Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

329-332

Autor/Hrsg.:

Brecht, Martin

Titel/Untertitel:

Bericht über die Brenz-Ausgabe 1967

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

329

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5

330

Bericht über die Brenz-Ausgabe1

Von Martin Brecht, Tübingen

Auf dem Theologentag 1960 in Berlin hat Fr. W. Kantzen-
bach berichtet, über „Stand und Aufgaben der Brenzfor?chung""'.
Er sagte damals: „Aufgabe der Brenzforschung wäre im Idealfall
eine Gesamtausgabe der Werke und Inedita", hielt aber die
Lösung dieser Aufgabe zu jenem Zeitpunkt für aussichtslos. Unabhängig
davon haben etwa Anfang 1961 Dr. Gerhard Schäfer,
der Archivar der württembergischen Landeskirche, und ich versucht
, eine Edition der Werke Brenzens in Gang zu bringen.
Daß es gelang, ist zunächst drei Stellen zu danken: Prof. D. H.
Rüokert, Tübingen, erklärte sich bereit, im Sommer 1961 ein Seminar
über Editionsprobleme zu halten. Hier wurden die künftigen
Mitarbeiter recht gut in ihre bevorstehende Arbeit eingeführt
, indem sie an der reichen Erfahrung Rückerts auf diesem
Gebiet partizipieren konnten. Prof. D. E. Bizer, Bonn, übernahm
die Leitung der Brenz-Ausgabe, die Deutsche Forschungsgemeinschaft
die Finanzierung.

Die verantwortlichen Mitarbeiter an der Edition sind bis
jetzt hauptsächlich Dr. G. Schäfer, der vor allem die Geschäftsführung
und Redaktion in Händen hat, sich aber künftig noch
unmittelbarer beteiligen wird. Dr. Dr. Friedel Wolf ist vor allem
mit der Herstellung der Texte und der Texttradition befaßt. Ich
selbst habe den zweiten (erklärenden) Apparat und die Einleitungen
übernommen. Später ist hinzugekommen Dr. Theodor
Mahlmann, Marburg, der die Spätschriften bearbeitet. Die Arbeitsteilung
bedeutet nicht Abgeschlossenheit der verschiedenen
Aufgabenbereiche gegeneinander. Soweit als möglich haben wir
im eigentlichen Sinn im teamwork gearbeitet. Um der Einheitlichkeit
und Genauigkeit der Ausgabe willen werden die Ergebnisse
fast durchweg gegenseitig überprüfr. Etwa bei der Textherstellung
ist das geradezu eine Notwendigkeit. Man kann heute
auch sagen, daß sich der Modus gemeinsamen Arbeitens so bewährt
hat, daß er künftig beizubehalten ist. Für die Edition bedeutete
es ferner einen glücklichen Umstand, daß „sowohl Mahlmann
als auch ich die editorische mit der eigenen wissenschaftlichen
Arbeit verbinden konnten. Für Spezialprobleme (z. B. Philologie
, Druckbestimmung, Liturgik, Jura) wurden Fachleute
herangezogen.

Aus dem Editionsseminar sind die Richtlinien für die Ausgabe
herausgewachsen, die allerdings mehrfach den entstehenden
Problemen angepaßt werden mußten. Immer mehr sind wir zu
einer möglichst konservativen Wiedergabe der Texte gekommen
mit wenigen Normalisierungen. Der Vokalismus lateinischer
Texte wird vorsichtig an die klassische Schreibung angeglichen.
Zur Textherstellung wird primär die Überlieferung bis zu Brenzens
Tod herangezogen. Wiedergegeben wird der beste bzw. der
wichtigste Text. Jedes Stück wird vollständig wiedergegeben.

Es war von Anfang an klar, daß eine Gesamtedition zunächst
nicht möglich ist. Es ist aber zu fragen, ob sie sich überhaupt
empfiehlt, z. B. bei den Schriffauslegungen wird es bei
einer Auswahl bleiben. Hier muß die mit der Edition Hand in
Hand gehende Forschung Klarheit über Notwendigkeiten und
Prioritäten schaffen. Zugleich muß vor allem im Bereich der Gutachten
und Briefe der Umfang der Brenz'schen Hinterlassenschaft
zum Teil erst ermittelt werden. Einiges von dieser notwendigen
Vorarbeit ist in den letzten Jahren geleistet worden. Es wurden
die von W. Köhler zum Teil in der Bibliographie nicht berücksichtigten
Bibliotheken in Deutschland, Österreich, Rom, Frankreich
, England und den Niederlanden auf Brentiana hin durchgesehen
. Dabei sind zwar einige neue Brenzdrucke gefunden worden
, aber keine bis jetzt unbekannte Druckschrift. Die Bibliographie
dürfte hier etwa vollständig sein. Anders steht es mit
den Handschriften: Die wichtigen Haller Handschriften hat Köhler
seinerzeit leider nicht berücksichtigt. Neu hinzugekommen
sind außer der von F. W. Kantzenbach gefundenen Nürnberger
Sammelhandschrift eine Rhetorik in Erlangen, ein Römerbrief-

') Sektionsreferat, gehalten auf dem 2. Wiener Ev. Theologenkongreß
im Sep. 1966.

