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Ausgabe:

1967

Spalte:

245-246

Autor/Hrsg.:

Gese, Hartmut

Titel/Untertitel:

Bemerkungen zur Sinaitradition 1967

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245

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

246

Das Reden von Schöpfer und Schöpfung ist im AT auch
nicht Inhalt oder Gegenstand eines Bekenntnisses. Es gibt keine
Credo-Formulierung im AT, die die Schöpfung einbezöge. Wohl
aber gehören Schöpfung und Rettung wie im apostolischen
Credo zu einem Ganzen im beschreibenden Gotteslob, das
Gottes Tun und Gottes Sein im ganzen beschreibt. Es ist von
der Polarität Gottes Majestät — Gottes Güte bestimmt (Ps 113);
in seiner Majestät erweist sich Gott als Schöpfer und Herr der
Geschichte (Ps 33).

Uberlieferung von der Schöpfung ist etwas anderes als
Uberlieferung von den Rettungstaten Gottes. An deren Anfang
steht eine Erfahrung in der Geschichte, sie ist etwas Bezeug-
barcs. Die Schöpfung kann nicht bezeugt werden. Der Einsatzpunkt
der Überlieferung von der Schöpfung liegt außerhalb des
Bezeugbaren, damit auch außerhalb des Überlicfcrungsbogens,
der von der Rettung Israels am Schilfmeer an die Geschichte
Israels überspannt.

Dem entspricht es, daß in Israels Reden von Schöpfer und
Schöpfung von anderen Übernommenes mitspricht. Daß der
Einsatzpunkt der Überlieferungen von Schöpfer und Schöpfung
außeihalb und in der Vorzeit Israels liegt, bedeutet nicht, er
liege an einem für uns fixierbaren Punkt in einer bestimmten
vor- oder außerisraelitischen Religion. Wir übersehen heute
eine derart komplexe Vorgeschichte des Redens von Schöpfung,
von Welt- und Menschenentstehung, daß die Frage, ob ein bestimmter
biblischer Text von einem bestimmten außerbiblischen
Text abhängig rei, nicht mehr ausreicht. Andererseits kann das
Problem der vielen außerisraclitischen Elemente im Reden des
AT von Schöpfer und Schöpfung auch nicht mehr so erledigt
werden, daß diese als vom Jahweglauben absorbierte Überreste
erklärt werden und ihre theologische Relevanz allein in Verbindung
mit .soteriologischen' Aussagen gesehen wird. Diese Erklärung
wird dem biblischen Tatbestand nicht gerecht.

Zum Reden von Schöpfer und Schöpfung im AT gehört
notwendig und unablösbar die Vielstimmigkeit und Vielgestaltigkeit
, die in der jeweils besonderen Aussage immer auch Übernommenes
und Empfangenes mitreden läßt.

Was im Reden des AT von Schöpfer und Schöpfung übernommen
wird, kommt zunächst aus den Kulturreligionen der
Vorwelt und Umwelt Israels. Es ist aber nicht möglich, dieses
Herübergenommene auf die Kulturreligionen zu beschränken.
Im Reden von Schöpfer und Schöpfung, von Welt- und Menschenentstehung
in den Kulturreligionen des Mittelmeerraumes
ist vieles übernommen, was weiter zurückreicht in den Kreis der
primitiven Religionen. Während die beiden den mythischen
Grundmotiven Liebe und Kampf entsprechenden Darstellungsweisen
Kosmogonie als Göttergenealogie und Weltschöpfung
aus dem Götterkampf den mediterranen Kulturreligionen angehören
, geht die Darstellungsweise der Schöpfung als ein Machen
, Herstellen, Trennen usw. auf die primitiven Religionen zurück
, ebenso wie die Sonderung von Weltschöpfung und Menschenschöpfung
.

Es führt ein erkennbarer Weg von Schöpfungsmotiven in
den primitiven Religionen über die Kulturreligionen in das
Alte Testament, auf dessen Schöpfungsaussagen sich wiederum
die verschiedenen NT-lichen Konzeptionen gründen, die die
Schöpfung einbeziehen (Paulus, Johannes, Hebräer) und die
dann in der Formulierung des apostolischen Credo zusammengefaßt
werden. Auf allen diesen Stufen gehört zum Reden von
Schöpfung notwendig das Übernehmen früheren Redens.

