Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

325-328

Autor/Hrsg.:

Büsser, Fritz

Titel/Untertitel:

Die Arbeit am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte 1967

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

325

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 5

326

offiziell abgeschafft. Damit ist der Zielpunkt der politischen Reformation
in diesen Reichsstädten erreicht: Die Räte besitzen
die Kirchenhoheit — kirchl. Administration und Jurisdiktion.
Altgläubige Restteile werden unter Sonderrechte gestellt. Auf
diesen Höhepunkt freilich folgt die Ernüchterung: Jetzt muß der
gemeindliche Aufbau, der in den Jahren der politischen Reformation
zurückgetreten war, mit neuer Kraft beginnen. An diesem
Punkt setzt vehement die Rückbesinnung auf die Anfänge der
evangelischen Bewegung ein.

III

Dieser 3. Phase der Reformation in oberdeutschen Reichsstädten
wollen wir uns an Hand eines Beispiels zuwenden. Wir
wählen dafür eine Begebenheit aus dem Leben des Konstanzer
Reformators Ambrosius Blarer. Er sandte am 4. Mai 15 28 einen
bezeichnenden Brief an Zwingli. In diesem Brief richtet Blarer
angesichts des Verbotes der Messe durch den Konstanzer Rat an
Zwingli die Frage: Darf eine weltliche Obrigkeit in Angelegenheit
, die die Kirche betrifft, handeln? Blarer verweist auf Joh.
18,36 und fragt weiter, ob eine Obrigkeit, die katholische Traditionen
abschaffe, nicht (nach 1. Kor. 8,11 und Rö. 14,15) die
Gewissen der Schwachen verletze, die solche Abschaffung noch
nicht mit Überzeugung bejahen können. Wie Zwingli in seiner
Antwort meinte, stand Blarer hier im Banne des Täufertums, das
ja die völlige Neutralität des Staates forderte.

Aber Blarer zeigt den wahren Ursprung seiner Gedanken
durch Zitate aus Lutherschriften. Er will unter direkter Berufung
auf Luther eine Scheidung des weltlichen und geistlichen Bereiches
: „Regnum Christi non est externum". Zwingiis scharfe Ablehnung
dieser auf Luther gegründeten Scheidung Blarers sei
hier nicht erörtert. Doch gerade Ambrosius Blarer spielt für die
Phase der Rückbesinnung auf die Eigenwertigkeit des kirchlichen
Bereiches eine wichtige Rolle: Blarer ist zusammen mit Oeko-
lampad aus Basel der maßgebliche Verfasser der sog. Memminger
Artikel, mit denen sich im Februar 1532 die oberdeutschen
Prediger in Memmingen zu Fragen kirchlicher Organisation geäußert
haben. In diesen Artikeln wurde u. a. auch die Frage der
Bannpraxis aufgeworfen und beantwortet mit dem Entwurf eines
auf Mt 16,18f. und Mt 18, 15—18 gegründeten Vorschlags, der

die Aufstellung von kirchlichen, rein innergemeindlichen Ältesten
für dieses Amt zur Vermahnung und evtl. Bannung im Zusammenhang
der Abendmahlspraxis vorsah. Hinter diesen Plänen
stand die Basler Kirchenordnung Oekolampads vom Jahre 1529,
in der mit der erst- und einmaligen Verwirklichung einer inner-
gemeindlichen Zucht zugleich auch erstmals eine evangelische Gemeinde
als selbständiges kirchenrechtliches Organ, wie Walther
Köhler zutreffend bemerkt hat, in die Geschichte eingetreten
ist. Hier zeigt sich, wie die Probleme evangelischer Kirchenordnung
aus Wort und Sakrament, die zu Beginn der evangelischen
Bewegung so lebendig aufgegriffen wurden, die dann durch die
Phase der politischen Reformation aufgeschoben wurden, in
einer Phase der Rückbesinnung erneut lebendig aufbrechen.

*

1. Innerhalb des Phänomens der Reformation in oberdeutschen
Reichsstädten sind drei Phasen zu unterscheiden, die zugleich
in dialektischer Korrelation miteinander verbunden sind:
Evangelische Bewegung, politische Reformation und Rückbesinnung
. Alle drei Phasen lassen erkennen, wie nachhaltig Luther
mit seinen theologischen Grundgedanken in oberdeutschen
Reichststädten gewirkt hat, wie insbesondere seine Zwei-Reiche-
Lehre schon in der ersten Phase, unterschwellig auch in der 2.
Phase, dann wieder deutlich in der dritten die Gestaltung der
Kirchen- und Lebensordnung aus Wort und Sakrament begleitet.