2) ThLZ 87 1960 Sp. 8 51—854.

kommentar aus der Vaticana Palatina, ein Homilienband in
Stuttgart, weiteres Material in den Stuttgarter und Haller
Archiven3.

Aus dieser Sachlage ist es verständlich, daß bis jetzt kein
abgeschlossenes Editionsprogramm vorliegt, zumal ein solches
Programm in seiner Durchführung sehr von den personellen und
finanziellen Möglichkeiten abhängig ist. Das Programm soll auch
künftig offengehalten werden. An verschiedenen Stellen ist die
Arbeit aber über die Anfänge hinausgediehen. So vor allem, was
den jungen Brenz betrifft. Hier ist außer in den Drucken ein erstaunlich
reiches Material im Vatikan, in Nürnberg und Stuttgart,
vor allem aber in den drei ersten Bänden der Haller Sammlung
erhalten. Bei der Haller Sammlung handelt es sich um zeitgenössische
Kopien von Brenzschriften durch städtische Schreiber.
Schon dieser für eine oberdeutsche Reichsstadt einmalige Überlieferungsbestand
dokumentiert die einzigartige Bedeutung des
Haller Prädikanten in seiner Stadt. Für Brenz selbst wie für die
Reformationsgeschichte ist dieses Material von großem Interesse.
Es soll darum möglichst vollständig veröffentlicht werden, abgesehen
von den Schriftauslegungen. Abgesondert von der Haller
Überlieferung wurden außerdem jene drei Sermone, die bisher
als die Hauptzeugen für Brenzens Beziehungen zur Mystik galten
. Neben den inhaltlichen Kriterien, die gegen eine Verfasserschaft
von Brenz sprechen, haben die Einsichten in die Überlieferung
selbst zu dem gleichen Ergebnis geführt.

Der erste Band der Frühschriften ist nahezu druckfertig. Er
wird etwa zwanzig Einzelstücke, vorwiegend aus den Jahren
1522—26, enthalten: Predigten, Gutachten, Traktate, Streitschriften
, Hugblätter usw. Bei den frühesten selbständigen Schriften
von Brenz handelt es sich um Predigten, darunter auch die beiden
ersten Brenzdrucke: Der Sermon von der Kirche und der
Sermon von den Heiligen. Nahezu unbekannt bis jetzt sind einige
Dokumente, die aus dem Ringen um die Durchsetzung der Reformation
und ihre Anerkennung durch die Obrigkeit stammen,
z. B. eine Schrift über die Mitteldinge und vor allem die „Unterrichtung
der zwiespaltigen Artikel Christenlichs Glaubs", im
Genus verwandt mit Bucers „Grund und Ursach". Die Schrift ist
so etwas wie ein Vorläufer der Confessio Virtembergica. Ferner
ist der Komplex der sieben Schriften zum Bauernkrieg zu nennen
, unter denen das große Gutachten über die Zwölf Artikel der
Bauernschaft bereits Brenzens Staatskonzeption in nuce enthält.
Den Schluß bilden die Schriften, die sich auf die Messe und das
Abendmahl beziehen. Im Libellus de Missah kommt Brenzens
älteste (oberdeutsche!) Abendmahlslehre zum Vorschein. Wichtig
ist der Bericht über das erste Abendmahl in Hall (1525). Das
Syngramma ist nach Umfang und Bedeutung die wichtigste Schrift
des ersten Bandes. Für den zweiten Band der Frühschriften sind
die Arbeiten gleichfalls weit fortgeschritten, so daß er wohl im
kommenden Jahr fertiggestellt wird. Er wird die interessanten
Sakramentspredigten von 1527 enthalten, dazu weitere Predigten
zwischen 1527 und 1529, z. B. auch die Predigt Brenzens nach
dem Speyrer Reichstag 1529. Weiter sollen genannt werden die
zwei bzw. drei Türkenschriften 1526/31; die Schriften zur religiösen
und schulischen Bildung der Jugend von 1527, die in Zusammenhang
stehen mit der ersten Haller Kirchenordnung. Eine
Reihe von Schriften ist dem Eherecht gewidmet, angefangen von
der Ordnung der Ehe von 152 5 bis zu der Schrift von Ehesachen
1529. Für die Entstehung des evangelischen Eherechts ist das ein
hochinteressantes Material, das die Herausgabe verdient. Verwandt
damit sind die verschiedenen Gutachten von Brenz: Sechs
Stücke befassen sich theologisch mit den Fragen des peinlichen
Prozesses, zwei handeln von der Strafe des Diebstahls. Ferner
sind hier die Gutachten über die Behandlung der Wiedertäufer
zu nennen (1528—30), die überraschende Einblicke gewähren. Zu
einem kleinen Teil sind diese Gutachten durch W. Köhler schon
veröffentlicht. Wir meinen, sie nicht übergehen zu dürfen, weil

3) Vgl. M. Brecht, Der Stand der Brenzforschung, Bl. f. württ. KG.
64 1964 S. 78.