Die spezifisch biblische Bedeutung des Redens von Schöpfer
und Schöpfung ist jeweils allein aus seinem besonderen biblischen
Zusammenhang zu erheben. Im Alten Testament begegnet
es in der Hauptsache in den drei großen Zusammenhängen des
Gotteslobes, des Geschichtsberichtes (J und P) und der Weisheit.
Erst wenn Sinn und Bedeutung des Redens von Schöpfer und
Schöpfung jeweils in diesen drei sehr verschiedenen Bereichen
geklärt ist, können wir im Zusammensehen dieser drei Komplexe
zum Sinn des biblischen Redens von Schöpfer und
Schöpfung gelangen.

Bemerkungen zur Sinaitradition

Von Hartrnut G e s e , Tübingen

Die Sinaitradition wird den Lcastämmen zugeschrieben, die
das Urisrael gebildet haben. Sie ist primär, und in ihr ist auch
die Mosegestalt zu Hause. Die Exodustradition steht als israelitische
Tradition von vornherein unter dem materialen Einfluß
der Sinaitradition. Formal waren beide in der vorstaatlichen

') Kurzfassung des auf dem 2. Wiener Ev. Theologenkongreß
Sept. 1966 gehaltenen Sektionsreferats, das in ZAW (1967) veröffentlicht
wird.

Zeit getrennt, weil die Sinaifradition dem Bereich kultischer Repräsentation
angehörte. Das Zurücktreten dieser Repräsentation
führte zur formalen, d. h. zur erzählerischen Verbindung beider
Überlieferungen. Die sog. Fundtradition ist eine Uminterpreta-
tion der Sinaitradition innerhalb eines bestimmten fheologiege-
schichtlichen Raumes, zu dem auch das ursprüngliche Deutcrono-
mium (das 622 v. Chr. promulgierte Deuteronomium mit dem
singularischen Rahmen) mit dem sog. Kleinen geschichtlichen Credo
gehört.

Zur Bedeutung der Religion der Septuaginta in der hellenistischen Welt

Von Georg Bertram, Gießen

Die Religion des Buches, als die das hellenistische Judentum
sich darstellte, forderte zur verstandesmäßigen Kenntnisnahme
heraus und gab dem Judentum als einem .vernünftigen
Gottesdienst', als .iustitia religione permixta' seine Sonderstellung
unter den Religionen der hellenistischen Welt. Das alttesta-
menrliche Kultgesetz der Sabbathciligung aber wurde zum öffentlichen
Grundbekenntnis des Judentums. Weil in der Sabbat-
reier kosmologische, astrologische, philosophische und ethische
Elemente sich mit dem Gottesgebot der Heiligung dieses Tages
verbanden und weil dieser Tag im Gottesdienst der Synagoge
wesentlich dem Studium der Schrift als dem Gottesgesetz für
Welt und Menschheit diente, konnte der Sabbat als Weltfcst

') Sektionsreferat, gehalten auf dem 2. Wiener Ev. Theologen-
Kongreß am 26. September 1966. Vgl. G. Bertram, Griechisches Altes
Testament und Entmythologisierung, Deutsches-Pfarrcrblatt 66 (1966)
Nr. 14, S. 413ff.

bezeichnet und in Anspruch genommen werden. Die Septuaginta
aber hat das Sabbatgebot in seiner schöpfungsgemäßen Bedeutung
auch den Nichtjuden bekannt gemacht und als Höhepunkt
fanatischer Hingabe die Geschichte von dem Opfertod der
Makkabäer überliefert, die sich am Sabbat kampflos hinschlachten
ließen (1 Makk 2, 35-38).

Mit dem Hören oder Lesen solcher Berichte steht die Umwelt
vor der Gottesfrage. Diese Frage hat die Septuaginta deutlich
genug beantwortet. Denn hier wird in einer Reihe von
Gottesbezeichnungen der Anspruch der Offenbarung und Verkündigung
des Einen erhoben, der keinen Namen hat, der als
Gott und Herr eindeutig bezeichnet wird, der der Höchste ist
und der Allmächtige heißt. Die scheinbar anthropomorphe und
anthropopathische Ausdrucksweise des hebräischen Alten Testaments
wird durch eine mehr geistige Begrifflichkeit ersetzt. In
jener Zeit verfallen die Götter des griechisch-römischen