Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

21-25

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Theologiestudium 1967

Rezensent:

Kaiser, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

21

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 1

22

vorreformatorische Katholizismus immer schon die Bibel besessen,
und wir wissen, daß sie immer wieder auch vor den Reformatoren
an vielen Stellen das harte Gestein der Tradition durchbrochen
hat — sonst wäre ja die Reformation überhaupt nicht möglich
geworden. Aber nie hat sie doch die Stelle eingenommen, die
dieses Konzil sich wenigstens bemüht hat, ihr einzuräumen.

Die katholische Kirche geht also mit dem zweiten Vati-
kanum nicht nur hinter die Gegenreformation zurück, sondern
doch auch hinter das Mittelalter: zur Bibel, und so hat es neben
der zuweilen fragwürdigen Ausdehnung der katholischen Weite
auf dem Konzil auch Reduktion gegeben. Insofern ist also die
Situation doch nicht schlechthin die gleiche wie zur Zeit Luthers,
der sich nur jener Katholizität gegenüber sah, die er bekämpft
hat. Die biblische Konzentration, die Luther durchgeführt hat,
ist auf dem Konzil — und wohl nicht ohne seinen indirekten Einfluß
— am Werke gewesen, allerdings neben der gegenteiligen
Strömung einer grenzenlos gesteigerten Ausweitung.

Der Katholizismus ist daher auf diesem Konzil complexio
oppositorum in einem neuen Sinne geworden: er ist es nicht mehr
nur als ein Nebeneinander von addierten gegensätzlichen Elementen
. Vielmehr ist er eher von zwei entgegengesetzten Haupttendenzen
, von zwei Prinzipien beherrscht, dem alten der allumfassenden
katholischen Weite und dem neuen der Konzentration
.

Wir müssen freilich auch den katholischen Progressisten
gegenüber — und zwar im Interesse des wahren Ökumenismus,
der im Unterschied zum Modeökumenismus die bleibenden
Gegensätze nicht verschleiert — betonen, daß das, was wir als
Protestanten nicht bejahen können, auf diesem Konzil ausdrücklich
beibehalten worden ist: Tradition (Mariologie), päpstlicher
Primat, Überbetonung der weltlichen Werte. Und doch finden wir
jetzt im Lichte des hier zur Diskussion stehenden Gegensatzes:
katholische Weite — biblische Konzentration unsere Hauptthese
über das unverbundene Nebeneinander zweier Aussagereihen
zum Zwecke der Milderung der einen bestätigt: das historisch
Bedeutsame dieses Konzils besteht darin, daß im Rahmen einer
konsequenten Weiferverfolgung des ganz und gar katholischen
Prinzips gleichzeitig und freilich ohne organische Verbindung
eine biblische Läuterung doch stattgefunden hat.

G. Maron legt dem Leser am Ende seines Artikels im Anschluß
an F. Chr. Baur und unter Verwendung seiner Ausdrucksweise
die interessante Frage nahe, ob der Katholizismus es sich
heute nicht deshalb leisten kann, hinter die Gegenreformation
zurückzugehen, weil der Protestantismus im Grunde bereits „aus
der Geschichte verschwunden sei", bzw. einen Standort jenseits
von Reformation und Gegenreformation bezogen habe, also
keine Gefahr mehr darstelle. Ich möchte in diesem Zusammenhang
nur die Frage stellen, ob dieses Konzil überhaupt zustandegekommen
und eine biblische Erneuerung in den gegebenen Grenzen
, aber mit anderer Blickrichtung als der des Tridentinums, hätte
verwirklichen können ohne den positiven Einfluß von Seiten
des Protestantismus. Da es freilich andererseits die Gefahren des
Synkretismus nicht beseitigt hat, wird es für den Katholizismus
mehr denn je lebensnotwendig sein, daß er neben sich einen ProW
testantismus habe, der nicht etwa in der „Säkularisierung" noch
weiter geht als der Katholizismus, sondern bei aller notwendigen
Anpassung eben jene biblische Konzentration in der Verkündigung
an die moderne Welt betont. Wo der Protestantismus den
Katholizismus im Synkretismus gegenüber der Welt überbietet,
hat er jede Daseinsberechtigung neben dem Katholizismus verloren
. Von hier aus gesehen sowie von anderen Gesichtspunkten
aus, ist eine Annäherung der Kirchen nicht im Sinne einer Fusion,
sondern einer Föderation als Ziel des Ökumenismus wünschenswert
. Dabei ist ein Ökumenismus auf der Grundlage gemeinsamer
synkretistischer Tendenzen sinnlos13. Der Katholizismus braucht
neben sich einen Protestantismus, der die biblische Konzentration
nicht wie er selber unverbunden neben die universalistische Tendenz
stellt, sondern sie bewußt zur höheren Norm für die Verkündigung
an die Welt macht.