2. Eine in sich widerspruchslose — freilich keineswegs spannungslose
— Konzeption beseelte damit die führenden Theologen
in oberdeutschen Reichsstädten — eine rechtlich-theologische
Konzeption, die die evangelische Bewegung als religiöse Potenz
vor einem sektenhaften, antipolitischen Schwärmcrtum und die
politische Potenz vor einer möglichen Willkürherrschaft bewahrt
hat.

3. Damit stellt die Reformation in oberdeutschen Reichsstädten
ein Beispiel für die kirchenrechtlich und theologisch
immer neu zu wagende Aufgabe jeder christlichen Kirchenordnung
dar: In der Welt — nicht von der Welt zu sein oder (wie
Luther mit seiner Zwei-Reiche-Lehre für den einzelnen Christen
sagen will): Bürger zweier Reiche zu sein.

Die Arbeit am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte'

Von Fritz B ü s s e r , Zürich

Wie bekannt, war Zürich schon immer — in den letzten
25—30 Jahren vor allem dank der Arbeit von Fritz Blanke und
Leonhard von Muralt — ein Zentrum der Reformationsgeschichte,
im besondern der Zwingli- und der Täuferforschung wie auch
der politischen Geschichte zum 16. Jahrhundert. Merkwürdig vernachlässigt
wurde bis jetzt in Zürich die Bullingcrforschung, ob-
schon Bullinger als Nachfolger Zwingiis für die reformierte Welt
von ungeheurer Bedeutung gewesen ist und sicher neben Calvin
und Beza als Retter des Protestantismus reformierter Prägung
bezeichnet werden darf. Auf nationaler und internationaler
Ebene ist Bullinger als Kirchenmann, als Theologe, als Praktiker
und Historiker von größter Bedeutung.

Als Kirchenmann verdanken wir Bullinger die älteste, sowohl
die Liturgie des Hauptgottesdienstes als auch die Nebengottesdienste
vollständig umfassende Agende einer reformierten
Kirche; wir verdanken ihm — in der Zürcher Prediger- und Sy-
ncdalordnung vom Oktober 15 32 — auch die erste reformierte
Kirchenverfassung (sie blieb rund drei Jahrhunderte in Geltung).
Vor allem gelang es Bullinger, die verschiedenen reformierten
Kirchen der Schweiz durch eine einheitliche Lehre stärker untereinander
zu verbinden, was angesichts der besonderen Theologien
und Politik in Genf, Bern, Basel und Zürich schon im 16.
Jahrhundert keine Kleinigkeit war; Bullingcr aber brachte 15 36
das Erste Helvetische Bekenntnis, 1549 im Conscnsus Tigurium

*) Kurzfassung des auf dem 2. Wiener Ev. Theologenkongreß
Sept. 1966 gehaltenen Sektionsreferats.

eine Übereinkunft in der Abendmahlslehre mit Genf, 1566
schließlich das Zweite Helvetische Bekenntnis zustande. Dieses —
ursprünglich als Privatbekenntnis konzipiert — wurde nicht nur
„concorditer ab Ecclesiae Christi ministris, qui sunt in Helvetia
Tiguri, Bernae, Scaphusi, Sangalli, Curiae Rhctorum et apud con-
foederatos, Mylhusii item, et Biennae, quibus adiunxerunt se et
Genevensis Ecclesiae ministri" angenommen, sondern dann auch
von den reformierten Kirchen in Polen, Ungarn, Frankreich,
Schottland, Österreich, der Tschechoslowakei, Jugoslawien und
Rumänien, „ut universis testentur fidelibus, quod in unitate
verae et antiquae Christi Ecclesiae perstent, neque ulla nova aut
erronea dogmata spargant, atque ideo etiam nihil consortii cum
ullis Sectis aut haeresibus habeant".

Auf theologischem Gebiet galt Bullinger schon in jungen
Jahren als der eigentliche Schöpfer der protestantischen Bundes-
theologic. Als Dreißigjähriger faßte er 15 34 diese Lehre zusammen
in dem Buch „Über das einzige Testament und den ewigen
Bund Gottes". Unter den späteren Föderaltheologen gibt es
wahrscheinlich keinen, der nicht in irgendwelcher Weise von
Bullinger beeinflußt wäre, und groß ist der Einfluß dieser Lehre
auch auf die spätere politische Entwicklung, namentlich auf die
Ausformung des Verantwortungsbewußtseins der reformierten
Völker im öffentlichen Leben.

Nicht weniger bedeutsam ist Bullinger als Praktiker: durch
ihn wurde Zürich für die protestantische Welt einerseits zu einem
europäischen Zentrum der Freiheit und Gastfreundschaft, in dem
sich Glaubcnsflüchtlinge aus allen Ländern einfanden, anderseits