Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

277-278

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Chadwick, Owen

Titel/Untertitel:

The Victorian Church, I 1967

Rezensent:

Delius, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

277

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

278

Kürzer wird in Teil II, wiederum auf alttestamentlichem und jüdischem
Hintergrund (159—164), l. Kor 11,3—16 exegesiert. Das kurze
Haar weist den Propheten als Diener des neuen Tempels aus (V. 4;
Ez^ 44,20). Since he is God's image, he has, like God, short hair;
dö*a bezieht sich auf das weiße Gewand des Propheten — so heißt es
zu 1. Kor. 11, lab (s. Dan 7,9). In V. c dagegen bezieht sich <5ofa
darauf, daß die Frau Eigentum des Mannes ist. Als Ersatz für den
weißen Mantel des Propheten {ntQißolaiov V. 15) hat die Prophetin
ein sichtbares Zeichen dessen zu tragen, daß sie von der Kirche und
von ihrem Manne her bevollmächtigt ist, als solche aufzutreten (V. 10).
— In Teil III schließlich zeigt der Vf., in großen Linien Ag 18, 18 mit
21, 23—27 verbindend und bestimmte nach Acta dazwischen liegende
Ereignisse einordnend, Paulus als A Nazirite of the New Temple
(189-196).

Die Kombinationsfreudigkeit des Vf.s, die u. a. zu der
Zusammenfassung von drei zunächst so weit auseinanderliegenden
Texten unter einem Gedanken führt, deutet sich
auch in dem kurzen Referat an. Daß sich die Interpretation der
Stellen in den Zusammenhang der Verkündigung Jesu bzw. der
Aussagen des Paulus einfügt, ist allerdings fraglich. Daß für
die Schwierigkeiten von 1. Kor 11 eine neue Lösung vorgelegt
wird1, kann dazu veranlassen, die alte zu überdenken. M. E.
müßte freilich die nunmehr angebotene auch in den Einzelheiten
überzeugend sein. Eine Assoziation, wie die in dem zu
Kor 11, 7 ab zitierten Satz, scheint mir die Grenze des Paulus
Zumutbaren zu überschreiten.

Im Hauptteil vor allem entfaltet der Vf. bestimmte methodische
Fähigkeiten und zeitgeschichtliche Kenntnisse. Seine Interpretation
erscheint mir freilich auch hier im Entscheidenden
nicht als akzeptabel. Daß für Jesus der Gedanke des neuen
Tempels bedeutsam war, ist mir von Mk 14, 58 her (allerdings
nicht in der speziellen Interpretation von Joh 2, 21) glaubhaft.
Von daher könnte sich auch die — bei Paulus ausgesprochene —
Vorstellung der Heiligkeit des neuen Tempels ergeben. Daß
Jesus indessen in Mt 19, 5 nicht Ez 44 heranzieht, das von
kultisch-rituellem Denken bestimmt ist, sondern Gn 1 f., scheint
mir nicht nur in der Methode rabbinischer Diskussion begründet
zu sein. Auch der Vf. kann die Aussagekraft von Gn 2, 24 im
Zusammenhang von Mt. 19, 3—9 nicht übersehen (126).

') Doch s. M. D. Hooker, New Test. Stud. 10 (1963/64) 410-416.
Halle/Saale Gerhard Delling

Cortes, Juan B.: Yet Anothcr Look at Jn 7, 37-38 (CBQ 29, 1967
S. 75—86).

Culliton, Joseph T.: Lucien Cerfaux's Contribution conceming

"The Body of Christ" (CBQ 29, 1967 S. 41-59).
Davies, W. D.: The Sermon on the Mount. London: Cambridge

University Press 1966. VIII, 163 S. kl. 8 = Religion CAM 384.

Kart. 9 s. 6 d.

Feuillet, A.: L'heure de la femme (Jn 16,21) et l'heure de la Mcre
de Jesus (Jn 19, 25—27) (Bibl 47, 1966 S. 557—573).

Kremer, Jacob: Die Bedeutung der Osterbotschaft durch R. Bultmann
und W. Marxsen (Bibel und Kirche 22, 1967 S. 7—14).

Most, William G.: A Biblical Thcology of Redemption in a Co-
venant Framework (CBQ 29, 1967 S. 1—19).

Pesch, Rudolf: Zum Weg der modernen Evangelicnforschung (Bibel
und Leben 8, 1967 S. 42—63).

KIRCHENGESCHICHTE: ALLGEMEINES
UND TERRITORIALKIUCHENGESCHICHTE

Chadwick, Owen: The Victorian Church, I. London: Adam &
Charles Black 1966. X, 606 S. gr. 8° = An Ecclesiastical History of
England, ed. by J. C. Dickinson, V. Lw. 63 5.

