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Ausgabe:

1967

Spalte:

435-437

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bonaventura Sanctus, Franziskus Engel des sechsten Siegels 1967

Rezensent:

Grundmann, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 6

436

Augustinus, Aurelius: Ausgewählte Briefe. Nach der Auswahl
und Übersetzung v. A. Hoffmann zusammengestellt v. H.-J. Diesner.
Leipzig: St.-Benno-Verlag [1966]. 437 S. 8°.

Langgärtner, Georg: Der Apokalypse-Kommentar des Caesarius
von Arles (ThGl 57, 1967 S. 210—225).

Pines, Shlomo: The Jewish Christians of the Early Centuries of
Christianity According to a New Source. Jerusalem: Israel Academy
of Sciences and Humanities 1966. 74 S. gr. 8° = Proceedings of
the Israel Academy of Sciences and Humanities, Vol. II, 13.

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

C 1 a s e n , P. DDr. Sophronius OFM: Franziskus — Engel des sechsten
Siegels. Sein Leben nach den Schriften des heiligen Bonaventura.

Einführung, Übersetzung, Anmerkungen. Werl/Westf.: Dietrich-
Coelde-Verlag 1962. 629 S. 8° = Franziskanische Quellenschriften,
hrsg. von den deutschen Franziskanern, 7.

Verspätet ist hier auf ein Buch hinzuweisen, das seine Leser
inzwischen gefunden haben und weiterhin finden wird. In
den „Franziskanischen Quellenschriften" waren zunächst die
eigenen Schriften des Ordensgründers verdeutscht und erläutert
worden (Bd. 1), dann die Zeugnisse von und über Klara von
Assisi (Bd. 2) und Bruder Ägidius von Assisi (Bd. 3), Predigten
des Antonius von Padua (Bd. 4), die ersten, grundlegenden Darstellungen
des Franziskus-Lebens von Thomas von Celano (Bd.
5) und die Chroniken der frühen Franziskaner-Mission in
Deutschland und in England von Jordanus von Giano und Thomas
von Eccleston (Bd. 6). Darauf folgte nun der bisher umfangreichste
Band mit allem, was der bedeutendste Franziskaner
-Theologe Bonaventura, Ordensgeneral von 1257 bis kurz
vor seinen Tod während des 2. Lyoner Konzils 1274, über den
Heiligen, den er nicht mehr selbst gekannt hatte, geschrieben
und gepredigt hat: Vor allem „Das große Franziskusleben" (S.
251—436), das zur Tischlesung in den Ordenskonventen alle
vorher dafür benutzten Legenden (von Thomas von Celano und
Julian von Speyer) zusammenfassen, ersetzen, ja verdrängen sollte
; deren Handschriften waren nach einem Ordensbeschluß von
1266 zu vernichten, sind daher erst spät wenn überhaupt von
der Forschung wiederentdeckt worden, während Bonaventuras
„Legenda maior" stets bekannt blieb, oft auch in Volkssprachen
übersetzt wurde. Wie eine „Kurzfassung" davon (so S. 143) ist
die „Legenda minor" für die Chor-Lesung eingerichtet (S. 439—
477). Angefügt sind sechs Predigten über Franziskus (S. 481—
5 70) und einige Äußerungen über ihn und seinen Orden aus anderen
Schriften Bonaventuras (S. 573—588). Das alles wird nur
sehr knapp kommentiert, vor allem mit Nachweis der Bibel-
Zitate; über Datierung, Ort und Anlaß der Predigten z. B. muß
man in der weitgespannten „Einführung" (S. 152ff.) Aufschluß
suchen. Eine Zeittafel (S. 589—591) betrifft nur Franziskus, nicht
Bonaventura. Ein Namen- und Ortsverzeichnis (S. 5 93—599),
ein sehr detailliertes Sachverzeichnis (S. 600—629) und drei Kartenskizzen
der Wirkungsstätten des Heiligen (wie in Bd. 5) beschließen
den Band.

Der Herausgeber gehört zu den gelehrtesten Kennern der
Franziskus-Forschung, an der er sich schon vielfach ertragreich
beteiligt hat. Leider fehlt hier ein Literatur-Verzeichnis der nur
in Anmerkungen, oft ohne Wiederholung des Titels zitierten
Schriften. Eine sehr breite „Einführung" (S. 17—248) zur Übersetzung
behandelt zunächst Bonaventuras Leben und Schriften,
sein Wirken als Gelehrter und Ordensmann, auch als Priester
und Prediger, und dann sein „Franziskus-Bild", das durch Vergleich
mit früheren und späteren Legenden in seiner Eigenart
und Bedeutung erst recht verständlich gemacht werden soll. Dabei
polemisiert der Verf. öfters gegen die „moderne Franziskusforschung
" und ihre „methodischen Fehler", weil sie Bonaventuras
Darstellung des Franziskus-Lebens allzu einseitig auf ihre
Abhängigkeit von älteren Legenden untersucht und großenteils
als bloße „Kompilation" betrachtet habe (wie sie allerdings
schon Zeitgenossen nannten, keineswegs geringschätzig; über
den Begriff .compilare' auch bei Bonaventura selbst S. 166f.).
Clasen beanstandet sogar die typographische Unterscheidung des
von Bonaventura aus anderen Schriftquellen Übernommenen in

