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Ausgabe:

1967

Spalte:

301-304

Kategorie:

Psychologie, Religionspsychologie

Autor/Hrsg.:

Pöll, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Religionspsychologie 1967

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

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dien, und er wurde bald, zumindest innerlich, in die erkenntnistheoretische
Diskussion hineingezogen. Er machte seinen philosophischen
Doktor in Leiden bei Prof. A. J. de Sopper und verschrieb
sich schließlich, von Karl Barth inspiriert, der Systematischen
Theologie. Welch ein Weg, welch ungeheure Kurve, von
den Problemen des Berg- und Brückenbaus zu den Bezirken der
Trinitätslehre und der theologischen Anthropologie! Seit etwa
10 Jahren hat er den Lehrstuhl für Religionsphilosophie zu Lltf-
recht inne" (S. 5).

Man sollte auch ein offenes Ohr für das Anliegen Loens haben
und nachempfinden können, daß es sehr wunde Punkte in
der heutigen Theologie sind, auf die er den Finger legt (etwa
'•n einer Auseinandersetzung mit Tillich, dessen Symbolismus er
durch genaues logisches Zufassen in unerträgliche Widersprüche
verwickelt). In der Tat können theologische Anthropologie und
Christologie keine ernstzunehmenden Universitätslehrfächer
mehr sein, wenn man ihren Spitzensätzen keine Relevanz für das
sonstige wissenschaftliche und .theoretische' Verständnis vom
Menschen und der Geschichte mehr zu erfechten sich getraut —
und vielleicht nur, um für seine Person weiterhin wissenschaftliches
Ansehen genießen zu können. Die Schizophrenie zwischen
•rein theologisch' und .ontologisch' o. ä. ist in der Tat nahezu
unerträglich geworden. Und in dieser Situation kann das Buch
von Loen wohl eine heilsame Schockwirkung auslösen.

Aber es wird das Problem nicht lösen. Es kann nur ein
Signal sein. Zumindest im deutschen Raum wirken die Ausführungen
Loens in ihren Einzeldarlegungen einigermaßen extrem
und darin restaurativ, manchmal sogar ganz unbegreiflich. Aus
dem Grundgedanken, daß sich die Wissenschaften nicht absolut
setzen dürften, daß sie in ihrem Fundament auf Glauben angewiesen
seien und daß „der Raum des Seins" mehr sei als die
sog. Wirklichkeit, folgt durch keine Schlußkette, daß Gottes
Heilshandeln in Jesus Christus nicht nur objektiv die Welt trägt
(was man allerdings wieder freier behaupten oder bekennen
sollte), sondern daß es auch erkcnntnistheorerisch und wissenschaftstheoretisch
an den Anfang aller Gedanken zu stehen kommen
müßte (s. bes. S. 186—191 u. 196). Und den den „unmündigen
" Menschen zu nennen, der seine objektive Teilhabe an
Christus nicht anerkennt oder von ihr nichts weiß (S. 209), ist
von einer Bewältigung jenes Bonhoefferproblems weit entfernt.
Kühne Umkehrungen dieser Art sind gewiß gut .barthianisch'
und kehren öfter wieder (wie das bekannte Modell: nicht unser
Reden von Gott ist anthropomorph, sondern unser Reden vom
Menschen, von Person, Wahrheit usw. ist theomorph); es eröffnet
aber doch eine völlig neue Vorstellung von .Barthianismus',
wenn Barth eine Grundlegung auch der Naturwissenschaften und
der profanen Geschichtswissenschaft auf theologische Axiome
decken soll (vor allem dadurch, daß sie christologisch statt thei-
stisch geschehen müsse).

„Die hier vorgetragene Ansicht wird sich vielleicht den
Vorwurf des Fundamentalismus oder des Offenbarungspositivismus
gefallen lassen müssen" (S. 228). Nicht nur vielleicht, sondern
bestimmt. Nichtsdestoweniger kann das mehr einhämmernde
und bekennende als immer ruhig deduzierende und viel
zu viel nebenbei anbringende Buch (S. 137—151 eine Kurzeinführung
in die Logistik) einen heilsamen Dienst leisten zur Zurück-
gewinnung von etwas mehr wissenschaftlichem Selbstvertrauen
vieler heutiger protestantischer Theologen.

Berlin Hans-Georg Fri tzsche

Schöne, Jobst: Um Christi sakramentale Gegenwart. Der Saliger-
sche Abendmahlsstreit 1568/59. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1966].
72. S. 8°.

PSYCHOLOGIE UND RELIGIONSPSYCHOLOGIE

Poll, Wilhelm: Religionspsychologie. Formen der religiösen Kenntnisnahme
. München: Kösel-Verlag [1965]. 523 S. 8° = Sonderband
d. Schriften d. Deutschen Instituts für Wissenschaft!. Pädagogik
in Münster. Lw. DM 3 5.—.

