdruck, daß er die caro im
pauliniichen Totalsinn versteht (96).

Das Zentrum der Untersuchung bildet der Teil B ,De novi hominis
nativitate' (123—316). Im ersten Abschnitt ,Das discrimen legis
et evangelii' (123ff.) wird die entscheidende Wandlung innerhalb de;
Frühstadiums markiert. Während zuerst (bis ca. 1520) „die Gleichsetzung
von gratia und Spiritus sowie die Korrelation von lex und Spiritus
" charakteristisch waren, tritt seit den Capita (Anfang 1521) die
Polarität von Gesetz und Evangelium als Grundverhältnis hervor. Obwohl
das eine .Revolution" bedeutet, hat Melanchthon diesen Schritt
nie als einen Bruch empfunden. Vielmehr ist er bestrebt, das frühere
Verständnis als ein Element innerhalb der neuen Konzeption zu erhalten
. Über »Möglichkeit und Legitimität dieser Integration" (123)
hat er niemals reflektiert. Mit diesen ersten Gedanken des Teiles B
ist das fundamentale Problem samt der Position des Vf.s markiert.
Nach dessen Überzeugung kombiniert Melanchthon heterogene Elemente
, ohne sich der Problematik dieses seines Unternehmens auch
nur bewußt zu werden. Das Geistverständnis spiegelt diesen Integrationsvorgang
besonders deutlich: Während der Geist im Entsprechungsschema
als „Tat-Kraft" der Gesetzeserfüllung verstanden war, korrespondiert
er im Rahmen der Unterscheidung „als Macht zur .certitudo
credendi'" dem Evangelium, das die Sündenvergebung zuspricht. Doch
beides verbindet und durchdringt sich, „ohne daß ihre prinzipielle Verschiedenheit
jemals scharf zu Bewußtsein gekommen wäre". So kann
jene „nuancenreiche Kreuzung" auch nicht „kritisch kontrolliert" werden
(139) und sie belastet durch ihre Unklarheit die weitere Entwicklung
.

Dies zeigt sich z. B. bei der Bewertung des gesetzlichen Heilsweges
. Melanchthon negiert wohl scharf jede Rechtfertigung durch Gesetzeswerke
. Doch er bewegt sich damit auf „der Linie der konservativen
Interpretation der Unmöglichkeit der Rechtfertigung des Menschen
durch das Gesetz als Unmöglichkeit der Gesetzeserfüllung für den