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Ausgabe:

1966

Spalte:

139-140

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Storch, Martin

Titel/Untertitel:

Exegesen und Meditationen zu Karl Barths kirchlicher Dogmatik 1966

Rezensent:

Schmidt, Hans

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

140

die ursprüngliche Selbstmitteilung Gotes. Diese Lehre kann aber
nur dann in der Verkündigung richtig verwirklicht werden, wenn
die Kirche zugleich darauf verzichtet, das Predigtamt so zu verabsolutieren
, daß sie den Willen Gottes gleichsam in Beschlag
nimmt. „Es kann mancherlei Neues geschehen, was in unseren
gegenwärtigen kirchlichen Organisations- und Gesellschaftsformen
nicht existiert" (S. 111).

Man könnte an Ragnar Bring die Frage richten, ob seine
grundsätzliche Unterscheidung von griechischem und biblischem
Denken als eine so schroffe Antithese haltbar ist, wie er sie auffaßt
. Der Grundgedanke kann nicht bestritten werden; allein mir
will scheinen, daß die Grenzen in Wirklichkeit fließender sind.
Von da aus möchte ich es auch für durchaus legitim erachten,
wenn z. B. Melanchthon den kognitiven wie auch den existen-
ziellen Charakter des Glaubens, in Unterscheidung und Unterordnung
des ersteren unter den letzteren, grundsätzlich festhält.
Ich hätte ferner zu fragen, ob der kritisch-historische Aspekt der
Schriftauslegung bei Ragnar Bring nicht doch etwas zu kurz
kommt, und dies scheint mir wieder mit der eben erwähnten
schroffen Antithese zusammenzuhängen. Freilich ist dabei nicht
außer Acht zu lassen, daß in einer so knappen Darstellung Vereinfachungen
nötig sind und der Herausstellung des Grundgedankens
zugute kommen, mit dem ich vollständig übereinstimme.

Für besonders glücklich halte ich die Entfaltung der Prädestination
nach ihren zwei Gesichtspunkten, wie auch die Paralleli-
sierung von Abendmahlslehre und Schriftverständnis. Ragnar
Bring hat in dem vorliegenden Werk das theologische Denken
Luthers klar und anschaulich in unser heutiges Verständnis übertragen
und in eine eindrucksvolle systematische Gesamtschalt
zusammengefaßt.

Saarbrücken Ulrich Man d

Storch, Martin: Exegesen und Meditationen zu Karl Barths Kirchlicher
Dogmatik. München: Kaiser 1964. 213 S. 8° = Beiträge zur
evangelischen Theologie. Theol. Abh., hrsg. v. E. Wolf, Bd. 36. Kart.
DM 14.50.

Die Vortrags- und Aufsatzsammlung stellt ein Zeichen persönlicher
Dankbarkeit für in kritischen Zeiten empfangene Denkhilfe
dar. Ihre Beiträge sind vor allem während der Tätigkeit an
einem Predigerseminar im Gespräch mit der jungen Theologengeneration
entstanden. Für sie verspricht sich Verf. von Barths
theologischer Arbeit dieselbe Hilfe, welche er in den frühen
Dreißiger-Jahren empfing, als er von dem „Fichteschen Idealismus
einer Geschichtstheologie" beeindruckt (189) und von dem Studium
der Ethik Grisebachs herkommend, vor der Frage stand,
inwiefern für theologische Aussagen überhaupt noch Raum bleibe,
wenn die „Wirklichkeit" als „real-dialektisches" Geschehen verstanden
wird (73—76). Gegenüber der nach Ansicht des Verf's
erneut drohenden Gefahr einer „Selbstpreisgabe der Theologie"
durch „totale Formalisierung zugunsten eines einzigen Prinzips"
(75), soll die KD als „Leitfaden" (143) für die Einweisung in „den
Auftrag der Verkündigung Jesu Christi an eine für unser Erkennen
unübersehbare Welt" dienen (141). Exegesiert wird demzufolge
die KD selbst, wobei jedoch ihre Wegweisungen ab und zu
in „einer gewissen meditativen Freiheit... in dem weiten
und schrecklich aufgepflügten Gelände" (143) der gegenwärtigen
Gesprächslage weiter verfolgt werden (136 ff, 165 ff). Von
letzterer ist auch die Thematik der sechs Abschnitte fast ausnahmslos
bestimmt. Ihre Titel lauten: Um die Deutung des
„Offenbarungspositivismus" (11—35), Die Umformung der Rechtfertigungslehre
(36—68), „Der Einzelne sei gewarnt!" (69—101),
Analogie und Ontologie (102—142), Historie und Christologie
(143-176) und Lehrer der Kirche (177-213).

