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Ausgabe:

1967

Spalte:

345-348

Autor/Hrsg.:

Vicedom, Georg F.

Titel/Untertitel:

Die Notwendigkeit des religionswissenschaftlichen Studiums in der gegenwärtigen Missionssituation 1967

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345

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5

346

Die Notwendigkeit des religionswissenschaftlichen Studiums
in der gegenwärtigen Missionssituation1

Von Georg F. V i c e d o m , Neuendettelsau

Das religionswissenschaftliche Studium war für Missionare
und Pfarrer schon immer eine Notwendigkeit, die aber nur
wenig beachtet wurde. Die Kenntnis des Gegenübers, seiner religiösen
Grundanschauungen und seiner damit verbundenen religiösen
Bräuche ist die Voraussetzung für eine auf den Menschen
bezogene Verkündigung der christlichen Botschaft. In
Asien, Afrika und Lateinamerika hätten in der Missionsarbeit
viele Fehler vermieden werden können, wenn der religionsge-
schichtliche Hintergrund beachtet worden wäre.

I. Die Notwendigkeit religionswissenschaftlichen Studiums
für den Diener der Kirche wird heute durch vier Beobachtungen
unterstrichen.

1. Die Bewohner der genannten Erdteile lehnen weithin die
ihnen vermittelte westliche Form des Christentums als eine Religion
der weißen Rasse ab. Wo es dagegen gelingt, christliche
Gedanken in den Denkformen der anderen Kultur zu verkündigen
und sie im Kleide dieser Kultur zu verwirklichen, werden
die Menschen angesprochen.

2. Viel entsagungsvoller Dienst der Missionen, der Zwischenkirchlichen
Hilfe, und der christlichen Liebestätigkeit kommt
nicht an, weil er nicht in Relation zu dem von der Religion bestimmten
Menschenbild getan und nicht in der vorliegenden soziologischen
Struktur verwirklicht wird. (Siehe: Hans Sachsse,
Verstrickt in eine fremde Welt, Baden-Baden 1965).

3. Die These, daß alle Menschen die von Naturwissenschaft
und Technik bestimmte westliche Zivilisation übernehmen werden
, ist insofern falsch, als Afrikaner und Asiaten sich weigern,
auch die westliche Sinngebung des Kulturwandels sich zu eigen
zu machen. Sie versuchen dagegen, der kommenden Weltkultur
eine geistige Grundlage dadurch zu geben, daß sie eine Synthese
zwischen alter Kultur und Moderne auf Grund ihrer Religion
herstellen. Die Religionen versuchen, auch in der Moderne
die großen, alles betimmcnden Sozialkörper zu bleiben.
(Hendrik Kraemer, World Cultures and World Religions, i960)

4. Der durch den westlichen Einfluß verbreitete Säkularismus
hebt in den genannten Räumen das religiöse Denken nicht
auf. Er bringt die Religionen nicht zum Erliegen, sondern setzt
sie nur in anderer Weise fort.

II. Es ergibt sich damit folgendes religiöses Erscheinungsbild
:

1. In dem Raum der Stammesreligionen enstehen neue religiöse
Bewegungen, die ohne die Kenntnis der Mutterreligion
nicht zu erklären sind.

a) Wir finden unter den Nichtchristen dieser Gebiete eine
Anzahl messianischer Bewegungen. Ein falsch verstandener
christlicher Gedanke, z. B. soziale Gerechtigkeit oder Gesundheit
, wird aufgenommen und mit Mitteln der alten Religion verwirklicht
. Dabei findet ein Ausleseprozeß statt, bei dem die
Dinge bekämpft werden, die dem neuen Erlösungsziel entgegenstehen
. (Efraim Andersson, Messianic Populär Movements in
the Lower Congo, 1958; Hans Jochen Margull, Aufbruch zur
Zukunft, 1962).

b) Es gehen aus christlichen Kirchen synkretistische Sekten
hervor, die ihr Christentum mit dem angestammten Ideengut
zu füllen suchen, um die Ganzheit des Lebens unter einem
bestimmten Erlösungziel zu erreichen. Wir finden sie hauptsächlich
in Südafrika, Südamerika und in der Südsee. Auch diese
Sekten können messianisch sein. (Katesa Schlosser, Eingeborenenkirchen
in Süd- und Südwestafrika, 195 8; Bengt Sundkler,
Bantu Prophets in South Afrika, 1948, Peter Lawrence, Road
belong Cargo, 1964, Hermann Frey, Afrika in Brasilien, KM
1958/2).

') Kurzfassung des auf dem 2. Wiener Ev. Theologentag Sept. 1966
gehaltenen Sektionsreferats.

