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Ausgabe:

1967

Spalte:

296-300

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Der spätere Heidegger und die Theologie 1967

Rezensent:

Jüngel, Eberhard

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295

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

296

Unterschiede im sozialen Verhalten nicht so sehr den Einfluß des
Bekenntnisses widerspiegeln, sondern nur die zeitlich differenziert
gegebene Antwort auf den alle Konfessionen in gleicher
Weise betreffenden „Widerspruch zwischen orthodoxer Bibelgläubigkeit
und Naturwissenschaft, zwischen kirchlicher Tradition
und moderner Wirklichkeit" (S. 100). Wenn Verstädterung und
Industrialisierung sich ausbreiten und wenn die Verbindung von
staatlicher Ordnung und kirchlicher Moralsich löst, nimmt zugleich
die Motivationskraft konfessioneller Einstellung ab. Obgleich der
Glaube die frühere Bedeutung für das Handeln verloren hat, bleiben
die Menschen ihrer Selbsteinschätzung nach Glieder ihrer
Kirche, so daß eine Statistik der Religionszugehörigkeit diese Bewegung
nur schwer erhellen kann. Die vorsichtige Beurteilung der
Tatbestände durch die Verfasserin hat ihren Grund darin, daß bei
jedem einzelnen Problem in doppelter Weise zu fragen ist: Was
ist der Einfluß der Konfession und was ist die Wirkung einer anders
verstandenen kirchlichen Bindung mit ihren gesellschaftlichen
Merkmalen?

In sechs Hauptabschnitten, die dem vorliegenden statistischen
Material nach nicht immer gleichwertig sind, werden die wichtigen
Korrelationen von der Verfasserin untersucht. Der Abschnitt über
die Bevölkerungszusammensetzung der Konfessionsgruppen enthält
unter anderem eine gründliche Erörterung des Problems der
größeren Geburtenhäufigkeit bei den Katholiken und des Problems
der Mischehe. Die Auswertung der Statistik des Schul- und
Hochschulwesens und der Gliederung der Berufs- und Einkommensgruppen
nach der Religionszugehörigkeit zeigt, daß der evangelische
Bevölkerungsteil stärker auf die technischen und ökonomischen
Berufe eingeht und mehr in der Berufsgruppe der Angestellten
vertreten ist. Angaben aus der Medizinal- und Moralstatistik
versuchen zum Beispiel die Frage zu klären, ob die Glieder
der evangelischen Konfession insgesamt eine höhere Selbstmordziffer
haben. Zwei kurze Kapitel befassen sich zum Schluß mit Ergebnissen
aus demoskopischen Umfragen sowie dem kirchlichen
Verhalten gemessen an der Inanspruchnahme der Amtshandlungen
, an Abendmahlsziffern und an der Entwicklung der Kirchenaustritte
und Kirchenübertritte.

An der Verteilung des statistischen Materials läßt sich ablesen
, wie stark die These Max Webers, daß der evangelische Glaube
von einer spezifischen Neigung zum „ökonomischen Rationalismus
" begleitet sei, die Diskussion bestimmt hat. Hinzukommend
hat das Interese der Kirchen, das Phänomen der konfessionellen
Freizügigkeit zu erhellen und Differenzen in der unmittelbaren
Lebenseinstellung mit Hilfe der Statistik zu veranschaulichen, die
Untersuchungen gelenkt. Vielleicht ist aus dieser Disposition der
statistischen Arbeit ein Tatbestand zu erklären, der beim Durchgehen
der Tabellen auffällt. Der Index der Religionszugehörigkeit
faßt eine sehr große Gruppe von evangelischen und katholischen
Kirchengliedern zusammen, in der eine Fülle von verhaltensbestimmenden
Kräften zusammenfließen. Er grenzt aber ebenso die
kleine Gruppe der „Sonstigen" ab, die Glaubenslose und Angehörige
von Sekten oder Freikirchen zusammenschließt. Das atypische
Verhalten dieser Sondergruppe wird durch den Index der Religionszugehörigkeit
sehr viel schärfer umrissen als die konfessionellen
Einstellungen unter den großen evangelischen und katholischen
Bevölkerungsteilen. Es ist bedauerlich, daß der Gruppe
der „Sonstigen" über gelegentliche Erwähnungen hinaus nicht eine
genauere und zusammenhängende Analyse zuteil wurde.

Im ganzen führt gerade die sorgfältige statistische Durcharbeitung
zu einer Abschwächung der schnell aufgestellten Gegensätze
zwischen den Konfessionen. Aber „so sehr eins ins andere
verflochten ist, die Siedlungsweise mit den Ausbildungsformen,
der Beruf mit dem Einkommen, und alles zusammen wieder mit
Kinderreichtum, Scheidungshäufigkeit und Selbstmordneigung,
und so sehr sich die eine Erscheinung durch die andere erklären
läßt, so bleibt es letzten Endes doch erstaunlich, daß immer wieder
das eine oder andere Bündel von Merkmalen mit der einen
oder anderen Religionszugehörigkeit zusammenfällt" (S. 292).

