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Ausgabe:

1967

Spalte:

300-301

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Loen, Arnold E.

Titel/Untertitel:

Säkularisation 1967

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

300

bleiben, den die Ev. Th. zum Abdruck brachte: Heidegger und
die Theologie. Ev. Th. 24, 1964, 621 ff. — Man fragt sich am
Schluß des ersten Bandes, ob die Herausgeber gut beraten
waren, als sie ausgerechnet mit Otts onto-theologischer Syn-
thetik den ersten Schritt in eine Gegend „wagten", die doch
als Neuland in der Theologie soll gelten können.

Der zweite Band gilt der „neuen Hermeneutik". Ein heute
weit verbreitetes Vorurteil lautet dahin, daß die neue
hermeneutische Fragestellung ihre Grenzen überschritten und
mit methodologischen Problemen die eigentlichen Sachprobleme
überwuchert habe. Richtig an diesem Vorurteil ist die sich in
ihm aussprechende Ahnung, daß die „neue Hermeneutik" sich
nicht mehr auf die sogenannten Methodenfragen zu beschränken
vermag, sondern sich verpflichtet weiß, die Theologie als solche
im ganzen zu verantworten. Die sogenannten Sachfragen fallen
dabei keineswegs aus, werden vielmehr neu gestellt — in
gewissenhafter Auseinandersetzung mit der Tradition, um
gerade so dem Anspruch der Gegenwart und dem Anspruch an
die Gegenwart genügen zu können. Derartige Neubesinnungen
gehen mühsam und langsam voran. Insofern ist besagtes Vorurteil
erklärlich: man sähe gern schneller, was herauskommt,
und man hätte gern mehr. Aber auch ein erklärtes Vorurteil
bleibt ein Vorurteil.

James M. Robinson hat mit seinem den zweiten Band einleitenden
Forschungsbericht über die „Hermeneutik seit Karl
Barth" einiges getan, um den gängigen Vorurteilen über die
gegenwärtige hermeneutische Arbeit entgegenzuwirken. Sein
Überblick über die Geschichte des Begriffes und des Phänomens
Hermeneia ist nicht nur sehr informativ, sondern macht zugleich
die Entwicklung deutlich, innerhalb derer sich die „neue
Hermeneutik" als ein theologischer Ansatz sui generis scharf abhebt
. Ein Vergleich der von dem dänischen Neutestamentier
Fr. Torrn 1930 veröffentlichten „Hermeneutik des Neuen
Testaments" mit der 1954 zum erstenmal aufgelegten
„Hermeneutik" von Ernst Fuchs zeigt, was inzwischen theologisch
geschehen ist. Barth und Bultmann haben das Problem
des Verstehens für die Theologie in neuer Weise gestellt, wobei
Barths hypothetische Stellungnahme für die Inspirationslehre
(cf. Römerbrief, 1. Aufl., Seite V) m. E. bereits auf das für
alles Verstehen konstitutive Phänomen der Sprache insistierte
(von Robinson nicht beachtet), während Bultmann die erkenntnistheoretische
Problematik geschichtlichen Verstehens auf die
Problematik geschichtlichen Existierens überhaupt zurückführte.
Martin Heidegger, selber von der Arbeit evangelischer Theologie
„profitierend", hat die sich so dem hermeneutischen Problem
neu stellende theologische Forschung mit seinen fundamen-
tal-ontologischen Analysen zur Strenge und Intensität des Denkens
angeleitet, ohne daß der Unterschied zwischen Theologie
und Philosophie bei Bultmann und seinen Schülern jemals
verwischt worden wäre. (Es war ja nicht Beschränktheit, die z.
B. Bultmann an bestimmten Punkten schon dem frühen Heidegger
gegenüber penetrant verschlossen bleiben ließ!)

Die „neue Hermeneutik" kommt aus dieser Schule des Verstehens
, in der man m i t Bultmann von Barth und von beiden
nicht ohne Heidegger lernen und dann kritisch weiterdenken
wollte. Spezifisch wurde dabei die Einsicht, „daß die Sprache
selbst ansagt, was unsichtbar im Leben einer Kultur vor sich
geht" (61). Was diese Einsicht für eine Theologie des Wortes
Gottes bedeutet, erläutert Robinson durch eine Skizze der theologischen
Arbeiten von Gerhard E b e I i n g und Ernst Fuchs :
„Wie immer nun auch .Hermeneutik' genauer zu bestimmen sein
mag — jedenfalls hat sie als Lehre vom Verstehen mit dem
Wortgeschehen zu tun", wobei die Sprache nicht so sehr das her-
meneutisch zu Erhellende als vielmehr selber das hermeneutisch
Erhellende ist (Ebeling; cf. S. 120 mit 128). „Denn wo Wort geschieht
, wird Verstehen ermöglicht" (Ebeling; 129). Dann ist
allerdings das Neue Testament „selber ein hermeneutische
! Lehrbuch. Es lehrt die . . . Sprache des Glaubens
, und ermutigt uns, diese Sprache selbst auszuprobieren, damit
wir mit — Gott vertraut werden" (Fuchs; 182). Mit diesen
Zitaten sind bereits die Autoren der beiden Leitartikel zu Wort
gekommen: Ebeling mit seinem bereits aus der ZTHK (56, 1959,

224ff.) bekannten Aufsatz über „Wort Gottes und Hermeneutik
", Fuchs mit seinem ebenfalls aus der ZThK (5 8, 1961,
198ff.) bereits bekannten Aufsatz über „Das Neue Testament
und das hermeneutische Problem".