2. Im Raum der Hochreligionen entstehen Reformbewegungen
, die das alte religiöse Erbe weiterführen, aber es auf die
Gegenwart mit ihren modernen Problemen anzuwenden versuchen
. Das Ziel ist, auch in der modernen Entwicklung das alte
Seinsverständnis beizubehalten und den Anhängern neue Kräfte
für das Menschsein unter westlicher Zielsetzung zu vermitteln.
Am ausgeprägtesten ist diese Entwicklung im Hinduismus und
im südlichen Buddhismus. Da sich die Reformbewegungen mit
politischen Zielen verbinden, wenden sie sich oft gegen das Christentum
. Im Islam vertritt die Ahmaddyia diese Richtung. Hier
wäre vor allem die Literatur der verschiedenen Reformer zu
nennen.

3. Das Anliegen, bei dem Kulturwandel eine eigene Sinngebung
zu vollziehen, wird am stärksten von den sogenannten
neuen Religionen vertreten. Sie sind in Indonesien und in Japan
am stärksten verbreitet. Diese neuen Religionen vertreten meist
in einer gewissen Einseitigkeit bestimmte Gedanken der alten
Religion und bringen diese so in Beziehung zur Moderne, daß
sie bei christlichem Ideengut oder auch bei Weltanschauungen
Anleihen machen. Sie haben zunächst das Anliegen, die sogenannte
Ganzheit des Lebens wieder herzustellen und ihren
Menschen konkrete Anweisungen zu geben. Wo der Säkularisierungsprozeß
weit fortgeschritten ist, wie in Japan, füllen sie ein
religiöses Vakuum, daher ihre große Anhängerschaft. (Maurice
Bairy, Japans neue Religionen in der Nachkriegszeit, 1959;
Offner—van Straelen, Modern Japanese Religions, 1963).

4. Das Problem des Säkularismus erweist sich in Asien und
Afrika komplizierter als bei uns. Es ist irrig anzunehmen, daß
der von dem Westen ausgehende Säkularismus auch den christlichen
Bodensatz dorthin vermitteln würde. Wo in den genannten
Kontinenten Menschen dem Säkularismus verfallen, denken
sie nicht daran, deswegen ihre Religionen zu bekämpfen oder sie
innerlich auszuhöhlen. Darum führt der Säkularismus in Asien
und Afrika das religiöse Gedankengut der Religionen weiter,
aus denen er dort hervorgegangen ist. Da die Religionen im
Säkularismus der westlichen Form ihren Hauptfeind erkannt haben
, versuchen sie mit großen Kraftanstrengungen ihre Menschen
davon zu bewahren.

Dieses Erscheinungsbild der Religionen weist darauf hin,
daß sie alle irgendwie in der Krise stehen. Sie versuchen aber
diese durch eine große Aktivität und durch neue Formen zu
überwinden. Durch ihre Missionstätigkeit in den alten christlichen
Räumen versuchen sie sogar, den westlichen Menschen zu
verinnerlichen, um den Einfluß des Säkularismus zu brechen.
(Arend Th. van Leeuwen, Christianity in World History, 1964;
Hutten-Kortzfleisch, Asien missioniert im Abendland, 1962).

III. Auf Grund dieser Entwicklung wird das religionswissenschaftliche
Studium für den Theologen zu einer gewissen
Notwendigkeit.

1. Durch die Infiltrierung östlichen Gedankengutes stößt
heute der Pfarrer bei vielen Menschen auf den Einfluß der
Weltreligionen. Beobachter weisen darauf hin, daß der Karmagedanke
in gewissen Volksschichten zu einem Allgemeingut
wird. Unser Volk ist von Angehörigen der Fremdreligionen
durchsetzt. In vielen Städten finden wir Missionsposten der einen
oder anderen Religion. Dadurch kommt es auch in unseren
Räumen wieder zu einer unmittelbaren Konfrontation der
Theologie mit den Aussagen der Religionen.

2. Viele junge Theologen gehen heute in den Missionsdienst
. Sie können den von ihnen erwarteten Dienst nur dann
mit Aussicht auf Erfolg tun, wenn sie mit dem religiösen Hintergrund
ihrer Hörerschaft vertraut sind. Sie sollten auch zur
Feldforschung ermutigt und darauf vorbereitet werden.

a) In der Missionsarbeit wird immer wieder sichtbar, daß
die christliche Botschaft nur dann Einfluß gewinnt, wenn es gelingt
, sie in die Denkformen des Hörers zu konvertieren und somit
seinen Begriffsschatz zu ihrer Verkündigung zu benutzen.