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Ausgabe:

1967

Spalte:

243-246

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Zum hermeneutischen Problem des Redens von Schöpfer und Schöpfung 1967

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243

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 4

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wurden. Die Struktur der Kultreligion brachte es mit sich, daß
kultischen Erfordernissen wohl genügt wurde, ihre Kenntnis und
Praxis aber weitgehend priesterliches Privileg blieb einschließlich
der Benutzung heiliger Texte.

Israel kannte in seiner Frühzeit nicht den verbeamteten,
in sich selbst funktionierenden Tempelorganismus. Seine ältesten
heiligen Gegenstände und „Heiligtümer" waren, dem nomadischen
Charakter der Stämmeorganisation angemessen, transportabel
: Zelt und Lade. Beide repräsentierten die sichtbaren Orte
und Objekte, an denen Jahwes Gegenwart erlebt wurde, sei es
permanent oder nur auf Zeit, wie es besonders deutlich beim
Zelt ist, in das Jahwe von Fall zu Fall einging (Ex. 33,7ff.). Die
Lade kennen wir vornehmlich aus Zusammenhängen des sog.
„Heiligen Krieges", also bei solchen kämpferischen Aktionen,
bei denen Israel glaubte, im Namen seines Gottes Krieg zu führen
. Konstitutiv für diese Wesensart von Zelt und Lade ist die
Anwesenheit der israelitischen Volksgemeinde. Zelt und Lade
haben ihre Funktionen im Rahmen der Stammesorganisation und
sind von ihr nicht ablösbar. Sie verfügen über keinen selbständigen
, in sich abgeschlossenen Funktionsradius wie etwa die durchorganisierten
Tempelbezirke in Ägypten. Daraus folgt, daß auch
der Ursprung heiliger Texte in Israel nicht in der Beschreibung
von Ritualen zu finden ist. Vielmehr ist es die schicksalhafte Begegnung
des Volkes mit seinem Gott, die die ältesten Texte des
Alten Testamentes bezeugen (gedacht ist vor allem an das Schilfmeerlied
Ex. 15,21 und an das Debora-Lied Ri. 5). An diesen
Ereignissen waren Stämmegruppen maßgeblich beteiligt und konstitutiv
für die Art, wie das geschichtliche Erleben sich im Lied
niederschlug. Es ist nicht einmal sicher, ob diese Lieder auch im
Kultus Verwendung fanden.

Israel erfuhr seinen Gott primär im dynamischen Erleben
seiner Geschicke, dort jedenfalls entscheidend. Rituelle Begehungen
traten demgegenüber fast durchweg in eine zweite Linie; sie
erfuhren aber ihre tiefere Begründung durch die Rückerinnerung
an Geschichtsereignisse, an denen Israel beteiligt war. Die alten
und in Israel nicht originalen, sondern übernommenen Riten wie
das Passah, die Darbringung der Erstlinge, die Opfer überhaupt
oder die Beschneidung erscheinen uns heute nicht mehr in einem
Kontext, der ihren ursprünglichen Charakter verrät. Sie sind
sämtlich dadurch aufgehöht und einer neuen Verständnisform
nahegebracht, daß sie durch Erlebnisse und Widerfahrnisse begründet
werden, die Israel im Laufe der Zeiten mit seinem Gott
in Berührung brachten. Das wird besonders deutlich bei einigen
geschichtlichen Summarien, wie z. B. dem sog. „kleinen geschichtlichen
Credo" Dt. 26,5ff., die ihrer Natur nach nicht „kultisch"
sind und also auch nicht „alte kultische Überlieferung" genannt
werden können, sondern lediglich sekundäre Kommentierungen
zu geläufigen kultischen Begehungen darstellen.

Daraus ergibt sich im Verhältnis von Ägyptologie und alt-
testamentlicher Wissenschaft ein überraschend analoger Sachverhalt
: Während die Ägyptologie aus ihren kultischen Texten keine
selbständigen, in sich abgerundeten Mythen ablesen kann,
vermögen geschichtliche Begründungen von Riten im Alten Testament
nicht ein vollständiges Bild der Geschichte Israels zu
geben. Ebenso wie in Ägypten die Kenntnis der Mythen bereits
vorausgesetzt war, wird auch die Kenntnis der Geschichte in Israel
kultischen Begründungen vorgegeben gewesen sein. Kaum
jedoch wird man kultischer Überlieferung von vornherein den

Wert einer unabhängigen, selbständigen Geschichtsquelle zubilligen
können; übrigens auch dann nicht, wenn wir das eine oder
andere Ereignis nur aus kultischer Überlieferung kennen sollten.