In den sich anschließenden Stellungnahmen wendet zuerst John
Dillenberger unter der Überschrift „Zur Ausweitung der neuen
Hermeneutik" gegen Ebeling und Fuchs ein, deren Hermeneutik erwecke
den „Eindruck, daß es nur eine (!) richtige Sprache und nur
eine (!) Weise des Verstehens gebe". Es gibt jedoch „keine Sprache
für alle Zeit, sondern sie hat ihre Funktion zu jeder Zeit" (194).
Berücksichtigt man diese Einsicht, dann hört die Hermeneutik auf,
eine theologische Methode zu sein, in die man sein Vertrauen
setzen kann. Dafür wird sie jedoch zu einein Programm, das in
der Relativität aller Kulturformen den Ausdruck der Wahrheit Gottes
zu erkennen sucht — ein Programm, „bei dem Einbildungskraft,
Denken und der Mut zu Fehlern ihre Rolle spielen werden" (207).
Denn Gottes Wahrheit trifft im Konkreten.

Robert W. Funk nimmt in einer scharfsinnigen Analyse über
das Verhältnis der historischen Kritik zum hermeneutischen Problem
eine Exegese bestimmter Gedankengänge des zweiten Korintherbriefes
zum Anlaß, um die Aufgabe historischer Kritik als Kritik der Gegenwart
des Auslegers zu bestimmen: „Will man die Geschichte für sich
selbst reden lassen, so bedeutet das, sie kritisch gegen die gegenwärtige
Anschauung von der Geschichte reden zu lassen, d. h. so,
daß sie (!) die Gegenwart angeht" (251).

Arnos N. Wilder warnt die deutsche Hermeneutik angesichts
der Faktizität des amerikanisdien Empirismus vor einem — mit
Hölderlin zu reden — „schrecklichen Allzusehr" des Offenbarungswortes
, das isoliert von der Kultur und anderen Lebensbereichen den
Menschen zum „bloßen Formular für eine existentielle Entscheidung"
(262) zu reduzieren droht. Ebeling und Fuchs müßten in der Berücksichtigung
aller menschlichen Faktoren (Soziologie, Psychologie,
Semantik etc.) für die Theologie „noch weiter gehen" (265). Denn
das Wort Gottes ist ein „Bedeutungselement" (269) innerhalb einer
empirischen Welt. In ihr haben z. B. Vorstellungen durchaus ihr
Recht, so daß die Polemik gegen sie illegitim erscheint. Man muß
eben, wie es der Titel des Beitrages sagt, das „Wort als Anrede und
(!) das Wort als Bedeutung" zur Geltung bringen.

John B. C o b b ordnet die kritischen Einwände unter dem Stichwort
„Glaube und Kultur" und fragt, ob die Kultur für den Glauben
(und nicht etwa nur dieser für jene) nicht auch konstitutive Funktion
habe. Dann darf allerdings das Wissenselement im Glauben nicht auf
das Wissen des Glaubens um sich selber eingesdiränkt werden.

In einem Brief an Robinson geht Fuchs nicht so sehr abschließend
als vielmehr sich den Fragen der amerikanischen Diskussion
aufschließend auf diese ein. Dabei kommt es freilich zu
neuen Fragen. Doch das ist sicher nicht der schlechteste Versuch,
in einem einmal entdeckten „Neuland" Fuß zu fassen und weiter
zu gehen.

Zürich Eberhard Jüngel

Loen, Arnold E.: Säkularisation. Von der wahren Voraussetzung
und angeblichen Gottlosigkeit der Wissenschaft. Mit einem Geleitwort
v. K. H. M i s k o 11 e. München: Kaiser 1965. 228 S. gr. 8°.
DM 17.— ; Lw. DM 19.80.

Das Buch ist ein sehr energischer Protest dagegen, die an
sich zu bejahende Säkularisierung als Befreiung von religiöser
Bevormundung und von Unsachlichkeiten (biblisch: Entdämoni-
sierung der Welt) dahin zu pervertieren, daß die Bereiche von
Theologie und Wissenschaft bzw. von theologisch und ontolo-
gisch oder Glauben und Wissen radikal getrennt werden, so daß
in einer außertheologischen Wissenschaft der Ausdruck ,Gott'
gar nicht mehr vorkommen dürfe. Etsi deus non daretur . . . diese
These bekämpft Loen leidenschaftlich („Nun also: Schluß. Es ist
uns nun unbegreiflich, daß Bonhoeffer dennoch wefterredet:
,Und eben dies erkennen wir — vor Gott!'" S. 211); und was
ihm vorschwebt, ist eine universitas litterarum, deren letzte
Axiome — als echte, logische, sachlich tragende Axiome — Gottes
Offenbarung in Jesus Christus darstellen müßten. Das Ganze
ein Gegenextrem zu Bultmanns Abkapselung des Theologischen
in der Sphäre des Existentialen oder Innerlichen (S. 200ff.).

Man muß Loen zunächst zugestehen, daß er einige Kompetenz
für das Problem .Theologie und die Wissenschaften' mitbringt
. Er hat nicht nur Theologie bzw. spä'tantike Literaturgeschichte
studiert, sondern war, wie das Geleitwort von Miskotte
berichtet, ursprünglich Ingenieur. „Es folgten mathematische Stu-