der kritischen Ausgabe der Legenda major (Analecta Francis-
cana 10, Fasz. 5, Quaracchi 1941) — während Josef Ratzinger'
kurz zuvor mit Recht bedauerte, daß die ältere von ihm benutzte
Quaracchi-Ausgabe der Werke Bonaventuras „es leider unterlassen
hat, die Franzi-Legende Bonaventuras quellenmäßig aufzuschlüsseln
". Die vorliegende Übersetzung verzichtet aus begreiflichen
Gründen auf solche „Quellen-Nachweise"; sie will ja weniger
für die historische Forschung verwendbar sein als für zusammenhängende
Lektüre eindrucksvoll. Nur die Einleitung
(bes. S. 190ff.) erörtert eingehend Bonaventuras Verhältnis zu
früheren und späteren Franziskus-Legenden, betont aber mit
Recht, daß daneben noch immer die mündliche Überlieferung
der Franziskus-Gefährten lebendig war, die Bonaventura auch
befragte, wie er selbst sagt. Sie hat sogar noch zwei Jahrzehnte
später zu einigen Ergänzungen seiner Legenda maior durch Ordensbeschluß
geführt (in der Übersetzung S. 275f., 43 3 f. eingeklammert
). P. Clasen erläutert an vielen Beispielen die Eigenart
dieser (wie aller) mündlichen Überlieferung, die — auch in später
aufgezeichneten Legenden wie dem „Speculum perfectionis"
u. a. — keineswegs unglaubwürdig „nur legendär" zu sein
braucht; nur wird das früher Aufgezeichnete, aus der Tischlesung
allen Bekannte dabei gern konkretisiert, genauer datiert
und lokalisiert, auch mit bestimmten Personen benannt und bereichert
, manchmal (wenn auch nicht immer) aus guter Kenntnis
und Erinnerung. Das alles ändert freilich nichts daran, daß Bonaventura
überall auf andere — schriftliche oder mündliche —
Zeugnisse über Franziskus angewiesen war; er konnte sie nur
auslesend und ausgleichend ordnen, manches auch mit Bedacht
übergehen, um ein neues Gesamtbild des Heiligen zu schaffen,
das künftig für seinen Orden verbindlich sein sollte. Das bedarf,
da er nicht als und für Historiker schrieb, keiner apologetischen
Entschuldigung, wie es hier manchmal klingt, aber einer klaren
Unterscheidung: Bonaventuras Legenden und Predigten können
und wollen keine „Primär-Quellen" für den Historiker über
das Leben des Franziskus und die Anfänge seines Ordens sein,
um so mehr aber über seine theologisch-heilsgeschichtliche Deutung
. Dieser „theologischen Arbeit an seinem Franziskusleben"
gilt denn auch nach Erörterung seiner davon unterschiedenen
„redaktionellen Arbeit" der letzte Teil der „Einführung" (S.
217-248).

Erstaunlich ist dabei nur, daß der Verf. vorher (S. 136f.)
die Meinung für „völlig unhaltbar" erklärt, Bonaventura habe
damit Gegensätze im Orden zwischen strenger und milderer
oder laxer Regel- und Armutsbeobachtung versöhnen wollen. Da
er sich „tatsächlich auf einer gesunden Mittellinie bewegte" —
welcher Ausdruck und Maßstab für diesen überragenden Geist!
— sei er „in den Augen der Nachwelt geradezu als Friedensvermittler
erschienen"; aber erst nach seinem Tod hätten „die extremen
Richtungen des .Spiritualismus' und des ,Laxismus'" (d. h.
der sogenannten Konventualen) die Gemüter erhitzt, vorher
seien nur „vielleicht vereinzelt Meinungsverschiedenheiten über
die Befolgung der Armut vorgekommen". Das verkennt und verharmlost
jedoch die Spannungen und Gegensätze im Orden noch
zu Lebzeiten seines Stifters und bald nach seinem Tod, gerade
auch in der Zeit vor Bonaventuras Generalat". Vollends war ihm
die akute Krise, fast Spaltung des Ordens durch das Eindringen
der Gedanken Joachims von Fiore unmittelbar vorangegangen.
Um ihretwillen war der Ordensgeneral Johann von Parma abgesetzt
, von Bonaventura abgelöst worden. Clasen macht es sich zu
leicht, von den „Phantastereien der Joachiten" zu sprechen (S.
63) oder von ihren „Übertreibungen" (S. 238), von der „Kluft,
die Bonaventura von den Spiritualen trennte" (S. 58). So leicht
hat es sich Bonaventura nicht gemacht! Joseph Ratzinger hat
neuerdings eindringlich gezeigt, wie nahe er selbst noch in seinen
späten Vorträgen über das Sechstagewerk (1273) den Grur.d-

lJ J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura
(München-Zürich 1959; Zitat S. 32 Anm. 25). Dazu P.
Sophronius Clasen, Zur Geschichtstheologie Bonaventuras, in:
Wissenschaft und Weisheit, Zeitschrift für Augustinisch-Franziskanische
Theologie und Philosophie in der Gegenwart 23 (1960) S. 197—212.

*) Vgl. jetzt besonders Rosalind B. B r o o k e , Early Franciscan
Government. Elias to Bonaventura (Cambridge Studies in medieval
Life and Thought, ed. by M. D. Knowles, New series vol, 7, 1959).