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Ausgabe:

1967

Spalte:

213-215

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gemmeke, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Die Metaphysik des sittlich Guten bei Franz Suarez 1967

Rezensent:

Ernst, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 3

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weg normiert, während diese doch der Geschichtsdeutung Lagar-
des angeblich erst ihr Recht geben soll. Die Folge ist eine für
den Leser Lagardes undurchschaubare Willkür im Urteil über die
Daten der Geschichte: „Es ist . . . nirgends einzusehen, warum
bejaht und warum verneint wird". So ist z. B. die Ablehnung
des Paulus von den geschichtsmethodischen Prämissen Lagardes
her unbegreiflich. Die historischen Bemerkungen über Paulus
sind von vornherein bestimmt durch eine „dogmatische" Paulusauffassung
, deren Begründung Lagarde schuldig bleibt.

Diese Widersprüchlichkeit in Lagardes Verhältnis zur Geschichte
wird nun von Schütte daraus erklärt, daß Lagarde in
seinem geschichtlichen Denken in Wahrheit durch die Geschichtsspekulation
Fichtes bestimmt ist, daß er aber die Beweislast
einer angeblich undogmatischen, rein beobachtenden Tatsachenerhellung
zuschiebt, welche das aus der Geschichtsspekulation
lebende Geschichtsbild gar nicht beweisen kann, sondern es
voraussetzt.

Über den Nachweis der Abhängigkeit Lagardes von Fichte
hinaus weist Schütte darauf hin, daß der „historisch und philologisch
arbeitende Lagarde" nicht fähig ist, sich im geschichtlichen
Urteil „vom Einzelnen zum Ganzen zu erheben". Dadurch
ist Lagarde aber auch der geschichtlichen Einzelheit gegenüber
immer wieder mit Blindheit geschlagen, etwa wenn er Paulus
dann als zufällige Figur sieht, „die den Abfall vom Evangelium
eingeleitet hat", die es aber auch „nicht hätte zu geben
brauchen". Fichte hingegen wird, besonders in der „Staatslehre
", auch dem geschichtlich Konkreten wahrhaft gerecht, und
zwar gerade deshalb, weil seine Geschichtsspekulation ihn
zwingt, die wahrgenommenen geschichtlichen Erscheinungen
aus der Einsicht in die große geschichtliche Notwendigkeit zu
hegreifen. Dadurch wird er davor bewahrt, die geschichtlichen
Gegensätze von den zufälligen Parteiungen seiner Gegenwart
und deren Geisteslage her „existential" zu interpretieren, und
wird zu unparteiischer Schau der Geschichte und reifem Urteil
über sie frei.

Schütte schreibt abschließend: „Darüber erhebt sich die
Frage, ob nicht eine ähnliche Überlegenheit der geschichts-
philosophischen Epoche über die historische, die Einzelheiten
betonende Epoche der positiven Wissenschaft allenthalben besteht
. Der Versuch einer freien, geschichtsphilosophischen Betrachtung
scheint der Wirklichkeit gegenüber gerechter zu sein
als das Verweilen im Aufgreifen und Nacherleben der positiven
Tatsächlichkeiten".

Abgesehen von dem durch Schütte gegebenen Nachweis,
daß eine der ihr selbst verborgenen Wurzeln der „Religionsgeschichtlichen
Schule" und damit auch der jüngsten Theologie
im Fichtcschcn Idealismus zu suchen ist, hat die Arbeit Schüttes
auch darin Gegenwartswert, daß hier auf theologischer Seite
das so lange vernachlässigte Studium Fichtes wieder aufgegriffen
wird. Der Rezensent ist überzeugt, daß bei Fichte auch für die
gegenwärtige Theologie noch manche weitere Entdeckung zu
machen ist. Um nur eines zu nennen: Die Bedeutung Fichtes für
Kierkegaard, den „Kronzeugen" der „Dialektischen Theologie"
dürfte weit über das gemeinhin Angenommene hinausgehen.

Kiel Hayo Gerdes

Gemmcke. Elisabeth: Die Metaphysik des sittlich Guten bei Franz
Suarez. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1965. 291 S. gr. 8° = Freiburger
theologische Studien, hrsg. v. J. Vincke, 84.

Das Bestreben, die Philosophie und Theologie des spanischen
Jesuitentheologen Franz Suarez in ihrer methodischen
Eigenart und geschichtlichen Bedeutung darzustellen und für die
Gegenwart fruchtbar zu machen, hat seit Erscheinen der Studie
von M. Grabmann im Jahre 1926 über die Disputationes
Metaphysicae des Franz Suarez durch eine Reihe von Einzeluntersuchungen
und durch die Vorbereitung einer kritischen
Ausgabe des Gesamtwerkes einen wesentlichen Auftrieb erfahren
.

Die vorliegende Studie zur Moralphilosophie des Franz
Suarez, in der sich die Verfasserin nach eigenen Angaben in der
Interpretation wesentlich auf neuere spanische Arbeiten stützen

will, bietet eine Untersuchung über die metaphysischen Grundlagen
und das Wesen des sittlich Guten in der Lehre des Franz
Suarez.

Nach einer Einführung in die Problemstellung der damaligen Zeit
sowie in die Quellen und Methoden der suarezianischen Moralphilosophie
folgt die Klärung einiger wichtiger Begriffe.

