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Ausgabe:

1967

Spalte:

175-176

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bianchi, Ugo

Titel/Untertitel:

Probleme der Religionsgeschichte 1967

Rezensent:

Dammann, Ernst

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175

Theologische Literaturzeitung 92. Jahrgang 1967 Nr. 3

176

phie sagt)"1 der personalen Beziehungen. Die zwischenmenschliche
Sprachgarnitur ist diejenige, in der der Bezug dessen, von dem in
der Bibel die Rede ist und der in der Bibel mit dem Prädikatsnomen
Gott als der Letzte, Unüberbietbare und Eine prädiziert
wird, allein wirklich gesprochen werden kann. Dies bedeutet:
Während das Gebet in den anderen Religionen eine zwar überall
verbreitete, aber vorläufige, vordergründige Verhaltensweise
zum Theion, zum Göttlichen darstellt, die entmythologisiert
werden kann zur Meditation, zur Versenkung bis zum letzten
Einswerden mit dem Göttlichen selbst, ist Gebet im biblischen
Bereich diejenige Verhaltensweise, in der der Mensch mit dem,
der über ihm steht, als mit einem anderen spricht, hört, antwortet
, ihm seinLeben darlegt,ihn zur Hilfe ruft.ihnanbetet.ihnbit-
tet, ihm zutraut, daß er eingreifen und helfen kann, mit ihm also
umgeht, wie ein Mann mit seinem Freunde umgeht (Ex. 33, 11).
Solches Gebet ist wesentlich für christliche Existenz und charakterisiert
das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, d. h. zwischen
dem, der hier als Gott prädiziert wird, und uns Menschen
als ein unaufhebbar personales Gegenüber in Liebe und Gericht,
von uns zu betätigen in konkreten personalen Verhaltensweisen
ihm gegenüber.

Nachtrag: Nach Abschluß des Manuskriptes erhalte ich die
kleine und gewichtige Schrift G. Ebelings: „Gott und Wort" (Tübingen
1966), von der ich, ohne mich mit ihr hier noch auseinandersetzen
zu können, wenigstens die Punkte hervorheben möchte, an denen
sie sich mit meinen Überlegungen zum Worte „Gott" berührt: Es ist
„kein eindeutig biblisches oder gar christliches Wort" und „schillert in
allen religiösen Farben" (86); zudem droht es heute in Sprachlosigkeit

24) Vgl. Paul M. van Buren, „Reden von Gott in der Sprache der
Welt", Zürich 1965, S. 19 ff.

abzusinken. Dies ist aber nicht ein Grund, in christlidicr Sprache atif
diese Vokabel zu verzichten, sondern es kommt darauf an, sie „durch
intensive Interpretation im Horizont der Erfahrung wieder der Situation
ihres notwendigen Gebrauchs zuzuführen" und damit „für eine
Wiedergewinnung des Wortes ,Gott' aus dem Worte Gottes sich bereitzumachen
" (88f.). Das Wort „Gott" ist, wie der Logiker Paul Lorenzen
sagt, „kein Autosemantikon, sondern ein Synsemantikon" (55),
d. h. es hat seinen Ort in einem bestimmten „Sprachzusammenhang"
(64): es darf nicht „als isoliertes Zeichen für ein ebenso isoliertes
Ding" genommen werden, sondern kann zur Bezeichnung nur dienen
in einem Satz, der eine „Zeitaussage" macht; denn „die elementare
Sinneinheit der Sprache ist der Satz" (38). Erst im Satz wird „der Erfahrungshorizont
dessen, was wir meinen, wenn wir ,Gott' sagen," (52)
deutlich, und zwar gerade dann, wenn wir uns klar machen, daß die
Vieldeutigkeit dieses Wortes damit zusammenhängt, daß es zu den
Vokabeln gehört, „die nicht Etiketten für Fertigwaren, sondern gleichsam
Rufe sind, die dem Menschen eine innere Bewegung zumuten, der
das betreffende Wort nur die Richtigkeit weist" (63). Vielleicht ist
dieser Sachverhalt in meinen Ausführungen noch etwas schärfer herausgearbeitet
. Dadurch wird auch die Frage schärfer, auf wen oder was
sidi dieser „Ruf" bezieht, wen also „das ursprüngliche Wortgeschehen
, das in der Heiligen Schrift fixiert ist" (S. 74), als „Gott" anzurufen
und allein noch mit dem Prädikat „Gott" zu versehen, uns aufruft
. Es bleibt dann die Frage, ob der Aufweis der menschlichen Wortbedürftigkeit
, unseres Angewicsenseins auf hilfebringendes Wort, das
unser Sein verifiziert = wahr macht (83), als solcher schon zur Erkenntnis
und Annahme des Wortes Gottes führt. Zwischen jener Erkenntnis unserer
Wortbedürftigkeit' und dieser Erkenntnis des Wortes Gottes in
Jesus Christus als des „rettenden, hcilsnotwendigen Wortgeschehens"
(76) klafft ja noch ein Abgrund, über den nicht die Erkenntnis unserer
Bedürftigkeit, sondern nur das Gesdiehen des Wortes Gottes hinüberzuführen
vermag: indem dieses sidi aus sich selbst „verifiziert" als
das einzige Wort, das diese Bedürftigkeit zugleich in aller Schärfe bewußt
macht und erfüllt.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Bianchi, Ugo: Probleme der Religionsgeschichte. Übers, v. E. Serel-
man. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1964]. 106 S. 8° = Kleine
Vandenhoeck-Reihe 203/204.