Hamburg Justus Frey tag

Bennett, John C: Die Affinität zwischen Christentum' und Demokratie
(ZEE 8, 1965 S. 237—244).

Berg, Ludwig: Industriekultur und Religion (TThZ 74, 1965 S.
370—373).

Buske, Thomas: Kirche und Gesellschaft (NZSTh 7, 1965 S. 62—70).
C a 1 v e z , Jean-Yves: Möglichkeiten der Freiheit in der Gesellschaft

von morgen (StZ 176, 90. Jg. 1964/65 S. 669—681)|.
Delooz, P.: Une nouvelle enquete sur Ia foi des collegiens (Nou-

velle Revue Theologique 97, 1965 S. 466—514).

von Ferber, Christian: Soziologische Aspekte des Todes (ZEE 7,
1963 S. 338—360).

Fürstenberg, Friedrich: Soziologische Strukturprobleme der

Kirchgemeinde (ZEE 7, 1963 S. 224—233).
Lindner, Reinhold: Über die Zusammenarbeit von Soziologie und

Theologie. Eine Auseinandersetzung mit Helmut Schelsky (ZEE 10,

1966 S. 65—80).

Nell-Breuning, Oswald von: Das Alter im Aufbau der Gesellschaft
(StZ 178, 91. Jg. 1966 S. 214—224).

Philippi, Karl: Gesamtkirchengemeinde und Teilkirchengemeinden
(PB1 107, 1967 S. 17-22).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Robinson, James M., u. John B. Cobb, jr. [Hrsg.]: Der spätere
Heidegger und die Theologie, übers, v. E. F i n c k e. 248 S. Kart,
sfr. 14.80.

— Die neue Hermeneutik, übers, v. E. F i n c k e. 312 S. Kart. sfr.
15.80. Zürich-Stuttgart: Zwingli Verlag [1964/65]. 8° = Neuland
in der Theologie. Gespräche zwischen amerikanischen und europäischen
Theologen, hrsg. v. J. M. Robinson u. J. B. Cobb, I. u. II.

„Neuland in der Theologie" heißt der Titel einer in den
USA herausgegebenen und zugleich in japanischer und deutscher
Übersetzung erscheinenden Buchreihe, die „nicht der Verbreitung
längst gefestigter Positionen von emeritierten Theologen
. . ., sondern dem Vorstoß in das Neuland theologischer
Zukunft" (Bd. I, S. 7) dienen will. Der Vorstoß soll im Gespräch
zwischen amerikanischen und deutschen Theologen geschehen,
vor allem „in der Diskussion mit der deutschsprachigen Theologie
der jüngeren Generation" (7). Die einzelnen Bände der
Reihe werden jeweils analog aufgebaut: ein Leitaufsatz soll
„eine sich anbahnende Entwicklung in ihrem Anfangsstadium"
(S. 9) anzeigen und von vornherein zur kritischen Erörterung
dessen, was sich anbahnt, einladen. Dem Leitaufsatz geht eine
Einführung in die theologischen Zusammenhänge voraus, aus
denen der Aufsatz zu verstehen ist und in denen er seine Bedeutung
hat. Während der Leitaufsatz jeweils von einem
deutschsprachigen Theologen des Kontinents beigesteuert werden
soll, gibt der eine Herausgeber der Reihe, James M.
Robinson, stets die Einführung in die theologische Situation
. Dem Leitaufsatz antworten konstruktive und kritische
Beiträge amerikanischer Theologen, zu denen dann der andere
Herausgeber der Reihe, John B. Cobb, und abschließend
der das Thema liefernde Autor Stellung nehmen.

Die ersten beiden Bände der Reihe liegen jetzt vor, der
dritte ist bereits angezeigt. Der erste Vorstoß in das Neuland
theologischer Zukunft führt auf die Holzwege des Denkers
, der jenseits von „Philosophie" und „Wissenschaft" das
Denken in eine Gegend winkt, in die einzukehren nach Meinung
Heinrich Otts auch und sogar besonders der Theologie
Gewinn bringen soll: „Der spätere Heidegger und die Theologie
". Der Band orientiert sich an Otts Vorstellungen und Erwägungen
über die Vorzüge des die Metaphysik verwindenden
Denkens Martin Heideggers und über die Verheißungen
einer vom Baume seiner (insbesondere seiner späteren) Erkenntnis
sich speisenden Theologie. Der zweite Band geht sozusagen
einen Schritt zurück und erörtert die „neue Hermeneutik"
anhand zweier Leitaufsätze, die aus der Feder von Gerhard
E b e 1 i n g und Ernst Fuchs kommen. Der dritte Band soll
unter dem Titel „Theologie als Geschichte" dem Programm
Wolfhart Pannenbergs gelten.

Daß James M. Robinson in der deutschsprachigen Theologie
vorzüglich orientiert ist, hat er mehrfach zu erkennen gegeben
. Sein den ersten Band dieser Reihe einleitender Forschungsbericht
über die „deutsche Auseinandersetzung mit dem