Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1967

Spalte:

177-178

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bakker, Dirk

Titel/Untertitel:

Man in the Qur'ān 1967

Rezensent:

Schimmel, Annemarie

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

177

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 3

178

Bakker. Dirk: Man in the Qur'än. Academisch Proefsdirift. Am»ter-
dam: Vrije Universiret 1965 (zu beziehen durch Zendingscentrum,
Baarn, Wilhelminalaan 3). XV. 219 S. gr. 8°. Hfl. 20.-.

Die vorliegende Dissertation der Amsterdamer Freien Theologischen
Fakultät setzt sich zum Ziel, eine theologische Anthropologie
des Islam zu geben. Der Verf. stellt fest, daß es im Islam
selbst eine solche Betrachtungsweise kaum gegeben habe, und daß
erst bei den modernistischen Denkern stärkeres Interesse für die
Stellung des Menschen innerhalb des Kosmos zu finden sei — er
hätte hier unbedingt noch auf Iqbal hinweisen müssen, für den
ja die Gestalt des Menschen im Mittelpunkt seines ganzen
Systems steht, wobei gewisse Einflüsse der islamischen Mystik
nicht auszuschließen sind.

Jedes Kapitel ist so angeordnet, daß die koranischen Data
nach ihrer historischen Reihenfolge gegeben und damit die Entwicklung
und Erweiterung jedes einzelnen Aspektes der Anthropologie
gezeigt werden. Die bewußte Beschränkung auf die
koranischen Texte, ohne Heranziehung späterer Ausdeutungen,
ist die beste Methode, um die in sich ganz logische und geschlossene
Entwicklung des koranischen Menschenbildes deutlich zu
machen.

Das erste Kapitel befaßt sich mit der Schöpfung des
Menschen; diese wird in den mekkanischen Suren im Zusammenhang
mit der Gesamtschöpfung gesehen, während in
Medina der Schöpfungsgedankc mehr in den Hintergrund tritt.
Gott hat den Menschen, wie alles andere, geschaffen, und deshalb
wird der Schöpfungsakt in seiner Beziehung zu Gottes
Macht, Güte, Allwissenheit betrachtet. Es ist bemerkenswert, daß
zunächst die Entstehung des normalen Individuums aus dem
Samen in den Mittelpunkt gestellt und in verschiedenen Phasen
ausgemalt wird, um zu zeigen, wie Gott bereits vom Moment
der Empfängnis an sich um den Menschen kümmert, ihm dann
Seinen Geist einhaucht und ihn schließlich auch im Erdenleben
lenkt — diese ununterbrochene Fürsorge Gottes verpflichtet den
Menschen zur absoluten Anerkenntnis Seiner Autorität. Erst
später wird die Schöpfung Adams in das koranische Bild einbezogen
; ob man Adams Sünde mit der „Sünde der Mekkaner",
dem Ungehorsam, gleichsetzen darf, erscheint mir etwas fraglich.
Daß die Schöpfung des Einzelnen von früh an als Beweis für die
Auferstehungsmöglichkeit angeführt wird, gehört zum Thema
der göttlichen Macht über alles Geschaffene. Aus allen koranischen
Äußerungen wird verständlich, daß der Mensch geschaffen
ist, um seinem allmächtigen Schöpfer zu dienen.

Das zweite Kapitel behandelt den Menschen und
seine Welt, wobei zunächst eine nützliche Übersicht über
das Weltbild des Koran und seine religiöse Funktion gegeben
wird — alles ist für den Menschen geschaffen; er steht damit im
Zentrum der Welt, was er stets dankbar anerkennen und durch
sein Einstimmen in den Lobgesang alles Geschaffenen bekräftigen
sollte. In der Beurteilung der Stellung des Menschen zur Welt ist
eine deutliche Schwerpunktverschiebung erkennbar: dem jenseits-
be zogenen Pessimismus der mekkanischen Periode folgt der stärker
weltbezogene Optimismus der medinesischen Zeit, der den
Menschen seine irdische Pflichten lehrt. Doch sollte man m. E.
nicht vergessen, daß das islamische Leben die untrennbare Verbundenheit
der beiden Aspekte unter dem Motto „Das Diesseits
ist das Saatfeld des Jenseits" immer gesehen hat.

In Kapitel 3 wird über den Menschen und seine
Mitmenschen gesprochen, wobei zuerst die verschiedenen
Menschengruppen untersucht werden, die der Koran anredet, von
denen er spricht, die „Zeugen", die Menschen der Vergangenheit,
die Menschen in ihren verschiedenen Reaktionen auf die koranische
Botschaft. Man spürt, wie sich der Hörerkreis erweitert, wie
in Medina mit seiner andersartigen Struktur fast nur noch die
Gläubigen angeredet werden, wie sich das Interesse immer stärker
auf den Propheten konzentriert und daher solche klassischen
Gestalfen, die für Muhammad besondere Bedeutung gewannen
(Yünus, David. Müsä, Ibrahim) immer detaillierter geschildert
werden. Das gesamte Menschenbild im Koran besteht nicht aus

