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Ausgabe:

1967

Spalte:

273-275

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnackenburg, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Johannesbriefe 1967

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

274

NEUES TESTAMENT

Schnackenburg, Rudolf, Prof.: Die Johannesbriefe. Auslegung.
2., neubearb. Aufl. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1963. XXXI, 336 S.
gr. 8° = Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament,
hrsg. v. A. Wikenhauser f u. Anton Vögtle, Bd. XIII: Fasz. 3.
Lw. DM 3 3.-.

Es bedrückt mich sehr, daß ich - infolge der Reduktion meiner
Arbeitskraft — so lange auf die Besprechung des Kommentars
Schnackenburgs zu den Joh.-Briefen habe warten lassen. Doch
hoffe ich, daß der verspätete Hinweis auf dieses bedeutsame
Werk immer noch nützlich sein kann. Ich halte diesen Kommentar
, der 195 3 zum ersten Mal und 1963 in zweiter Aufl. erschienen
ist, neben dem von C. H. Dodd (1946, 21947) für den besten
Kommentar zu den Joh.- Briefen, den wir besitzen. Er ist
ausgezeichnet nicht nur durch die umfassende Kenntnis der alten
und der neuen Literatur und durch die sorgfältige und sachliche
Auseinandersetzung mit ihr, sondern auch durch das lebendige
Interesse am theologischen Gedankengehalt der Briefe. Was diesen
betrifft, so charakterisiert Sehn, die Eigenart der joh. Sprache
und ihres Denkens. Aber er gibt auch immer wieder Hinweise
auf ihre Beziehungen zur Sprache und zum Denken der anderen
Schriften des NT, zumal zu der synoptischen Jesus-Überlieferung
und zu Paulus. Dabei kommt freilich das von Ernst Käsemann
aufgeworfene Problem, ob (oder wieweit) die joh. Schriften der
s|ch bildenden Kirchlichkeit des „Frühkatholizismus" als ketzerisch
erschienen, m. E. nicht genügend zur Geltung, wenn ich
auch der Kritik Sehn.'s an Käsemanns übertriebenen Folgerungen
zustimme.

Während Dodd, ohne die Beziehungen zur übrigen Neutest
. Literatur zu vernachlässigen, vor allem an der Beziehung
der Joh.-Briefe zur hellenistischen Literatur und zur mystischen
Frömmigkeit des Hellenismus interessiert war, legt Sehn, größeres
Gewicht darauf, zu zeigen, in welchem Maße in den Joh.-
Briefen die alttestamcntliche und jüdische Tradition wirksam ist.
Hierfür kann er besonders auch die Qumran-Texte verwerten,
die für Dodd noch nicht in dem heute vorhandenen Umfang zugänglich
waren. Aber Sehn, übersieht auch nicht den Einfluß gno-
stischen Denkens, wie ja auch Dodd ihn nicht verkannt hatte.
Diesen Einfluß möchte ich freilich für größer halten als Sehn.,
der meint, daß nur eine „terminologische Berührung" vorliege.
Im übrigen charakterisiert er sehr richtig den grundsätzlichen Unterschied
zwischen christlichem und gnostischem Denken, wie er
sich besonders im christlichen Verständnis der Einheit von Glaube
und Liebe zeigt.

Einen erheblicheren Einwand gegen Sehn.'s Interpretation
habe ich gegen seine Interpretation des Verhältnisses
von Christ und Sünde, — ein Thema, dem er einen
größeren Exkurs S. 282—288) gewidmet hat. Er versteht die
sich scheinbar widersprechenden Aussagen von 1. Joh. von
der Sündlosigkeit der Christen und vom Bekenntnis der Sünde
und dem Kampf gegen sie — ich kann auch sagen: das Verhältnis
von Indikativ und Imperativ — nicht als Dialektik, sondern
als Spannung. Richtig ist freilich, daß er die Widersprüchlichkeit
aus der Eigenart der Eschatologie des 1. Joh. verstehen will; richtig
sieht er auch, daß in 1. Joh. das erwartete cschatologische
Geschehen in die Gegenwart „hereingeholt" wird. Aber ist die
Auskunft treffend, daß die Zukunft Gegenwart wird in der sakramentalen
Verwirklichung? Sehn, verkennt m. E., daß die Vergegenwärtigung
des Eschatologischen nicht eine Spannung, nämlich
die von Erwartung und Erfüllung, hineinbringt, sondern als
dialektisches Verhältnis zu verstehen ist: für den Glaubenden ist
das eschatologische Geschehen (ungeachtet seiner zukünftigen
Vollendung) in paradoxer Weise schon die Erfüllung der Gegenwart
.

Damit hängt es zusammen, daß er der paradoxen Aussage
von 1. Joh. 2,7f. nicht gerecht wird, nämlich daß das Liebesgebot
nicht neu und doch hinwiederum neu sei. Sehn, meint, daß es
deshalb neu sei, weil es bisher nicht verwirklicht wurde, jetzt
aber verwirklicht werde, indem sich die Lieht- und Liebesmacht
Gottes im Vordringen befinde. Hier scheint mir der eschatologische
Sinn des „neu" und der Satz, daß das wahre Licht schon
scheint, verkannt zu sein.