. Die thematische Untersuchung befaßt sich im ersten Teil mit den
Wesensbezügen des Menschen zu Gott und zum Mitmenschen. In einer
christlichen Moralphilosophie muß nach Suarez das Verständnis des
Menschen vor allem aus den Glaubenswahrheiten von Schöpfung, Erlösung
und Heiligung erhellt werden, denn die Frage nach der sittlichen
Gutheit des menschlichen Handelns ist nur von seinem Ursprung
und letzten Ziel her zu beantworten. Das charakteristische Wesensmerkmal
der Geschöpflichkeit besteht in der partieipatio als Abbilden
der göttlichen Wesenheit und als wesentliches Bedürfen des
göttlichen Einflusses zum Existieren. In der Lehre vom Individuations-
prinzip gibt Suarez seine frühere, in den Vorlesungen von Segovia
vorgetragene aristotelische Richtung aus theologischen Gründen auf
und definiert die Person als „substantia constans intellectuali natura
et personalitate". Personsein bedeutet demnach: seine eigene substan-
tiale vernünftige Natur in der Form des Sichselbstgehörens und der
Selbstlenkung haben. Im Personsein ist der Mensch am meisten Abbild
Gottes. Nur als personales Wesen kann der Mensch Verpflichtungen
erkennen und erfüllen, kann er sittliche und rechtliche Bindungen
realisieren, denn jede sittliche Tat ist Ausdruck der personalen Freiheit
, sie ruht auf der Person und empfängt von ihr Wert und Würde.
Da Gott nicht nur Urheber der Natur und der Gemeinschaft ist, sondern
auch primäre Quelle der sittlich-rechtlichen Ordnung, sind die
Forderungen der an der lex aeterna partizipierenden lex naturalis auch
Anruf des Willens Gottes. In der Lehre von der Gerechtigkeit Gottes
entfaltet Suarez gegen Vazquez seine theozentrische Konzeption der
Rechtsordnung, in der die Gerechtigkeit Gottes zum Prinzip allen
Rechts erklärt wird.

Im zweiten Teil der Arbeit wird die Lehre des Suarez über das
„bonum ontologicum", das „esse morale" und das „bonum honestum
naturale et morale" aufgezeigt. Suarez lehnt in der Definition der
transzendentalen Gutheit die Auffassungen von Capreolus, Durandus.
Scotus und Hervaeus Natalis ab und wählt zwischen diesen zu statischen
oder zu dynamisdien Theorien einen Mittelweg, indem er die
transzendentale Gutheit als „convenientia sibi et alteri" kennzeichnet.
In der Bestimmung des „esse morale" des Willensaktes unterscheidet
er zwischen der Gutheit und dem Sittlichsein, weist die thomistische,
franziskanische und von Vazquez vertretene Auffassung zurück und
sieht das »esse morale" als „denominatio extrinseca realis", als eine
Bezeichnung von der lenkenden Vernunft und vom Willen her. Die
honestas obiectiva der menschlichen Akte entsteht aus der Materie
und den Bedingungen der Handlung selbst, die notwendig sind, damit
ein solcher Akt mit der vernünftigen Natur als solcher übereinstimmt.
Die formale Gutheit des Willensaktes besteht im „esse virtutis". Dieser
Akt konnotiert im Menschen eine vernünftige Natur und muß frei
sein. Damit der Akt das „esse virtutis" empfängt, muß das Gute um
seiner selbst willen intendiert sein. Durch Umstände kann die Gutheit
des Aktes vermehrt werden.

Im dritten Teil wird das Gesetz des sittlich Guten untersucht.
Das ewige Gesetz ist nach Suarez die Grundlage aller menschlichen
Gesetze. Es ist ein wahres Gesetz, durch das Gott befiehlt und verpflichtet
. Das Naturgesetz ist Teilhabe am ewigen Gesetz. Das Thema
der Verpflichtung des Naturgesetzes stellt den Hauptpunkt der Kontroverse
zwischen Suarez und Vazquez dar. Gegen Hugo v. St. Victor
, Biel, Almainus und Corboda verteidigt Suarez den präzeptiven
Charakter der lex naturalis und gegen Ockham, Gerson, d'Ailly und
Andreas de Castronovo die Unveränderlidikeit. Auch hier sucht Suarez
einen Mittelweg zwischen den genannten Autoren. Inhalt der lex naturalis
ist das bonum per se honestum. Alle Gebote des Dekalogs gehören
dem Naturrecht an. Das Völkerrecht beruht nicht direkt auf
der Natur, sondern auf den bei allen Völkern geltenden Sitten. Den
Sollensanspruch Gottes erfährt der Mensch im Gewissen. Nach thomisti-
scher Tradition verlegt Suarez das Gewissen in den Intellekt und bezeichnet
es als Anwendung der lex naturalis auf die jeweilige konkrete
Situation.

Bereits diese kurze Inhaltsübersicht macht deutlich, daß die
Verfasserin in ihrer sorgfältigen Studie den gesamten Fragenkomplex
von seinen Grundlagen her aufgreift und die Hauptgedanken
der suarezianischen Auffassung systematisch darstellt.
Daher erweist sich die Untersuchung als ein wertvoller Beitrag
zur Erforschung des moralphilosophischen und -theologischen
Lehrgutes bei Suarez. Für die Erörterung der Frage nach den
Philosophie- und theologiegeschichtlichen Entwicklungslinien in
der Ausgestaltung der Lehre des Suarez hätten neben den Auseinandersetzungen
mit Vasquez, die in der Darstellung ausführ-