Die Konsequenzen für die gegenwärtige Forschungslage liegen
auf der Hand und zwingen zumindest zu sorgfältiger Revision
mancher bisher recht sicher angenommener Einzelresultate.
Dazu gehört namentlich die Vermutung, daß zahlreichen Texten
deshalb ein hohes Alter zugebilligt werden müsse, weil sie „kultisch
" seien, weil ihr „Sitz im Leben" der Kultus sei und weil
darum auch in ihrem Zusammenhang mitgeteilte Geschichtstatsachen
einen hohen Quellenwert beanspruchen dürften. Unterstützt
wurden solche Mutmaßungen durch die Überschätzung der
inneren Verbundenheit des angeblich perfekten Zwölfstämmebundes
in vorstaatlicher Zeit, der sich in einer „Amphiktyonie
auch als gegebener Ort der Traditionssammlung bewährt hätte
und als zuverlässiger kultischer Organismus über zuverlässige
Geschichtsmitteilungen verfügt haben müsse. Jedoch läßt sich
zeigen, daß eben diese Überlieferungen, die im Schöße des am-
phiktyonischen Festkultes eine so feste Heimat haben sollen,
kaum denkbar sind, bevor nicht Israel selbst eine einheitliche
völkische Konzeption und ein wirkliches Volksbewußtscin gewonnen
hatte. Dies begann kaum früher als in davidbeher Zeit,
ist aber selbst in der Königszeit noch nicht zu einem vollen
Durchbruch gelangt. Kein Prophet beklagt den Verlust des Nordreichs
als nationale Katastrophe, wenigstens nicht in dem Sinne,
daß dabei die Einheit eines einst gemeinsam gepflegten Kultus
zerstört sei. Sie war bereits seit Jerobeam I. zerbrochen oder
niemals in idealer Form verwirklicht.

Wenn Israels heilige Texte, auch dort, wo sie alte Riten
mit Gcschichtstatsachen sekundär begründen, ihre Endgestalt erst
dem relativ späten Stadium reflektierender Denkarbeit verdanken
, dann kann auch das „Heilige Buch" erst relativ spät in die
Geschichte Israels eingetreten sein. Tatsächlich sind erst seit Jo-
sia dazu die entsprechenden Voraussetzungen gegeben. Für die
Gesamtstruktur des Alten Testaments bestätigt sich daraus der
schwer zu leugnende Tafbestand, daß seine großen durchlaufenden
Konzeptionen am Ende komplizierter überlieferungsgeschichtlicher
Prozesse stehen, Resultate einer Selbstklärung Israels
und einer immer tieferen Einsicht in das Wesen Jahwes, der
über Katastrophen hinweg der Gott Israels blieb. Grundauffassungen
Wellhausens erscheinen in neuem Lichte und sie behalten
ihre Geltung trotz aller Relativität im einzelnen.

Das Strukturbild israelitischer Religion ergibt sich aus historischen
, literarischen und sehr komplexen theologischen und geistesgeschichtlichen
Vorgängen, die nicht unter den Begriff „kultisch
" allein subsumiert werden können. Als am Ende sogar der
Kultus als rituelles Opfcrhandeln auf ein einziges Heiligtum beschränkt
wurde, stieg der heilige Text zu überragender Bedeutung
auf. Eigentlich erst von diesem Zeitpunkt an datiert jenes
Spezifikum israelitisch-jüdischen Gottesdienstes, das mit dem
Begriff „Buchreligion" bezeichnet werden darf. Die für israelitische
Verhältnisse typische Reduktion und Konzentration des
Kultischen und seine Nachordnung hinter den in Geschichte und
Gegenwart, in „Gesetz" und Prophetie erfahrenen Gott, schaffte
der „Buchreligion" einen weiten Lebensraum und verlieh ihr
jenes Gewicht, das im Christentum und im Islam, zeitlich und
räumlich folgerichtig, nachwirkt.

Zum hermeneutischen Problem des Redens von Schöpfer und Schöpfung1

Von Claus Westermann, Heidelberg

Die Verbindung ,glauben an den Schöpfer' oder .Schöpfungsglaube
' o. ä., wie sie im apostolischen Credo vorliegt, begegnet
in der Bibel AT und NT nicht. Vom NT her ist die Credo-
Formulierung so zu verstehen, daß in ihm pistis eine die gesamte
Gottesbeziehung des Menschen umfassende Bedeutung
hat, so daß auch die Beziehung des Menschen zu Gott dem

') Kurzfassung des auf dem 2. Wiener Ev. Theologenkongreß
Sept. 1966 gehaltenen Sektionsreferats.

Schöpfer darin eingeschlossen werden kann. Der Weg zu der
Formulierung des Credo läßt sich in Hebr 11, 3 erkennen.

Für den AT-lichen Glaubensbegriff ist die Situation einer
Alternative konstitutiv, wie in Jes 7. Für das Reden von Schöpfer
und Schöpfung bestand eine solche Alternative nicht, es lag
daher kein Anlaß vor, von einem Schöpfungsglauben zu sprechen.
Das Geschaffensein von Welt und Mensch war eher eine Denkvoraussetzung
als ein Glaubensgegenstand.