Der Exegese der Briefe ist eine ausführliche Einleitung vorausgeschickt
. Die Themen der Einleitung zu 1. Joh. seien aufgezählt
: 1. Äußere Form und Art des Schreibens. 2. Stil und Produktionsweise
des Verf. von 1. Joh. 3. Aufbau und Einheitlichkeit
von 1. Joh. 4. Die geschichtlichen Voraussetzungen: Die bekämpfte
Irrlehre. 5. Religionsgeschichtlicher Standort. 6. Verhältnis
von 1. Joh. zum Johannesevangelium. 7. Leserkreis, Verfasser
, Abfassungszeit. 8. Die Tcxtüberlieferung — das Comma
Johanneum. 9. 1. Joh. in der Kanongeschichte. Auch die 12 Exkurse
, die die Exegese durchziehen, sollen zur Orientierung des
Lesers aufgezählt werden: 1. Sinn und Tragweite der „Zeugen-
Aussagen von 1. Joh. 1, lff. 2. Gemeinschaft mit Gott. 3. Häretische
Gnosis und christliches „Gotterkennen". 4. Zu den joh. Immanenzformeln
. 5. Bruderliebe. 6. Der „Welt"-Begriff in 1. Joh.
2, 15—17. 7. Zur Vorgeschichte der „Antichrist"-Erwartung. 8.
Gotteskindschaft und Zeugung aus Gott. 9. Zur Vorstellung
vom Geist in 1. Joh. 10. Die Liebe als Wesen Gottes. 11. Das
Gotteszeugnis und der Glaube. 12. Christ und Sünde.

Die Exegese hat mir vielfach mein eigenes Verständnis bestätigt
, z. B. die Interpretation der „Zeugen"-Aussagen von 1.
Joh. l.lff., speziell von 1. Joh. 1,1; und die Behandlung der
Frage nach der in 1. Joh. bekämpften Irrlehre. Ich bin aber auch
durch manche Kritik an meinen Veröffentlichungen belehrt worden
. Hier ist nicht der Ort, um in eine Diskussion mit Sehn, einzutreten
. Daß er meiner Analyse von 1. Joh., nämlich der Unterscheidung
von Vorlage und deren Bearbeitung, nicht zustimmt
und ebensowenig meiner Hypothese einer kirchlichen Redaktion
des Briefs, bedaure ich natürlich, bin aber dankbar für den Ernst,
mit dem er sich mit meinen Versuchen auseinandersetzt. Die alte
Frage nach dem Verhältnis von 1. Joh. zum Evg. Joh. kann hier
natürlich nicht diskutiert werden. Ich will nur sagen, daß ich
mich seines vorsichtigen Urteils freue, indem er zwar meint, an
der Identität der Verfasser festhalten zu können, aber zugibt,
daß die Annahme der Verschiedenheit auch mit guten Gründen
vertreten werden kann.

In der 2. Aufl. sind manche Ausführungen der 1. Aufl.
und gelegentlich auch die Übersetzung der Texte geändert, vor
allem aber bereichert. Alles im Einzelnen zu verzeichnen,
würde hier zu weit führen, und ich beschränke mich auf einzelne
Beispiele. Zu den Erweiterungen gehören natürlich die Literaturnachweise
und dabei auch die Auseinandersetzung mit W. Nauck.
Auch die Beschreibung des Verhältnisses zu den Qumran-Texten
ist erweitert (S. 68. 84 f. 86), besonders was das Thema der
Gotteserkenntnis (S. 96) und den Dualismus (S. 211 f.) betrifft.
Außerdem seien genannt: Die Vermutung, daß die Wendungen
in 3,24 und 4, 13 auf katechismusartige Formulierungen zurückgehen
(S. 209 f.) oder über das jivev/ua rrjg jikänjg (S. 226),
über 6 aanrjg rov xoo/uov (S. 243 f.), über nxäv (S. 224, 3),
über das Verhältnis von Christologie und Soteriologie (S. 256),
über die sakramentale Deutung von 5, 7 f. (S. 262 f.), über die
äftciQTta TTQog iMvarov 5, 16 f. (S 277 f.), über 6 yetrrji^Fvg
iy. tov &eov 5,18 (S. 280), über die el'dmXa 5,21 (S. 292 f.).
Von den Erweiterungen nenne ich die Erklärungen des TtaQdxXrjTOe
(S. 91) und der Gotteserkenntnis (S. 95 f.).

Auch der Erklärung von 2. und 3. Joh. ist eine Einleitung
vorausgeschickt, die gegenüber derjenigen der 1. Aufl. mehrfach
geändert und erweitert ist, zunächst was das Problem des sich
als jiQeaßvTEQog bezeichnenden Verf. betrifft. Sehn, urteilt mit
Recht, daß sich vom Titel ngeoß. aus die Verfasserfrage nicht
eindeutig entscheiden läßt; ebenso, daß sich von den beiden
kleinen Briefen aus die Identität des nQeaß. mit dem Verf. des
Joh.-Evg. kaum erweisen läßt. Zu der schon in der 1. Aufl.
kritisch beurteilten Hypothese E. Käsemanns fügt er jetzt die
gleichfalls kritische Auffassung E. Haenchens hinzu. Er schließt
den Abschnitt über die Verf.-Frage mit der vorsichtigen Erwägung
: „Im ganzen möchte man urteilen, daß die Frage, ob
der Zebedaide und Apostel Johannes selbst der Verf. der drei
Joh.-Briefe ist, wegen der Verschlungcnheit der ,joh. Frage'
nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten ist, daß man aber