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1967

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Allgemeines, Festschriften

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347

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5

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b) Die sogenannten jungen Kirchen werden solange Fremd-
gebilde in ihren Völkern bleiben, als es ihnen nicht gelingt, das
christliche Leben in Formen der eigenen Kultur darzustellen.

c) Im Aufbau dieser Kirchen muß von Seiten der Missionen
stärker auf die religionssoziologischen Formen Rücksicht genommen
werden als bisher. Die Bildung neuer Formen in den
sogenannten Religionen sollte sorgfältig beobachtet werden.

d) Die Kirche wird erst dann wirklich einheimisch werden
und zu einer inneren Selbständigkeit kommen, wenn es ihr gelingt
, eine einheimische Theologie hervorzubringen, die die religiösen
Fragestellungen der betreffenden Völker ernst nimmt
und verarbeitet. In dem Maße, wie das gelingt, wird es auch zu
einem Gespräch und zu einer Auseinandersetzung mit den Religionen
kommen. (Herwig Wagner, Erstgestalten einer einheimischen
Theologie in Südindien, 1963; Gensichen, Rosenkranz,
Vicedom, Theologische Stimmen aus Asien, Afrika und Latein-
amerika Bd. I. 1965.)

IV. Von diesen Aufgaben her ergeben sich einige Bitten an
die Religionswissenschaft und ihrer Vertreter.

1. Das religionswissenschaftliche Studium sollte sich nicht
auf die Kenntnis der Religionen in ihren klassischen Aussagen
beschränken. Jeder Missionar hat es mit der Volksreligion oder
mit dem gelebten Glauben der Völker zu tun. Darum sollte in
seinem Studium neben der Darstellung der Religionsgeschichte
auch die Religionsphänomenologie ihren Raum haben.

2. Die neuen Religionen und die synkretistischen Bewegungen
sind bis heute kaum erforscht. Sie sind ohne die Mutterreligionen
nicht zu verstehen, stellen aber eigene Phänomene
dar, die in der Lehrbildung fortschreiten. Es ist darum wichtig,
daß Mut zur Feldforschung gemacht wird. Solange sich die Religionswissenschaft
nur mit den historisch greifbaren Religionen
beschäftigt, ist sie für den Theologen nur eine halbe Hilfe.

3. Der Religionspsychologie würde unter anderem auch die
Aufgabe zufallen, zu erforschen, welche Ursachen zu der Bildung
neuer Glaubensformen geführt haben. Aus der Kenntnis
der Ursachen könnten Missionare und Pfarrer der jungen Kirchen
ersehen, wo die Verkündigung der Kirche nicht fähig war,
ein vorhandenes Vakuum zu füllen.

4. Viele der vorgetragenen Gedanken gehen davon aus,
daß eine Klammer zwischen Religionswissenschaft und Theologie
möglich ist. Selbstverständlich muß jeder Religionswissenschaftler
nach den Gesetzen seiner Wissenschaft arbeiten. Ich
halte es jedoch nicht für unmöglich, daß die Auswertung der
Ergebnisse unter theologischen Gesichtspunkten geschehen und
so eine Hilfe für die angehenden Pfarrer und Missionare werden
kann. Ideal wäre, wenn diese Aufgabe von Missionswissenschaftlern
in engster Zusammenarbeit mit Religionswissenschaftlern
unternommen werden könnte.

Durch diese kurzen Ausführungen dürfte die Notwendigkeit
religionswissenschaftlichen Studiums innerhalb der Theologie
erwiesen sein. Ich möchte daher den Vorschlag machen, bei
der Reform des Theologiestudiums Missions- und Religionswissenschaft
nicht als Randgebiete zu behandeln. Sie werden in Zukunft
durch das Wiedererwachen der Religionen für den Dienst
des Pfarrers von entscheidender Bedeutung sein.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

Kümmel, Werner Georg: Heilsgeschehen und Geschichte. Gesammelte
Aufsätze 1933—1964, hrsg. v. E. Grässer, O. Merk
u. A. Fritz. Marburg: Elwert 1965. XI, 512 S. gr. 8° = Marburger
Theologische Studien, 3. Lw. DM 48.—.

Marburger Schüler W. G. Kümmels überreichten ihrem
Lehrer zu seinem 60. Geburtstag die wichtigsten Aufsätze des
so Geehrten aus den Jahren 1933 bis 1964. Die Aufsätze
werden unverändert und in der Reihenfolge ihres Erscheinens
abgedruckt. Eine Bibliographie der Jahre 1929 bis 1964 ist beigegeben
.