In diesem Zusammenhang ist dann freilich auch die Frage
zu stellen, ob es nicht für den Protestantismus ebenfalls heilsam
ist, den Katholizismus neben sich zu haben, einerseits, damit er
sich ständig seiner Mission bewußt bleibe, gegen die Gefahr des
Synkretismus zu reagieren, andererseits aber auch positiv, indem
er sich in Verfolgung seiner Konzentration nicht verleiten
lasse, sich zu verengen. Die Konzentration des Evangeliums
soll ja zu einem wahren, biblischen Universalismus führen
. Die Katholizität der römischen Kirche stellt uns nicht nur
die Gefahr des Synkretismus vor Augen, sondern auch die Aufgabe
des legitimen und wahren christlichen Universalismus. In
dieser Hinsicht sind im Protestantismus vielleicht auch biblische
Elemente verloren gegangen, die im Katholizismus noch vorhanden
sind, und wir müssen uns jedenfalls fragen, ob dem „zuviel
" des Katholizismus nicht ein „zu wenig" im Protestantismus
gegenübersteht. Anstatt die biblische Konzentration unverbunden
neben die ausweitende Tendenz der katholischen Tradition zu
stellen, wie es vielfach auf dem Konzil geschehen ist, müßte ein
biblischer und gegen allen katholischen Synkretismus geschützter
Universalismus aus jener Konzentration herauswachsen. Das Ziel
des christlichen Universalismus als solches nicht aus den Augen zu
verlieren, dazu soll der Katholizismus den Protestantismus mahnen
. Vor der Gefahr, in Synkretismus zu verfallen, soll der Protestantismus
den Katholizismus warnen.

13) Aus diesem Grunde scheint mir besonders bedauerlich der Aufsatz
des Katholiken D. C a 11 a h a n in der vielgelesenen amerikanischen
Zeitschrift Commonweal 1966, Nr. 10, S. 29lff., Postbiblical Christia-
nity, der die Auswirkung des Konzils nicht in einer Konzentration auf
die Bibel sehen will, die heute weder für Katholiken noch für Protestanten
maßgebend sein könne!

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Theologiestudium. Entwurf einer Reform. Gutachten, angefertigt
im Auftrag des Fadiverbandes Evangelische Theologie im Verband
Deutscher Studentenschaften v. W. Herrmann u. G. Lautner.
München: Kaiser 1965. 182 S., 1 Plan. 8°.

Auf dem Hintergrund einer kritischen Analyse der gegenwärtigen
theologischen und kirchlichen Lage entwirft das Gutachten
des Fachverbandes Evangelische Theologie ein Studien-
reformprogramm, das, verwirklicht, eine Kirchenreform einschließt
. Von den 182 Seiten sind 111 den Grundsatzüberlcgun-
gen und 50 den Reformen gewidmet. Beide Teile gehören sachlich
aufs engste zusammen. Wer nur die letzten fünfzig Seiten liest,
verfehlt notwendig die Intention des ganzen, so ungeduldig er
zunächst werden mag, wenn er nach einer Einleitung in das
Problem (S.9—23),einer Besinnung über Studium,Lehre und Stoff
(S. 23—37), einem Rückblick auf die Reformprogramme Speners

und Schleiermachers (S. 37—56), einer kurzen Bestimmung des
Ortes der Theologie innerhalb der Universität (S. 56—62), einigen
sehr nüchternen Erwägungen zur Theorie der Wissenschaften
(S. 62—65), einer Aufgabenbestimmung der Theologie als Wissenschaft
(S. 65—85) und der Praktischen Theologie als Wissenschaft
in der Kirche (S. 86—91), einer Bestandsaufnahme der Gestalt der
Gemeinde und des Berufes des Pfarrers (S. 92—110) und schließlich
einer Darstellung des Weges des Studenten von seinem
Studienanfang in das Pfarramt (S. 110—120) folgen soll. Denn
eine sinnvolle Reform setzt eine deutliche Erfassung der Lage
und ein klares Leitbild des Ausbildungszieles voraus.

Als dieses Ziel der theologischen Ausbildung sehen die Gutachter
vorbehaltlos das Pfarramt an (S. 92), dessen Trägern sie
ein erstaunlich gutes Leumundszeugnis ausstellen(S.95).Inhaltlich
entspricht dieser klaren und sachlich richtigen Zielbestimmung
die Hervorhebung der Bedeutung der Praktischen Theologie,
freilich in einer für das Gutachten spezifischen Weise. Denn es be-