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Ausgabe: | 1967 |
Spalte: | 339-342 |
Autor/Hrsg.: | Philippi, Paul |
Titel/Untertitel: | Bemerkungen über die Struktur des Pfarramtes 1967 |
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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5
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Bemerkungen über die Struktur des Pfarramtes1
Von Paul P h i 1 i p p i, Heidelberg
Die herkömmliche Gestalt unseres Pfarramtes ist in den
letzten Jahren zunehmend kritisiert worden. Die Kritik erfolgte
meist auf empirischer Grundlage. Umstrukturierungsexperimente
bedürfen aber der kritischen Reflexion kirchlicher Strukturgeschichte
, wenn sie aktualistische Kurzschlüsse vermeiden
wollen. Der Praktischen Theologie geht es um die theologischkritische
Wertung der kirchlichen Wirklichkeit heute. Da
diese jedoch mit historischen Ursachen zusammenhängt, gehört
auch die gegenwartsbezogene Aufarbeitung des geschichtlichen
Bestandes zur Aufgabe der Praktischen Theologie.
Die Gewohnheit, das Pfarramt unter dem Begriff des
Predigtamtes zu erfassen, verwischt historische und sachliche
Unterschiede. Das Pfarramt zunächst setzt ein kultanstaltliches
Sclbstverständnis der Kirche voraus, deren Organisationsprinzip
nicht mehr die verantwortliche Einzelgemeinde in ihrer konkreten
Versammlung darstellt, sondern das zu versorgende
Territorium einer Diözese. Dementsprechend bedarf es auch
keiner Gemeindebildung im Sinne eines sich jeweils strukturierenden
korporativen Beteiligtseins; es bedarf nur eines
Verwaltungsaktes, durch welchen regelmäßige kultische Verrichtungen
an einem zuständigen Ort durch einen zuständigen
Mann institutionalisiert werden. Der Parochus ist in diesem
Sinne von seiner Entstehung her ein Kultbeamter, der vom
bischöflichen Verwaltungszentrum aus zur priesterlichen Versorgung
der Landbewohner delegiert wird. Darum ist sein Amt
primär durch das Verhältnis zu seiner vorgesetzten Behörde bestimmt
, nicht durch das zu seiner Gemeinde. Er hat, streng genommen
, keine Gemeinde, die geleitet werden will, sondern
eine Parochie, die verwaltet werden soll. Die Diözese verlangt
nicht nach einem Aufbau aus in sich gegliederten, körperschaftlichen
Einzelgemeinden, da sie selbst samt ihrem Bischofsamt am
Bild dieser Einzelgemeinde orientiert bleibt. Darum obliegt der
Parochie als bischöflicher Expositur nur die Sorge um die auf
ihrem Territorium lebenden Einzelseelen. Die Pflicht der
Matrikelführung (CIC 470) und die aufgetragene Sorge um den
kirchlichen Besitz unterstreichen den Verwaltungscharakter, der
dem Pfarramt von Anfang an anhaftet. Überspitzt könnte man
sagen: „Parochie" bezeichnet im mittelalterlichen und neuzeitlich-
konsistorialen Sprachgebrauch die degenerative theologische
Vorstellungsform, die das Kirchenregiment von seinen Gemeinden
hat.
Der reformatorische Begriff des Predigfamtes hat
an diesen Komponenten des Pfarramtes nichts geändert.
Sein verändernder Impetus richtete sich auf die sacerdotale
Auffassung vom Priestertum, und damit auf den Inhalt
des Kultes, für dessen vorschriftsmäßige Verrichtung der
Parochus verantwortlich war. Das Predigtamt tritt also an Stelle
des Priesteramtes, es verändert nicht die Struktur des Pfarramtes
. Allerdings bewirkte die veränderte Auffassung von
Priestertum und Kult, daß die überquellende Menge des außer-
parochialen Klerus ausgeschieden wurde. So lernten die reformatorischen
Kirchen für lange Zeit fast ausschließlich den Pfarrklerus
kennen. Dadurch bahnte sich eine terminologische
Gleichsetzung von Predigtamt und Pfarramt an, die freilich erst
in unsern Jahrzehnten auch in den offiziellen Sprachgebrauch
übernommen wurde. Ein noch weitergehendes Degenerationssymptom
stellt die Professionalisierung des Amtsbegriffs dar,
durch die „Pfarrer" zu einer in sich abgeschlossenen Berufsbezeichnung
geworden ist, der jede begrifflich notwendige Be-
zogenheit auf die Gemeinde fehlt. (Demgegenüber drückt der
usus der römischen Kirche, Kurialbeamte zu Bischöfen „in
partibus" zu ernennen, das Nachwirken des Bewußtseins aus,
das der theologische Begriff des Amtes relativ ist und ohne
seinen gemeindlichen Bezugspol nicht gedacht werden kann.
