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Ausgabe:

1967

Spalte:

426

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Borgen, Peder

Titel/Untertitel:

Bread from heaven 1967

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Seite 1

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425

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 6

426

älteste Evangelium; ihm folgt Lk., der auf Grund des Mt. und
ausgedehnten, z. T. mit Mt. parallelen Sondergutes geschrieben
hat; Mk. bietet als letztes Evangelium nichts anderes als einen
Auszug aus Mt. und Lk. Diese zuerst 1789 von Griesbach vorgetragene
Hypothese erklärt das literarische Verhältnis der synoptischen
Evangelien zueinander überzeugend und am besten.
Dabei fallen die folgenden Argumente am meisten ins Gewicht,
Mt. als das älteste Evangelium zu erweisen: Wenn Mt. und Lk.
in der Reihenfolge variieren, schließt sich Mk. stets dem einen
oder dem anderen, dann aber auch im einzelnen besonders
eng an; dieser Tatbestand ließe sich nicht erklären, wenn
Mt. und Lk. von Mk. abhingen. Die Übereinstimmungen
von Mt. und Lk. im Mk.-Stoff gegen Mk. erklären sich
nicht, wenn Mk. eine Quelle für die beiden anderen Synoptiker
darstellt, sondern nur, wenn Lk. auf Mt., Mk. aber auf beiden
beruht. Wo Mt. von der Mk.-Reihenfolge abweicht oder Mk.-
Stoff nicht bringt, stimmt Lk. im allgemeinen mit Mk. überein;
wo dagegen Lk. sich von Mk. unterscheidet, differiert Mt. fast
nie von Mk. Wären Lk. und Mt. jeweils direkt von Mk. abhängig
, müßte man aber erwarten, daß sie öfters an den gleichen
Stellen von Mk. abweichen (Ch. VI). Die redaktionelle
Bearbeitung und Kürzung der Evangelien nach Mt. und Lk. durch
Mk. läßt sich, wie einige Beispiele zeigen, leicht verständlich
machen (Ch. VII). Zwei kurze Anhänge und ausführliche Register
beschließen das Buch.

Man muß dem Verfasser dankbar sein, daß er erneut an
den hypothetischen Charakter der Zwei-Quellen-Theorie erinnert
. Aber einen ernst zu nehmenden Angriff auf die herrschende
Lösung des synoptischen Problems stellt sein Buch nicht dar.
Die Behauptung, die Priorität des Mk.-Evangeliums und die Annahme
einer Spruchquelle für Mt. und Lk. hätten sich nur auf
Grund unwissenschaftlicher Faktoren durchsetzen können, ist
ihrerseits unwissenschaftlich; die exegetischen Gründe für diese
Theorie kann man in jeder Einleitung nachlesen. Die "Minor
Agreements of Matthew and Luke against Mark" bilden ohne
Frage ein ernsthaftes Problem, das aber, wie zahlreiche Untersuchungen
zeigen, auch ohne die Ur-Markus-Hypothese im wesentlichen
gelöst werden kann. Daß Mt. (Lk.), wo er den Mk.-
Aufriß verläßt, sich gelegcnlich weniger eng an den Mk.-Text
anschließt als Lk. (Mt.), der ihm folgt, erscheint ganz natürlich;
und daß in einem solchen Fall, wo entweder Mt. oder Lk. den
Mk.-Faden verlassen, auch der andere dasselbe hätte tun müssen
, ist eine unbillige Forderung. Zweifellos gibt es keinen
stringenten Beweis für die Zwei-Quellen-Theorie, aber unter
ihrer Voraussetzung lösen sich die synoptischen Probleme nach
wie vor am besten. Die von Farmer erneuerte Griesbachsche
Hypothese stößt dagegen auf unüberwindliche Schwierigkeiten.

Niemand hat bisher einen einleuchtenden Grund für die
Abfassung des Mk. nach Mt. und Lk. angeben können. Die
Auslassungen des Mk. gegenüber seinen Vorlagen Mt. und Lk.
blieben im Ganzen wie in vielen einzelnen Fällen rätselhaft.
Wenn Lk. von Mt. abhängt, wären viele seiner Änderungen gegenüber
Mt. unerklärlich; warum hätte er z. B. die Redekom-
positionen des Mt. bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen sollen?
Gar nicht bedenkt Farmer, daß Lk. im Spruchgut oft die gegenüber
Mt. ältere Fassung bietet und daß in vielen Fällen Mk.
nachweislich primär ist im Vergleich mit Mt. oder Lk.

Vor allem läßt Farmer die redaktionskritische Fragestellung
ganz außer acht, die, indem sie durchweg auf der Grundlage der
Zwei-Quellen-Theorie arbeitet, diese zugleich glänzend bestätigt
. Nach Farmers These müßte Lk. gerade die redaktionellen
Bearbeitungen des Mt., Mk. aber die redaktionellen Stücke des
Mt. und des Lk. ausgeschieden haben, während doch tatsächlich
— man denke nur an das Messiasgeheimnis-Problem — Lk. wie
Mt. die mk. Redaktionsarbeit voraussetzen. Damit aber zeigt
sich der eigentliche Mangel der Arbeit Farmers: er arbeitet nicht
mit den Texten und bedenkt nicht, daß das entscheidende Kriterium
jeder synoptischen Qucllentheorie in der Frage liegt,
ob sie sich unter den verschiedenen exegetischen Problemstellungen
umfassend bewährt.