Die Editionsarbeit ist vorzüglich gelungen. Reiche Register
schließen den Schatz der einzelnen LIntersuchungen auf. Seitenzahlen
und Anmerkungsziffern der Erstveröffentlichungen, über
die ein gesondertes Verzeichnis Auskunft gibt, lassen sich leicht
ablesen.

Jeder Forscher weiß um den besonderen Wert, den die
exegetischen Arbeiten W. G. Kümmels schon wegen ihrer
subtilen und umfassenden Literaturbenutzung und wegen ihrer
auch dem Studenten leicht verständlichen Darstellungsform
besitzen.

Nur ungern vermißt man allerdings, besonders um der
Studenten willen, bei einzelnen Beiträgen einen Literaturnachtrag
, mit dessen Hilfe der Leser sich über den Fortgang
der Forschung informieren könnte. Denn für den unaufmerksamen
Leser liegt der Irrtum nahe, er habe es jeweils mit
einer .letzten' Äußerung zur Sache zu tun, zumal den einzelnen
Beiträgen das Jahr ihres Erscheinens nicht unmittelbar beigedruckt
wurde.

Die beiden ältesten Aufsätze „Jesus und die Rabbinen"
(1—14) und „Jesus und der jüdische Traditionsgedanke" (15—3 5)
beschäftigen sich mit der gleichen Problematik und kommen zu
dem Ergebnis, Jesus habe als der eschatologische Gesandte
Gottes den Anspruch erhoben, unmittelbar um Gottes Willen
zu wissen. Mit diesem Anspruch wurde der jüdische Traditionsbegriff
so radikal negiert, daß Jesus schließlich auf Veranlassung
der Pharisäer sterben mußte. Dabei erwägt Kümmel freilich

nicht, ob die Einstellung der Jesus-Überlieferung zur pharisäischen
Tradition nicht vielleicht für bestimmte sektiererische
Kreise des Judentums überhaupt bezeichnend war.

Diese beiden frühesten Beiträge weisen Züge auf, die für
die Arbeit Kümmels bestimmend geblieben sind: 1. Die Literatur
wird gründlich und möglichst vollständig aufgearbeitet
und dient in geschickter Weise dazu, in die jeweilige Problematik
einzuführen. 2. In Zusammenhang mit dieser Literaturbenutzung
dürfte stehen, wenn Kümmels Lösungen und Thesen
durchweg stark synthetischen bzw. kompromißhaften Charakter
tragen. 3. Die Frage nach dem historischen Jesus ist als Frage
nach der kontinuierlichen Wahrheit des Evangeliums legitim
und notwendig für Theologie und Glaube, ohne daß damit die
Bedeutsamkeit des Ostergeschehens in Frage gestellt werden
dürfte. 4. Das Bild der Predigt und des Selbstbewußtseins Jesu
läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der synoptischen
Tradition zur Anschauung bringen.

Die Kümmels Arbeit in dieser Weise beherrschende Frage
nach dem historischen Jesus stellt sich für ihn in besonderem
Maße als Frage nach der Eschatologie Jesu. Eine Vorarbeit zu
dem Buch .Verheißung und Erfüllung' bildet der 1936 erschienene
Aufsatz „Die Eschatologie der Evangelien" (48—66),
der wiederum mit einer instruktiven Forsdiungsübersicht eingeleitet
wird. Danach hat Jesus die zukünftige Gottesherrschaft
verkündigt, die in seiner Person bereits die Gegenwart bestimme
— woraus ersichtlich wird, daß Jesu Eschatologie nicht
Apokalyptik, sondern christologische Heilsbotschaft zum Inhalt
hat. Dieses eschatologische Denken hält sich im Urchristentum,
bei Paulus und bei Johannes ungebrochen durch, wie der Aufsatz
über „Futurische und präsentische Eschatologie im ältesten
Lirchristentum" (3 51—363) nachzuweisen versucht. Der letzte
Beitrag unseres Sammelbandes, „Die Naherwartung in der Verkündigung
Jesu" (457—470), will die These, daß die Zukünftigkeit
und die Gegenwärtigkeit der Gottesherrschaft für Jesus
gleicherweise bezeugt sind, gegen den Einwand sichern, die Annahme
einer Naherwartung Jesu habe keine ausreichende Textgrundlage
. Der abschließenden Feststellung dieses Aufsatzes,
daß die Naherwartung der Lirgemeinde auf Jesus selbst zurückgeht
, ist unbedingt zuzustimmen.