Das Buch ist der I. Teil des letzten Bandes einer 5-bändigen
Kirchengcsdiichte Englands. Von ihr ist bisher nur der 1. Band,
die älteste Kirchengeschichte Englands, erschienen. Das Werk
von O. Chadwick umfaßt in 8 Kapiteln die dreißig Jahre englischer
Kirchengeschichte zwischen 1829 und 1859. Bereits der
Umfang des Buches, aber noch mehr sein Inhalt zeigt ein tiefes
Eindringen in die Geschichte jener drei Jahrzehnte. Die Darstellung
der Kirchengeschichte beginnt in der Periode englischer Geschichte
, in der die Neuordnung der staatlichen Verfassung vor
sich ging (1828—1835). Ihr Ergebnis war eine Verminderung

des Einflusses der englischen Staatskirche. Zugleich trat eine Steigerung
römisch-katholischer Ansprüche in Erscheinung und öffnete
den Dissenters den Zugang zum öffentlichen Leben. So
schildert das Buch in diesem Zusammenhang die Katholikenemanzipation
im Jahre 1829, durch die zuerst in Irland der katholischen
Bevölkerung das Recht auf Glaubensfreiheit wiederhergestellt
wurde. Die Darstellung zeigt, welche Einstellung die
Pfarrerschaft der anglikanischen Kirche gegenüber diesem Ereignis
und den Ansprüchen der römisch-katholischen Kirche einnahm
, und wie bei der Besetzung katholischer Bischofsstühle die
ablehnende Haltung des englischen Königs deutlich wurde.
Gleichzeitig führten diese Vorgänge auf kirchlichem Gebiet zur
Reform der Staatskirche, die in dem Buch in allen Einzelheiten
geschildert wird. Es sind u. a. die Frage der Dotation der Bischöfe
, die verschiedenen Vorschläge zur Kirchenreform, wobei die
Auseinandersetzung zum Teil prophetisch-apokalyptische Formen
annahm, sowie die Haltung der verschiedenen Kabinette.
Zugleich trat eine Verschärfung der Spannung zwischen der
Staatskirche und den Dissenters ein, die bei den Whigs ihre politische
Heimat gefunden hatten. Die Spannung gegenüber den
Dissenters war nie zuvor in der englischen Geschichte so scharf
gewesen wie in dieser Zeit. Die Dissenters waren von allen Gemeinde
- und Staatsämtern, vom Parlament und vom Universitätsstudium
ausgeschlossen, wohl aber zur Zahlung des Zehnten
und zur Kirchensteuer verpflichtet.

In diese Zeit fällt das öffentliche Auftreten John Henry
Newmans, des werdenden geistigen Führers der Oxfordbewegung
. Damals erschienen seine Tracts for the Times (1833).

Die Bewegtheit jener Zeit wird deutlich in der Darstellung
der Whigreform der Kirche, der Oxfordbewegung, der Schilderung
der Tätigkeit Lord Rüssels, der Schwierigkeiten bei der Ernennung
des Oxfordprofessors Hampden zum Bischof von He-
reford und der Berufung des Pfarrers Gorham in eine Pfarrstelle,
zwei Ereignisse, welche die kirchliche Öffentlichkeit stark bewegt
haben. Dazu kamen erneute Vorstöße der römisch-katholischen
Kirche und die Versuche, die Convocation zu neuem Leben zu
erwecken.

Wichtig und eindrucksvoll ist das 5. Kapitel unter der
Überschrift: Religion und Arbeiter. Es schildert die Veränderung
der sozialen Verhältnisse in England, das Wachsen der Städte,
den Zustrom von Iren und Landarbeitern in die Industriestädte.
Weder die katholische Kirche hinsichtlich der Iren, noch die Kirche
von England waren gerüstet, diese Massen zu verkraften.
Das Schlimme war, daß auch die öffentlichen Einrichtungen nicht
imstande waren, ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen auch
nur annähernd nachzukommen So bildeten sich die Slums in
London und anderen Industrie- und Hafenstädten. Llnbeschreib-
lichc Zustände zeigten sich bei den Epidemien, die angesichts der
Zusammcnballung und der primitiven LInterbringung der proletarischen
Massen unvermeidlich waren. In den Slums waren die
gottesdienstlichen Räume überfüllt. Für Neubauten fehlten die
Mittel. Das Buch schildert das kirchliche Leben in den Slums. Die
Erziehung, eine Aufgabe, welche der Staat der Kirche noch gelassen
hatte, wurde in diesen Verhältnissen zu einem wichtigen
Faktor. Interessant sind ferner in diesem Zusammenhang die
Ausführungen über den christlichen Sozialismus (Robert Owen,
Kinsley).

Den Dissenters und den Evangelicals werden eigne Kapitel
gewidmet. In der Tiefe aller dieser Ereignisse vollzog sich im
englischen Volk die Krise des Glaubens.

Es ist unmöglich, die Fülle der Einzelheiten und Probleme
zu schildern, welche durch die Darstellung sichtbar werden. Der
Verfasser hat dreißig bisher unveröffentlichte, bedeutsame Quellen
benutzen können: Tagebücher und Papers aus den verschiedensten
Archiven. Eine umfangreiche und gewichtige englische
Literatur, die in dem Buch sieben Druckseiten umfaßt, stand dem
Verfasser zur Verfügung. Das Buch ist eine wichtige wissenschaftliche
Leistung. Mein Wunsch wäre, daß dieses Werk ins
Deutsche übersetzt würde, damit weiteren Kreisen bei uns ein
Einblick in die weithin unbekannte Periode englischer Kirchengeschichte
gegeben wird.

Berlin Walter Del ins