Marburg/Lahn Walter Sch m i t ha I 9

Borgen, Peder: Bread from Heaven. An Exegetical Study of the
Concept of Manna in the Gospel of John and the Writings of
Philo. Leiden: Brill 1965. X, 217 S. gr. 8° = Supplements to
Novum Testamcntum, X. hfl. 38.—.

Nach dem Vf. geben sich Joh. 6,31—5 8 und Philon, leg.
all. 3,162—168; mut nom. 253—263 dadurch als jeweils einheitliche
Komplexe zu erkennen, daß sie ein alttestamentliches
Zitat unter paraphrasierender Verwendung des Textes deuten.
Den drei Stücken liegt ein gemeinsames homiletic pattern zugrunde
, das sich auch sonst nachweisen läßt, bei Philon, bei
Paulus und in einer späteren Gestalt im palästinischen Midrasch
(28—58; das kann m. E. nicht mehr bedeuten, als daß hier eine
bestimmte Struktur jüdischer Predigt sichtbar wird). Eine Reihe
kürzerer Texte aus diesem und aus Philon, die das Brot (und
im palästinischen Midrasch immer auch: das Wasser) vom
Himmel (Manna) dem von der Erde kommenden gegenüberstellen
, verwerten ein und dieselbe haggadische Tradition, wie
Form und Inhalt zeigen; sie ist auch in Joh. 6 benutzt (4—27).
Der Nachweis, daß Midrashic Method, Pattern and Termino-
logy (59—98) in Predigtstücken Philon, Joh.-Ev. und palästinischem
Midrasch gemeinsam sind, folgt dem Lauf von Joh.
6, 31—58; hier werden zahlreiche Einzelzüge der verschiedenen
Abschnitte dieser Homilie vom Stilistischen her neu beleuchtet.
In allen drei Kap. erscheint das Joh.-Ev. häufig in weit größerer
Nähe zum palästinischen Judentum als zu Philon.

Das gilt im ganzen auch für das letzte Kap., das das Gedankengut
von Joh. 6,31-5 8 untersucht (147-192). Philon
und Joh. gehen insbesondere gemeinsam aus von der Glcich-
setzung des Manna und der Weisheit mit der Tora sowie von
dem Gedanken, daß Israel das Gott schauende Volk ist (der
letzte gehört nach N. der Merkaba-Mystik an; über die Beziehungen
von Joh. 6 zu dieser hört man jedoch kaum Genaueres
). Bei der Interpretation von Joh. 6 vor allem im Zusammenhang
mit Traditionen des palästinischen Judentums (die
Literatur von Qumran trägt dazu fast nichts bei) werden außer
schon genannten Stichworte wichtig wie Theophanie (Ausgangspunkt
ist die vom Sinai; Joh.: Gott wird allein geschaut in
Jesus, dem Sohn Josephs), der in vollmächtigem Auftrag Handelnde
, Eschatologie, Unterscheidung zwischen external und
spiritual, Doketismus, Fleischwerdung, Abendmahl (dieses eint
mit dem Heisch Gewordenen). Kap. IV und V sind der —
ebenfalls- nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordneten f—
Interpretation der beiden Philontexte gewidmet. Sichtbar wird
hier, obwohl durchaus auch der von der platonischen bzw.
stoischen Philosophie beeinflußte Philon in Erscheinung tritt,
insbesondere der seinem Volk, das von Gott hervorragend
ausgezeichnet wurde (the heavenly quality of the Jewish nation),
und dessen Religion, zumal der Tora, verbundene (die Tora ist
das Leben spendende Manna, das man am Sabbat empfängt).
Aufgezeigt wird übrigens auch mehrfach die bestimmte Situation
der Judenschaft Alexandriens, in die Philon hineinspricht.

Die aus der Schule von N. A. Dahl hervorgegangene Arbeit,
die reichen Stoff, zumal auch aus dem palästinischen Bereich,
verwertet und klare Linien zieht, fördert ebenso die Joh.- wie
die Philonforschung, einmal durch die weiterführende Auslegung
der Texte und die Aufzeigung der Querverbindungen
(auch wenn hier vielleicht zunächst nicht o. w. jede Einzelheit
eindrücklich sein mag; viele sind es vollauf), sodann aber auch
vom Methodischen her. Denn nun stellt sich alsbald die Frage,
wie weit sich auch sonst (einiges dazu deutet B. an) das von
ihm vorgeführte Predigtschema (Kap. II) nachweisen und die
Einzelzüge midraschartiger Textauslegung (Kap. I. III) bei Philon
oder im Joh.-Ev. (oder anderweit im Neuen Testament bzw. in
jüdischem Schrifttum) aufzeigen lassen, und wie weit sie — wie
bei der auf diese Weise geschlossenen Exegese von Joh. 6 durch
B. — für das Verständnis der Aussagen bedeutsam werden
(damit würden zugleich B.s Aufstellungen bestätigt); oder auch,
ob vielleicht andere Predigtmodelle und andere Querverbindungen
zwischen palästinischem und hellenistischem Midrasch —
deren Nähe zueinander auch sonst schon aufgewiesen wurde —
sich ergeben. Es wäre zu begrüßen, wenn der Vf. auf diesem
Felde, auf dem er sich ausgewiesen hat, weiterarbeitete.

Halle/Saale Gerhard Delling