Den Bischof an sich gibt es nicht.) Der synonyme Gebrauch der
Begriffe Predigtamt und Pfaramt läßt uns leicht vergessen, daß
*) Kurzfassung eines Vortrages vor der praktisch-theologischen
Sektion des II. Ev. Theologischen Kongresses in Wien am 29. 9. 1966.
wir es mit zwei verschiedenen Kategorien zu tun haben, die
jede für sich einer theologischen Durchdringung bedürfen:
einer funktionalen und einer institutionellen Kategorie. Nur
mit der ersten aber pflegt sich die Praktische Theologie theologisch
zu befassen; die letztere bleibt meist der a-theologischen
Pragmatik unserer Konsistorialjurist'en und der nachtheologischen
Empirik pfarramtlichen Daseins überlassen.
Versucht man demgegenüber eine theologische Aufarbeitung
kirchlicher Strukturgeschichte, so erkennt man im
Pfarramt sowohl Elemente des altkirchlichen Presbyteramtes als
auch des gemeindlichen Bischofsamtes. Daß Presbyteramt und
Bischofsamt zwei verschiedene Genera amtsgeschichtlicher Entfaltung
darstellen, ist bekannt. Während das letztere als
episkopal-diakonales Doppelamt gewissermaßen das Aktive und
qualitativ Neue der christlichen Gemeinde in Leitung und Dienst
an der Mahlversammlung ausformt, verkörpert das Presbyteramt
so etwas wie die Kontinuität vorchristlich-religiöser und
naturrechtlicher Kategorien. Seine Geltung wächst mit fortschreitender
Entwicklung der Opfertheologie unter der typo-
logischen Chiffre des !fqev<;. Da die Einheit von Eucharistie
und Mahlgemeinschaft in Richtung auf einen in sieht werthaften
, an keine mitmenschliche Gemeinschaftsbildung mehr gebundenen
und daher beliebig vermehrbaren Kultakt aufgelöst
wird, erscheint der Presbyter—sacerdos zum Vertreter bischöflicher
Funktionen an sekundären Kultstätten geradezu prädestiniert
.
Auf der anderen Seite verkörpert das episkopal-diakonale
Doppelamt gerade in seiner gegenseitigen Beziehung von Leitung
und Fürsorge über eine in der Mahlversammlung konkret
werdende Gemeinde die emoxonrj als eine für die olxodofit)
einer Gemeinde notwendige Institution. Einen rjyov/usvog (bz
diaxovöjv kennt auch das Neue Testament als Gebot Christi,
und die Sorgepflicht der Versammlungsleitung (bzw. der Starken)
für die Schwachen wird von den Paulinen über die Apostelgeschichte
bis zu Jakobus bezeugt. Die Relation von Amt und
Gemeinde ist hier gegeben und kann sowohl in sozialen als auch
in theologischen Strukturkategorien erfaßt werden.
Schließlich steht sowohl dem Presbyterat wie dem Episkopat
, die beide verhältnismäßig leicht zu Ämtern institutionalisiert
werden können, das stärker charismatisch bestimmte
Wirken der Verkündiger gegenüber, das sich im Prozeß der
Institutionalisierung (gegen den es sich sperrte) notwendigerweise
an die vorhandenen Leitungs- und Verwaltungsämter anlehnte
, ohne mit ihnen identisch zu werden.
Im kirchenrechtlichen Schema blieb bis heute — in der
katholischen Kirche klarer, in der evangelischen mehr als
unbeabsichtigtes Relikt konsistorialer Zwischenformen — dem
Bischof das eigentliche Leitungsamt vorbehalten. Gewisse
Strukturelemente evangeliumsgemäßer Gemeindebildung setzen
sich allerdings, selbst gegen das Schema und dann gelegentlich
auch im Schema, durch und durchlöchern die Fiktion der einen
bischöflichen Diözesangemeinde zu Gunsten der parochialen
Realität.
Hier setzen die unausgeführten kybernetischen Vorstellungen
des jungen Luther an, die deutlich zur Aufwertung und
Integration verantwortlicher Pfarrgemeinden hin tendieren. Daß
Luther in den Jahren um 152 3 die Pfarrer gerne Bischöfe nennt,
muß in diesem Zusammenhang beachtet werden. Wenn sich
dabei die Ansätze zum Umbau der parochialen Verwaltungs-
cinheiten in verantwortliche („bischöfliche") Vollgemeinden
hauptsächlich auf städtische Gemeinden konzentrieren, so hängt
das zweifellos mit deren stärker entwickelter korporativen
Mündigkeit zusammen Butzer, Calvin und deren städtisch geprägte
Reformation konnte solche Umrisse dementsprechend
auch mit konkreteren Erfahrungen füllen und zu einer Aufgliederung
der Leitungsämter weiterführen. Die Frage, warum
die allgemeine Entwicklung im reformatorischen Deutschland
wieder in die alte parochiale Wirklichkeit zurückbog, kann vom