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1966

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Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

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Ehe. WiTd also eine Ehe getrennt, dann liegt auf alle Fälle Schuld
vor und man hat Gottes Gesetz übertreten". Diese These, bei
Kaptein kursiv hervorgehoben, gibt der obrigkeitlichen Handlung
ein Gewicht, das ihr aber in Wirklichkeit fehlt. Der Verf. sieht
anscheinend nicht, wie sehr er mit den Worten „Schuld" und „man
hat Gottes Gesetz übertreten" das staatliche Handeln unter Vorzeichen
bringt, die eine fietdßaaii «c äXXo yevoc; implizieren.
Wie könnte der Wunsch nach Trennung einer bloß vom Staate
anerkannten Ehe Übertretung von Gottes Gesetz bedeuten und
wie kann es möglich sein, daß bloß „unter Vergebung der
Sünden" wieder eine neue Freiheit garantiert wäre? Müssen wir
"'cht eher feststellen, daß juristisches Handeln (und was bedeutet
standesamtliche Trauung anders als einen juristischen Akt?) mit
dem Begriff der Schuld als Vergehen gegen Gottes Gesetz nichts
2u tun hat und daß hier die Kategorie .Vergebung der Sünden"
unbekannt ist? Wir stehen also schon am Anfang der Schrift
einer sonderbaren Überschätzung der Funktion der „Obrigkeit"
hinsichtlich der Ehe gegenüber und 2. einer Vermischung von
religiösen, theologi6chen Begriffen mit juristischen. Der Verf.
hat diese überraschende Säkularisierung theologischer Begriffe
flher nötig, um seine Theorie von der Trauung Geschiedener
durchzuführen. Denn nachdem er an einer Reihe neutestament-
'icher Texte nachgewiesen hat, daß man nicht ohne Schuld die
Ehe scheiden könne, zieht er den Schluß: es gebe wohl keine Schuld,
'ür welche keine Vergebung möglich ist. Also muß es möglich sein
zu vergeben, wenn einer in der Seelsorge zum Pfarrer kommt und
mitteilt: „Ich muß meine Ehe scheiden lassen" und sich dabei
beruft auf die Rätselhaftigkeit des Daseins. Er würde zwar seine
Schuld zugeben, aber zu gleicher Zeit verlangen, daß man ihm
nicht die Auflage mache, zum früheren Partner zurückzugehen
(Wiederherstellung, Versöhnung). Der Verf. gibt zu, die Vergebung
mit einer derartigen Auflage sei keine richtige Vergebung,
also könne der Seelsorger um der Rätselhaftigkeit des Daseins
willen den Wunsch zur Ehescheidung nur respektieren. Alles
andere wäre Gesetzlichkeit, der Seelsorger habe in der evangelischen
Freiheit zu stehen und in die Freiheit einzuführen. Der
"erf. möchte von vornherein für den „wirklichen" Menschen offen
sem. Deshalb gelingen ihm folgende Sätze: „Wo im Glauben, auf
Hoffnung gegen Hoffnung, in der Rätselhaftigkeit des Daseins
jer Beschluß gefaßt ist: Ich muß um der Kinder willen (?!), um
"^s anderen Willen, um meiner selbst willen (!), meine Ehe
scheiden lassen, da kann diese Entscheidung nur respektiert
Werden, auch von der Seelsorge". Auch wenn der Beschluß außerhalb
des Glaubens gefaßt ist, aber nun, vor der zweiten Ehe, mit
°em Bekenntnis der Schuld zur Kenntnis der Seelsorge gebracht
W'rd, so wird man ihn zu respektieren haben. Auf jeden Fall
Wa£e_es völlig verfehlt, sich überall und immer nur für eine „Rückkehr
' einzusetzen. Aus diesen Überlegungen wird uns klar, wieso

er Verf. eine säkularisierte Interpretation von Schuld (Bedauern
e'gentlich) nötig hatte: eine theologische Verantwortung des Be-
jjfirres muß nachdrücklich ausgeklammert werden; S. 27 f. wird
^er Gedanke, man könnte von der neutestamentlichen imago her

le Ehe für unscheidbar halten, ausgeklammert; das wäre eine
starre Gesetzlichkeit, die das Leben zerstören und seinen eigenen
j'nn ins Gegenteil verkehren könnte. „Denn welches Abbild wird
einer Ehe gegeben, in der einer der Parter oder beide und

