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Ausgabe:

1966

Spalte:

154-155

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Strigl, Richard A.

Titel/Untertitel:

Die vicaria perpetua als Ersatzform der kanonischen Pfarrei 1966

Rezensent:

Liermann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

154

Abwandlungen die Lebensform der Kaiserswerther Schwestern
übernommen haben, während er über die neuen Ordensbildungen
im evangelischen Raum ausführlich spricht. Gewiß, auch die Ge-
meinschaftsdiakonie und die freikirchliche Diakonie wissen von
Minderung der Eintrittszahlen, aber nicht in dem Maße wie unsere
Mutterhäuser, die sich aus volkskirchlichen Gemeinden rekrutieren
. Eine Wandlung der Struktur steht dort nicht zur Diskussion,
zumal die Aufgabengebiete dieser Schwesternschaften nicht einseitig
in der Krankenpflege liegen.

Auch das Entstehen der neuen Kommunitäten beweist, daß
durchaus Menschen willig sind, ein Engagement in ganzer Hingabe
an Jesus Christus in klösterlicher Lebensgemeinschaft zu vollziehen
. Im Neuen Testament ist die weltoffene Frömmigkeit
ebenso zu Hause wie die strengere Observanz der Weitabgewandtheit
.

Für die Strukturform der Mutterhäuser sind dem Verfasser
nur pragmatische Gesichtspunkte, so die Rücksicht auf die Zweckmäßigkeit
des Dienstes, maßgebend. Er läßt gelten, daß eine Diakonissenschaft
Kirchengemeinde ist und auch von daher ihre
Gemeinschaftsform geprägt wird. Diese Gemeinde von Frauen
weiß aber ebenso, daß die Nachfolge Jesu, in der sie steht, ausgerichtet
auf ihre besondere Aufgabe in dieser ihrer Lebensform
Ausdruck findet. Damit wird nicht bestritten, daß Nachfolge Jesu
Aufgabe eines jeden Christen ist. Sie regelt immer, je nach dem
besonderen Auftrag, auch die Verhaltensweise des Einzelnen.

Daß die Kaiserswerther Mutterhausdiakonie nur eine Möglichkeit
neben anderen ist, Diakonie im Sinne des Befehls Christi
zu üben, ist längst erkannt. Sie erhebt heute keinen Monopolanspruch
mehr.

Und doch! Wie die Volkskirche nicht ohne weiteres zur
Freiwilligkcitskirche umstruktuiert werden kann, obwohl der Weg
der Geschichte Gottes vor allem im Osten Deutschlands in diese
Richtung weist, so glauben wir, daß die Mutterhausform Kaiserswerther
Prägung nicht aufgegeben werden darf, wenn sie nicht
ganz eindeutig von Gott zerschlagen wird. Es ist nicht unmöglich,
daß der Weg, den Gott mit ihr gehen will, in der Richtung dessen
liegt, was dem Verfasser vorschwebt, vor allem da, wo eine große
Schwesternschaft große Aufgaben nicht mehr allein bewältigen
kann. Es kann auch sein, daß Mutterhäuser, sowohl traditionsverhaftete
, als auch nach den Aspekten des Verfassers regulierte
sterben, weil das Charisma erlischt und der Mutterboden der
Kirche keine neuen Kräfte zuführt, oder daß Mutterhäuser in eine
andere Mutterhausstruktur übergehen müssen. Gott kann auch
wollen, daß die Diakonie ganz andere Wege geht und völlig in
■die Gemeinde verlagert wird. Aber die Diakonie wird nicht aufhören
; denn sie ist eine Dimension der Kirche (Dietzfelbinger).
Wir glauben aber, daß auch die Mutterhausform des Kaiserswerther
Verbandes zum Segen der Kirche weiter von Gott gewollt wird,
wenn auch die Schar der Diakonissen sich verringert und ihr
Dienst nur noch in begrenztem Rahmen oder abgewandelter Form
getan werden kann. Zweierlei nehmen wir dem Verfasser nicht
ab: Daß Gott nicht imstande wäre, auch heute noch Frauen willig
zu machen, in voller Freiheit und in Erkenntnis einer notwendigen
Lebensentscheidung, das Diakonissenkleid mit all' seinen Konsequenzen
anzuziehen und daß diese Form der Nachfolge nicht ein
eschatologisches Zeichen und Mahnung wäre. Niemand, der diesen
Weg geht, wird sich einbilden, ein Zeichen sein zu wollen. Er
gehorcht einfach dem Ruf des HErrn. Nicht das Zeichen kann
locken, darin hat der Verfasser recht, aber der HErr kann rufen,
und das Zeichen kann verstanden werden.

Leipzig Paul M e i s

B ä u m 1 er , Christof [Hrsg.]: Treffpunkt Gemeinde. Jugend im Gemeindeaufbau
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Goerl, O.A.: Unsere Botschaft an die Welt von heute (Igreja Lute-
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Grclot, Pierre: Exegese, theologie et pastorale (Nouvelle Revue

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Harms, Klaus: Beichte ohne Seclsorgc? (PB1 106, 1966 S. 2-19).

