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Ausgabe:

1967

Spalte:

437-439

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Damerau, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Abendmahlslehre des Nominalismus insbesondere die des Gabriel Biel 1967

Rezensent:

Kohls, Ernst-Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 6

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gedankcn Joachims von Fiore kam, wie unablässig er damit innerlich
rang, um sie mit der kirchlichen Lehre in Einklang zu
bringen. Das macht auch sein zwiespältig beurteiltes Verhalten
zu seinem Vorgänger Johann von Parma begreiflich (s. S. 42ff.),
der ihn selbst zum Nachfolger als Ordensgeneral empfahl und
doch dann als Joachit von ihm zur Rechenschaft gezogen und
verurteilt werden mußte. Drei Jahre später, nachdem er die Or-
dens-Constitutionen neu redigiert hatte (und alle früheren Ordensgesetze
vernichten ließ wie nachher alle früheren Franziskus
-Legenden), übernahm es Bonaventura, nun auch das Leben
des Franziskus für seinen Orden neu und gültig darzustellen.
Kam es ihm dabei wirklich auf „ein getreues Bild des Heiligen"
an? (S. 191). Hat er nicht vielmehr - und das ist für uns doch
etwas anderes! — dessen „heilsgeschichtliche Sendung . . . zum
Aufbauprinzip seines Franziskusbildes gemacht"? (so zutreffender
S. 218). Im Prolog — und nun sogar im Buchtitel der Übersetzung
— erscheint Franziskus als Erfüllung jener Verheißung
der Johannes-Apokalypse (7,2), daß bei der Öffnung des sechsten
Siegels ein Engel vom Aufgang der Sonne aufsteigt, der das
Zeichen des lebendigen Gottes trägt — die Stigmen! Damit hat
sich Bonaventura von den „falschen Spekulationen" Joachims
und der Joachiten weniger „distanziert" (S. 219, ähnlich S. 222)
als befruchten lassen zu einer dem Kirchcnglauben gemäßeren
Deutung der in Franziskus und seinem Orden sich erfüllenden
apokalyptischen Verheißung für die Endzeit. „Sieht er in Franziskus
schon in etwa (!) den verklärten Zustand nach der Wiederkunft
des Herrn vorweggenommen" (S. 238), so hätten ihm
darin die Jochiten wohl zugestimmt. Heutigen Lesern aber ist
das schwer verständlich zu machen ohne gründliche Kenntnis der
Endzeit-Erwartungen Joachims und der Joachiten, die den Franziskaner
-Orden um die Mitte des 13. Jahrhunderts tief erregten,
auch den Theologen und Ordensführer Bonaventura zeitlebens
begleiteten und zum Weiterdenken anspornten. Nur dadurch wird
auch die Absicht, die Eigenart und Leistung seiner Franziskus-
Legenden verständlich. So dankbar man für ihre schöne, erstmals
vollständige Verdeutschung sein muß, die gelehrte Einführung
in ihr rechtes Verständnis wird noch mancher weiteren Klärung
bedürfen, ohne daß sich dadurch die bewundernde Verehrung
für Bonaventura mindern müßte: sie wächst mit der Erkenntnis,
wie zuinnerst beteiligt er den Fragen und Nöten seiner Zeit in
seinem Orden begegnete, wie er sie auf eigene Weise meisterte
(nicht schulmeisterte!) — auch mit seiner neuen Franziskus-Darstellung
und -Deutung.

München Herbert Gnindmann

Damer au, Rudolf: Die Abendmahlslehre des Nominalismus, insbesondere
die des Gabriel Biel. Gießen: Wilhelm Schmitz Verlag
[1964]. 261 S. 4° = Studien zu den Grundlagen der Reformation.
[Hrsg." v. Verf., Bd. l].

Der spätmittelalterlichcn Theologie hat sich in zunehmendem
Maße das Interesse der historischen Forschung zugewandt,
wie nicht zuletzt der instruktive Überblick von Heiko A. Ober-
man, ThLZ. 91, 1966, Sp. 401—416 veranschaulichen kann. Insbesondere
ist u. a. die Gestalt Gabriel Biels in gewichtigen
neueren Aufsätzen und Monographien untersucht worden, wobei
nur die Untersuchung von Leif Grane, Contra Gabrielem. Luthers
Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio
Contra Scholasticam Theologiam 1517 (Kopenhagen 1962) und
von Heiko A. Oberman, The Harvest of Medieval Theology.
Gabriel Biel and Late Medieval Nominalism (Cambridge 1963;
dtsche Ausgabe: Spätscholastik und Reformation, Bd. I, Zürich
1965) hier genannt werden sollen. Gerade der Nominalismus
und speziell die Theologie Gabriel Biels besitzen für die Lutherforschung
ein erhöhtes Interesse, weil Luther nachweislich
Gabriel Biel literarisch gekannt hat. Allgemein ist hier
das Problem von „Vorläufern" Luthers akut, das in der übergreifenden
Frage eines — wenn auch nicht unkritischen — Zusammenhangs
zwischen Luther und dem sog. Nominalismus kulminiert
— einer Frage, der namhafte Dogmenhistoriker wie
Reinhold Seeberg und Heinrich Hermelink positiv gegenübergestanden
haben.