©möglich auch die Kinder zugrunde gerichtet werden?". Leider

°mmt Eph. 5,22f überhaupt nicht in Sicht, die Stelle scheint
s in die reine Gesetzlichkeit zu führen und untauglich zu sein,
^ach der Auffassung des Verf. zu urteilen. Um der Härtigkcit des

efzens ist Gott geduldig mit uns; mit wem Er geduldig sein
sei • ^3S 211 entscneiden ist nicht Sache des Seelsorgers. Ehe-
eidung ist also möglich, folgert der Verf., sie kann ,, . . . gerade
fü°m Glauben aus geboten sein" (S. 30). Welche Begründung dann
^r dieses Gebot sich meldet, wird nicht näher erläutert. Sollte
erall, wo ein wenig Unfrieden herrscht oder wo ein Gatte sich
n einer Drittperson imponieren läßt und er bedauert, nicht bei

_ r früheren Gattin bleiben zu können, eine Begründung aus dem
auben gegeben sein?

j ^er zweite Teil des Büchleins handelt über die Zweitehe nach
ün, Scheidung. Es werden die verschiedenen Argumente, biblisch
kirchlich, gegen die Wicdertrauung durchgenommen; sofern

diese negativen, ablehnenden Charakter haben, werden sie unter
die Chiffre „Gesetzlichkeit" gebracht und auf die Seite geschoben.
So folgert der Verf. (S. 47), ein absolutes Verbot, die zweite Ehe
eines Geschiedenen zu trauen, kommt für die Kirche nicht in
Frage. Das wäre zu bequem, zu gesetzlich, es ließe keine Seelsorgc
in Gang kommen. „Seelsorge" hat für den Verf. eine derartige
massive Bedeutung, daß man sie fast wie eine dea ex machina
betrachten kann. Was soll man denken über eine Darlegung
(S. 69), wo festgestellt wird, man brauche nur die Schuldgefühle
dem Seelsorger, als dem emotional nicht beteiligten Dritten mitzuteilen
, um dann den Zuspruch der Vergebung zu erhalten und
sich frei zu wissen, um eine neue Ehe einzugehen? Woher hat der
Seelsorger, so muß man wohl fragen, die Kompetenz, so vorzugehen
? Wird nun nicht bei ihm ein character indclebilis angenommen
, der am Anfang der Schrift nachdrücklich bestritten
wurde? Und was kann Seelsorge noch bedeuten, wenn die Ehe
bloß standesamtlich eingegangen zu sein braucht und damit ein
christozentrisches Fundament als irrelevant auf die Seite geschoben
worden ist? Wir bekommen den Eindruck, daß die Kirche
sich zu beugen hat vor dem, was der Einzelne, der scheiden will,
nun einmal beschlossen hat. Das ist die „Wirklichkeit" und die
Kirche (Seelsorge) muß ihre Normen ihr anpassen: dazu hat sie
ja das Instrument der Vergebung. Alles was nicht sofort in die
Chiffre der Wirklichkeit paßt, wird als Gesetzlichkeit abgetan.
Nach einem Auswahlverfahren werden biblische Texte und reformatorische
Ansichten angeführt. Die ganze Problematik der
Wiedertrauung Geschiedener wird vom Verf. aus den Bereichen
der Dogmatik und Ethik in den der Seelsorge überwiesen mittels
Unterordnung der Kirche unter die Obrigkeit. Nicht klar ist, wie
ein Schuldbekenntnis zustande kommen kann ohne Beziehung auf
das Gesetz. Gilt i m Evangelium das Gesetz nicht mehr, wieso
dann noch Schuldbekenntnis? Der Verf. befindet sich in einem
Zwiespalt: als Hemmnis gegen die Verschleuderung der Trauung
Geschiedener fordert er mit Recht ein Schuldbekenntnis, andererseits
aber löst er dieses von der Konfrontation mit dem Gesetz;
bloß die „Wirklichkeit" hat Recht zur Geltung zu kommen, und
damit wird das bezweckte Hemmnis aufgelöst. Eine grundsätzliche
Freigabe der Wiedertrauung findet statt, die dem Charakter eines
Dammbruches gleichkommt.

Wir wären dankbar, wenn diese wenig theologisch durchdachte
Schrift nicht das letzte Wort zum Problem der Wiedertrauung
Geschiedener bedeuten würde.

Basel Hendrik van O y e n

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