Der Verfasser dieses umgreifenden Buches ist 1951 bereits
mit einer religionspsychologischen Arbeit „Die Suggestion. Wesen
und Grundformen" hervorgetreten. Um die Intention dieser
nun vorliegenden Gesamtdarstellung zu verstehen, muß der Untertitel
beachtet werden. Es setzt voraus, daß die Religion eine
transsubjektive Welt ist, zu der wir Zugang gewinnen, von der
wir Kenntnis nehmen sollen. Der Begriff ist S. 89 f. genauer erklärt
. Es geht um „Kenntnisnahme des religiösen Gegenstandsbereichs
" (498). Poll behandelt zwar in seinem Buch die psychische
Wirklichkeit in erstaunlicher Breite, aber es kommt dann
doch darauf hinaus, daß er auch die anderen seelischen „Funktionen
" auf ihre kognitive Bedeutung hin prüft und darstellt.
Selbst die Offenbarung, der das letzte und längste Kapitel gewidmet
ist, wird ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt der
Kenntnisnahme und des Erkenntnisgewinnes verstanden und
dementsprechend vielfältig gedeutet. Im Vorwort wird nun freilich
mehr beiläufig ein zweiter Band über die religiöse Stellungnahme
angekündigt, dem man vermutlich viele neue Gesichtspunkte
in diesem Gesamtbild der Religion verdanken wird. Aber
er wird kaum an diesem für viele Leser sicherlich ungewohnten
Religionsbegriff: „Ehrung des Heiligen" (15) etwas ändern.

Das Werk ist ausgezeichnet durch klare Systematik, die unter
der dargelegten Voraussetzung eine Fülle fruchtbarer Gesichtspunkte
im sorgfältigen Geiste konservativer Wissenschaftlichkeit
lebensvoll und erfahrungsgesättigt in den Blick rückt. Es
schließt sich an die bisherige religionspsychologische Arbeit
fortführend und erweiternd an, positiv und auch dort Polemik
vermeidend, wo abweichende Anschaungen zur Sprache kommen.
Ein Namens- und ein Sachregister helfen zur Übersichtlichkeit.

Ich beschreibe zunächst den Aufbau der Darstellung. Das
Buch besteht aus drei ungleich langen Teilen. Der erste Teil ist
eine Einführung in die Religionspsychologie, die in drei Kapiteln
die Grundlagen, die apriorischen und aposteriorischen oder empirischen
Methoden des Faches beschreibt. Es ist eine sehr gute
Übersicht, in der ältere und neuere Verfahrensweisen beschrieben
und hinsichtlich ihrer Ergiebigkeit behutsam abgewogen werden
. Der zweite Teil ist überschrieben: Das Göttlich-Heilige.
Hier kommt das berühmte Werk R. Ottos zu Ehren, das gleichsam
in die Fundamente der Gesamtkonzeption Polls eingemauert
wird. Freilich ein Motiv, das dann sowohl in eine katholische
Konzeption transformiert als auch mit den wichtigsten Erkenntnissen
moderner Tiefenpsychologie versetzt wird. Erst der dritte
Teil: Kenntnisnahme heiliger Inhalte enthält die eigentliche
Ausführung einer religionspsychologischen Gesamtdarstellung,
auch sie dreigeteilt: A. Die inhaltlichen Grundfunktionen (139—
244), B. Die wertbestimmten Grundfunktionen (245—340), C.
Komplexe Kenntnisnahmeformen (341—500).

Der erste dieser Abschnitte behandelt in vier Kapiteln die
Sinnesempfindungen, Wahrnehmung, Vorstellung und Denken.
Ich möchte aus diesen Kapiteln, ohne daß es möglich ist, ins einzelne
zu gehen, das (VIII.) Kapitel über die Vorstellungen hervorheben
, in dem die Rolle der Erinnerung und der Phantasie,
vor allem auch der Erkenntniswert der religiösen Vorstellungen
unter Einbeziehung der Robinsonschen Probleme, wertvolle Einsichten
vermittelt. Gut ist, was Poll über Lieblingsvorstellungen
und Schwerpunktvorstellungen sagt, an denen sich weithin die
Individualisierung des religiösen Lebens entscheidet. Auch das
Kapitel über das Denken, die Formen des „Überdenkens" religiöser
Probleme und die Vertiefung des Erlebens durch das Denken
finde ich sehr fruchtbar. Daß hier die Predigt außer Acht gelassen
ist, bei der doch die Vermittlung des Evangeliums durch
den Gedanken eine so grundlegende Rolle spielt, ist schade,
aber es ist eine unauffällige Nebenwirkung des unreflektiert
„katholischen" Konzepts dieses Buches. Ich vermute auch, daß in
dem Kapitel über die Sinnesempfindungen eine Berücksichtigung
der neuen Arbeiten über die Theologie der Kunst, und daß im
Kap. über die Wahrnehmung, wo die religiöse Sprache erörtert
wird, eine „Grenzüberschreitung" zur heutigen Sprachphilosophie
und Sprachtheologie manchen doch sehr impressionistischen
Gängen des Verfassers deutlichere Konturen verliehen hätte.

Der zweite Abschnitt behandelt die wertbestimmten Grundfunktionen
auf nahezu hundert Seiten in drei Kapiteln. Das
erste (X.) über das Fühlen bringt geglückte Partien; eine für
mein Empfinden viel zu kurz geratene Erweiterung der Otto-