Der Verf. der vorliegenden Untersuchung tritt mit Heinrich
Hermelink dafür ein, „daß das innere Werden und die Anfänge
der Theologie Luthers noch mehr als bisher aus der okha-
mistischen Basis heraus erklärt werden müssen. Aus den Widersprüchen
der okhamistischen Theologie und speziell des Biel-
schen Collcktoriums [= Sentenzenkommentars] sei das Weiden
des Reformators zu begreifen" (13). Grundlegend für die Ausformung
aller nominalistischen Theologie und insbesondere
der nominalistischen Abendmahlslehre ist die Theologie Ockhams
zu betrachten, die der Verf. im Blick auf die Abendmahlsaussa-
gen einleitend skizziert, wobei im wesentlichen an die Arbeit
von Erwin Iserloh: Gnade und Eucharistie in der philosophischen
Theologie des Wilhelm von Ockham (Wiesbaden 1956) angeknüpft
und zugleich der maßgebliche Tradent an die Folgezeit
Robert H o 1 c o t mitberücksichtigt worden ist (20ff.). Die
Grundproblematik der ockhamistischen Abendmahlsauffassung beruht
entscheidend auf der Einstellung Ockhams zur Universalienfrage
; die Bestreitung der Realität der Allgemeinbegriffe führt
von der Aussage ontologischer Wirklichkeiten fort in primär erkenntnistheoretische
z. T. naturphilosophische Fragen und Erörterungen
. Der Verf. stellt als grundlegend für Ockhams Abend-
mahlslehrc einerseits die Frage nach dem Wesen der Accidentien
und andererseits nach der Trennung der Accidentien vom Subjekt
heraus (21). Auch in der folgenden theologischen Tradition
des Nominalismus wirkt diese Problemstellung hinsichtlich der
Abendmahlslchrc maßgeblich nach, wie ein eingehender Überblick
über Heinrich von Langenstein (32—54), Marsilius von
Inghen (55—59), Peter d'Ailly (60—62), Heinrich von Hessen
(63—75), Nikolaus von Dinkelsbühl (76—94) und den Inhalt des
Heidelberger Lehrgutachtens über die Messe vom Mai 1451
(95—104) zeigen kann. Durchgängig wird freilich die Abendmahlslehre
innerhalb der nominalistischen Tradition immer wieder
durch thomanische Einflüsse mitbestimmt, was der Verf.
hinsichtlich Gersons, Heinrichs von Dinkclsbühl und der Heidelberger
Nominalisten besonders betont (25f.). Auch bei dem
Schlußglied der ockhamistischen Kette: Gabriel Biel kommt
in großem Maße thomanisches und ebenfalls statistisches Gedankengut
zum Tragen (vgl. z. B. 247ff.), so sehr sich auch Biel
immer wieder kritisch mit Thomas auseinandersetzt, — etwa in
der Frage einer von den Sakramenten gewirkten Dispositio (117
und 195f.).

Mit Recht hat der Verf. gerade Gabriel Biel am ausführlichsten
behandelt (111—252), denn Biels Expositio Canonis
Missae enthält in einzigartiger Weise eine Zusammenfassung
auch der spätmittelalterlichen Abendmahlslehre. Das Gesamtziel
des Verfs. bei der ausführlichen Darstellung der Einzeldarlegungen
Biels — etwa zur Form der Eucharistie (15 iff.), zur Realpräsenz
(179ff.) zur Transsubstantiation (198ff.) — besteht darin,
zu zeigen, daß bei Biel immer wieder in besonderer Weise mit
der Hl. Schrift argumentiert werde, etwa in der ausführlichen
Deutung der Einsetzungsworte durch Biel oder in seinem Versuch
, die Siebenzahl der Sakramente auch biblisch zu begründen
(250). Der Verf. gesteht zu: „Trotzdem bleiben die Determination
durch die Kirche und ihre Sitte für Biel Maßstab zur Ausdeutung
von Schriftwahrheiten" (250). Und der Verf. stellt jene
Einzelaspekte der Biel'schen Abendmahlslehre abschließend zusammen
, in denen die Autorität der Kirche für Biel
letztlich konstitutiv ist: „ . . . Die Transsubstantiation, die
Begründung der Siebenzahl der Sakramente, die Vorbereitung
auf den Abendmahlsempfang, die Enthaltung von Essen und
Trinken vor der Komunion, die Art des Brotes bei der Weihe
[sie!], die Zumischung von Wasser zum Abendmahlswein, der
Empfang sub una für den Laien" (ebd.). Dennoch urteilt der
Verf. anschließend: „...Biel war ein vorsichtiger Mann, der
mit der Lehrautorität der Kirche nicht in Konflikt kommen
wollte — die Nominalisten waren in dieser Zeit der Kctzerrie-
cherei wegen ihrer Einstellung zur Transsubstantiationslehre den
Thomisten irgendwie verdächtig — . . . " (251). So habe Biel in
seiner Abcndmahlslehre mit seinem „Bekenntnis zur Lehre der
Mutter Kirche nur... der drohenden Möglichkeit eines Lehrzuchtverfahrens
" entgehen wollen. Schließlich folgert der Verf.
Ansätze eines „positiven" und „echten" Nominalismus bei Biel,
die Luther später in die „reformatorische Entwicklung hineindrängen
mußten" (256). Luther habe die Ansätze eines „echten"
Nominalismus weiterentwickelt, indem „für Luther die bisherige