Die kurze aus dem Italicnischen übersetzte Arbeit des an der
LIniversität Messina tätigen Verfassers gliedert sich in zwei
Haupftcile. Der erste Teil umfasst folgende Themen: 1. Volksreligionen
und gestiftete Religionen — Buchreligionen — Prophetische
Kulte. 2. Nationale, universale und kosmopolitische
Religionen — Mysterienkulte. 3. Fetischistische, animistische und
animatisfische Kulte — Monotheistische und polytheistische Religionen
— Heidnische Religionen. 4. Theistische und monistische
Systeme — Dualistische Systeme. Der zweite Teil enthält als Abhandlungen
1. Die Religion und das Heilige. 2. Die psychischen
und sozialen Begleitumstände. 3. Das Oben und das Vorher. In
einem Anhang wird der Mythos behandelt; abschließend finden
sich Anmerkungen und die Erklärung einiger Fachausdrücke.

Es wäre eine unbillige Forderung, eine erschöpfende Darstellung
der in den Überschriften angedeuteten Themen zu erwarten.
Jedes einzelne könnte und müßte in einer gesonderten Monographie
dargestellt werden. Die Absicht des Verfassers geht auch
in eine andere Richtung. Er will Probleme aufzeigen, die sich bei
jedem einzelnen Begriff ergeben.

Mit Recht wird Gewicht auf eine genaue Definition gelegt
(S. 41). Was ist z. B. in Westafrika ein Fetisch? Der portugiesischen
Herkunft des Wortes entsprechend wäre es ein Gegenstand
, der verehrt wird. Man könnte dann die ganze Vorstellung
und die damit verbundenen Praktiken in das Gebiet der Magie
verweisen. Aber schon die Tatsache, daß wir von einem Fetischpriester
sprechen, zeigt, daß die zugrundeliegende Vorstellung
vielschichtiger ist. Es werden, worauf Bianchi hinweist, bestimmte
Glaubensvorstellungen vorausgesetzt. Diese können amnestischer
oder animatistischer Art sein (S. 42). Es können aber außerdem
noch polytheistische Vorstellungen mitschwingen. Man
mag hinzufügen, daß vielleicht sogar der Hochgott mit diesem
oder jenem Fetisch verbunden sein könnte. Auf jeden Fall wird

deutlich, daß jedes Thema einen komplexen Sachverhalt aufweist
und dadurch Probleme aufwirft.

Im einzelnen könnte man manches anders sehen. Z. B. wird
m. E. zutreffend im Anhang Animatismus als „Lehre von der Allbelebung
" definiert. Wie stimmt dazu, daß eine animatisfische
Glaubensvorstellung im Hinblick auf einen Fetisch erklärt wird
als „mit persönlicher Macht ausgestattete, dem Fetisch innewohnende
Wesen oder Geister" (S. 42)? — Der Verfasser benutzt den
Begriff der heidnischen Religion und stellt ihm den der offenbarten
Religion gegenüber (S. 51). Ein Heide ist für ihn derjenige,
welcher in einer Welt lebt, deren Religion rein ethnisch ist und
in welcher der Kult den Elementar- und Naturwesen geweiht ist.
Linter diesem Aspekt werden die vedisch-brahmanische Religion
und der Mazdaismus als heidnisch klassifiziert (S. 52). Als nicht-
heidnische Religionen bleiben nur Judentum, Christentum und
Islam übrig. Würde bei dieser Begriffsbestimmung auch der Ma-
hayana-Buddhismus — mindestens in einigen seiner Erscheinungen
— als heidnisch betrachtet werden können? — Wenn Bianchi
die Integration der religiösen und profanen Welt bei den Primitiven
herausstellt (S. 86), stimmt man ihm gern zu. Wie verhält
sich dazu aber die Behauptung, daß die Religion „das Phänomen
einer Elite" darstellt? „Sobald der gewöhnliche Mensch das Heiligtum
betritt oder einen Ritus zu vollziehen beginnt, wird er zu
einem Elitemenschen" (S. 75). Sicherlich wird das Wort nicht mit
einem Werturteil versehen. Trotzdem fragt man sich aber, ob
man die Religion in dieser Weise ansehen kann. Hat nicht jeder
in der Naturreligion seinen bestimmten Platz in der Praktizierung
der Religion? Zu vielen Riten gehört ein Verhalten der Gesamtheit
, das z. B. in generell durchzuführenden Meidungen bestehen
kann. Dabei können zwar bestimmte Funktionen einzelnen
vorbehalten bleiben (z. B. Gebet oder Opfer). Werden diese
aber dadurch zu besonderen Menschen? Gerade das Beispiel von
der Elite-Funktion der Religion zeigt, wie komplex die Dinge
sind.

Der Verfasser hat mit seinem an Umfang kleinen Buch eine
inhaltsreiche, mit Problemen gefüllte Darstellung gegeben, die zu
weiterem Durchdenken anregt.

Marburg/Lahn Ernst D a m m a n n