Jentech, Werner: Stand. Verständnis und Aufgaben der Seelsorge
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KIRCHENHECHT

S t r i g 1 , Richard A.: Die Vicaria Perpetua als Ersatzform der kanonischen
Pfarrei. Eine kanonistische Untersuchung. München: Hueber
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J. Pascher, K. Mörsdorf, H. Tüchle, III. Kanonistische Abteilung,
19. Bd. DM 12.—.

Die Vicaria Perpetua ist im 19. Jahrhundert als Ersatzform
für eine Pfarrei im vollen Sinne des kanonischen Rechts in der
Praxis der deutschen Diözesen herangebildet worden und hat im
c. 1427 § 1 de« Codex juris canonici von 1917 Anerkennung
durch den Gesetzgeber gefunden. Es waren seelsorgerliche Schwierigkeiten
, die zu ihrer Ausbildung geführt haben — dieselben, die
auch in der evangelischen Kirche bis zur Gegenwart eine Rolle
spielen. Durch Industrialisierung und Binnenwanderung sind
Großpfarreien entstanden, die von einem Pfarrer, auch in Gemeinschaft
mit Kooperatoren, nicht mehr überblickt und im
wünschenswerten Umfang seelsorgerlich betreut werden können.
In jüngster Zeit sind die Schwierigkeiten eher noch größer geworden
. Die City-Pfarreien, die Pfarreien der Trabantenstädte
und der Stadtrandsiedelungen geben weitere Probleme auf. Die
Großpfarrei verlangt nach Teilung. — Der Verf. gibt zunächst
einen interessanten Überblick über die Geschichte der Teilung nicht
mehr übersehbarer Seelsorgesprengel. Sie beginnt schon in den
ersten Jahrhunderten mit der Christianisierung der Landbevölkerung
. Neben dem Seelsorgebezirk des Bischofs in der antiken
Stadt entstehen die Landpfarreien. Die Einteilung der mittelalterlichen
Stadt in mehrere Pfarreien setzt erst seit dem 11. Jahrhundert
ein. Das Konzil von Trient ging energisch gegen die
Großpfarreien vor, deren Teilung sich die Pfarrer oft widersetzten
, wobei nicht zuletzt finanzielle Gründe mitsprachen. Aber
das Reformkonzil stellte diesen Widerständen gegenüber die cura
animarum in den Vordergrund. Es war den Bischöfen gestattet,
aus bestimmten kanonischen Gründen (weite Entfernung von der
Pfarrkirche und Schwierigkeiten des Weges), die schon im mittelalterlichen
Kirchenrecht eine Rolle spielen, neue Pfarreien etiam
invitis rectoribus zu errichten. — Auf dieser Grundlage fand in
Deutschland eine gewohnheitsrechtliche Entwicklung zur Vicaria
Perpetua statt. Sie entstand als notwendige neue seelorgerliche
Organisationsform, weil die zunächst sich anbietende Lösung, die
Teilung der Großpfarrcien in mehrere selbständige Pfarreien, auf
Schwierigkeiten stieß. Sie waren auf der einen Seite finanzieller
Natur, weil durch die Säkularisationen zu Beginn des ^.Jahrhunderts
und durch die Grundcntlastungsgesetzgebung nach 1848
das alte Pfründesystem ins Wanken gekommen war. Dazu kamen
staatsrechtliche Schwierigkeiten. Der Staat des 19. Jahrhunderts
überließ die Neuerrichtung von Pfarreien nicht, wie heute, der
kirchlichen Autonomie, sondern machte, landesrechtlich verschieden
, ein Mitspracherecht geltend. Die staatliche Mitwirkung
spielt heute noch insoweit eine Rolle, als sie bei Erlangung einiger
Rechte (Körperschaftsrecht, Besteuerungsrecht, staatliche Beiträge
zur Ergänzung des Seelsorgeeinkommens) — wiederum landesrechtlich
verschieden — eingeschaltet werden muß. Das alles hat die
Vicaria Perpetua als eine Ausweichlösung entstehen lassen. —
C. 1427 § 1 des Codex gibt nur eine sehr allgemeine Rechtsgrundlage
. Deswegen ist der Ausbau der Institution im einzelnen in
den Diözesen erfolgt. Jedoch sind die Ersatzformen für die Pfarrei
in den einzelnen Diözesen sehr verschieden. Die klarste und
eingehendste Regelung des Vikaricnwescns findet sich in der
Dözesc Trier. Hier sind die neben den kanonischen Pfarreien bestehenden
Seelsorgestellen in Pfarrvikaricn, Vikarien und Exposi-
turen eingeteilt. Die Pfarrvikarien sind von der Mutterpfarrei