unabhängigen Typen, sondern alle Personen gewinnen ihre Bedeutung
erst durch ihren Platz im Kerygma von Muhammads
Predigt." — Zu den Mitmenschen gehören natürlich die Familienmitglieder
; man hätte hier gern noch mehr über die Stellung der
Frau gehört; Kinder werden gar nicht so positiv gewertet, wie
man es erwartet hätte. Die Haltung des Gläubigen zu den so oft
erwähnten Armen und Bedürftigen wird ebenso behandelt wie seine
Stellung zu den Schriftbesitzern. Besonders anregend ist das
folgende Kapitel, Der Mensch und sein Gott, in dem
zunächst von den Beziehungen Gottes zum Menschen gesprochen
wird. — Seine souveräne Macht, Sein Wissen, Sein Wille zeigen
sich in der Schöpfung und Behandlung des Menschen; in der Sendung
eines Propheten wird Seine Barmherzigkeit sichtbar. Gottes
Gerechtigkeit macht es unmöglich, Ihm bedingungslose Liebe für
Seine Geschöpfe zuzuschreiben — die Liebe Gottes zum Menschen
ist (und hier folgt Bakker D. Rahbars Untersuchungen) an die
Erfüllung Seiner Gebote gebunden. Bakker will die berühmte
Stelle Süra 7/171 nicht auf den Vertrag der anfangslosen Ewigkeif,
sondern auf die Nachkommen der Kinder Adams beziehen: sollten
sich die muslimischen Kommentatoren und Mystiker so geirrt
haben? Mit erscheint die — zugegebenermaßen besonders von den
Mystikern so geliebte — Auslegung des „Urvertrages" wahrscheinlicher
und für die absolute Gebundenheit des Menschen
charakteristischer. Auch bezieht sich die Feststellung „Nicht erreichen
Ihn die Blicke" (Sura 6/103) m. E. ganz allgemein auf
Gott und ist nicht auf einen Mangel der Ungläubigen beschränkt.
— Im Folgenden untersucht der Verf. die Haltung des Menschen
zu den göttlichen Haupteigenschaften, darunter zu Seiner Einheit,
die dem Gläubigen verbietet, fremde Götter anzunehmen, und
kommt auch von diesem Aspekt aus zu der Überzeugung, daß
der Mensch in erster Linie Diener sei, unterwürfig, aber verantwortlich
, und daß er sein Leben in anbetender Furcht und in
Dankbarkeit zubringen soll. Während in den anderen Punkten
sich der Schwerpunkt der Verkündigung gelegentlich verlagerte,
ist im Komplex „Mensch und Gott" nur eine immer genauere
Bestimmung der menschlichen Pflichten gegenüber dem Schöpfer
zu bemerken, die dann zum Ritualismus der medinesischen Zeit
führt. — Was S. 174 Anm. 174 über Gottes Pcrsonhaftigkeit gesagt
wird, stimmt genau mit Iqbals Ansichten zu dieser Frage
überein.

Das abschließende Kapitel faßt die Ergebnisse der vorhergehenden
Abschnitte zusammen: Der Mensch, der Diener
seines Herrn. Im Begriff 'abd, Diener, liegt sowohl die
enge Beziehung des Menschen zu Gott als seine Distanz von Ihm
begriffen. Hier hätte man auf die außerordentliche Bedeutung
hinweisen sollen, die Muhammad als 'abduhu „Sein Diener"
kat'exochen zukommt, weil dadurch die ganze Anthropologie
und Prophetologie des Islam besonders deutlich wird. Der Mensch
ist Gottes Geschöpf, wohlgeschaffen, doch sündig und den Versuchungen
ausgesetzt; er ist der von Gott auf Erden eingesetzte
Stellvertreter. — Hier wie in den folgenden resümierenden Abschnitten
werden stets Parallelen bzw. Unterschiede zur biblischen
Verkündigung hervorgehoben. Das Bild des Menschen als Gottes
Diener, so schließt Bakker, bleibe durch den ganzen Koran hin
unverändert, während das Menschenbild der Bibel einen Fortschritt
, die Geschichte des Kampfes Gottes um die Rettung seiner
Kinder zeige. Muslimische Apologeten werden diese Schlußfolgerung
— ebenso wie die Herausarbeitung der menschlichen
Verantwortlichkeit — gern unterstreichen und als Beweis für die
logische Natur des koranischen Menschenbildes verwenden.

Die Arbeit ist sorgfältig, mit reicher Bibliographie, angelegt,
und wird trotz manchen Wiederholungen eine solide Grundlage
für jede weitere Beschäftigung mit dem Menschenbild im Koran
speziell und im Islam generell bleiben. Leider macht der ungemein
harte Stil des Englischen die Lektüre zu allem anderen als einem
Genuß — wir möchten hoffen, daß Dr. Bakker seine Untersuchungen
— vielleicht noch in einigen Punkten (Prophetologie, Frauenfrage
) erweitert, in anderen gestrafft — später in etwas flüssigerem
Stil zum Nutzen eines weiteren Forums von Orientalisten
und Religionshistorikcrn nochmals veröffentlicht.

Bonn AnnoiTiario S c Ii i m m o 1