Es empfiehlt sich mit dem letzten Abschnitt zu beginnen, der einen
Überblick über den theologischen Weg Barths (177—191) und eine
Anleitung zum Umgang mit der KD (191 ff) bietet, denn er zeigt zugleich
, welcher Sitz der KD im Leben des Verf's zukommt. Und dies zu
wissen ist wichtig, um die entschiedene, oft ans Apologetische grenzende
Vertretung der Barthschen Theologie recht zu verstehen. Stellt sie
doch für Verf. nicht weniger dar als eine „Selbstbesinnung der Kirche"
(203), in welcher sich Barth als der unserer Zeit gegebene „Lehre der
Kirche" erwiesen habe: „Daß . . . dieser Mann in mehreren Entscheidungszeiten
das jeweils Richtige und Wichtige für die Kirche tat und
ihm die Kraft dazu gegeben war, das macht ihn nun einmal für unsere
Generation zu einer singulären Erscheinung, und zwar sowohl in der
geistlichen Wirkung, im geistigen Profil und in der wissenschaftlichen
Leistung" (184). Wie sich dem Verf. „die Perspektive. . . als die eigentliche
Regentin der KD" erweist (196), so die KD als der „Leitfaden" für
die rechte Perspektive in allen zur Erörterung anstehenden Fragen. Von
ihr wird jeweils eine „entschiedene Zurechtrückung der Sache" erwartet
(53). Um sie abzuhören, gilt es „aus den Kammern unserer heutigen
Begrifflichkeiten" herauszutreten (so). Die ausführlichen Berichte über
den gegenwärtigen Stand der theologischen Diskussion dienen darum
weithin nur der Aufgabe, für die Beachtung der entsprechenden Abschnitte
der KD „vorzubereiten und willig zu machen" (37, vgl. 53).
Doch werden die „Direktiven" der KD trotz der langen Einleitungen
unvermittelt vorgetragen und vor allem kaum mit dem Ertrag der
gegenwärtigen exegetischen Arbeit konfrontiert.

Zunächst wird Barth im 1. Abschnitt von dem Vorwurf des
„Offenbarungspositivismus" freigesprochen. In Bonhoeffcrs Forderung
einer religionslosen Interpretation wird keine Methodenfragc gesehen,
sondern (im Anschluß an die Arbeit von G. Meuss, Arkandisziplin und
Weltlichkeit) lediglich „die Frage, wie der Christ, aus Kultus, Gebet,
Theologie hervorgehend, hier im Letzten wohnend, überzugehen habe
in ein religiös anspruchsloses Handeln, in ein vorletztes Sagen und Tun
im Bereich einer religionslos gewordenen Welt" (34). Es ist der kühne
Versuch, Bonhoeffer als den „freiesten Schüler" Barths „die Wcltlich-
keit und die Sachlichkeit im Denken der KD" (29) nicht in Frage stellen,
sondern bestätigen zu lassen (33 ff, vgl. 132 ff).

Der 2. Abschnitt geht auf „die Umformung der Rechtfertigungslehre
" ein, indem er zunächst anhand eines umfangreichen Literaturberichtes
zur Frage des Gesetzes (37—45) und des Gewissens (45—53)
die Verlegenheiten aufzudecken sucht, vor denen „wir. . . mit der
traditionellen Anforderung der Rechtfertigungslehre" stehen (52 f).
Indem Verf. jedoch darauf ausgeht, Resultate einzelner Lehrformen zu
sammeln, bleiben die weiterweisenden Fragen- und Aufgabenstellungen
der Diskussion dennoch ungesichtet und erfolgt die schöne Explikation
der Barth'schen Rechtfertigungslehre wider Willen zu wenig im Gespräch
mit den gegenwärtigen theologischen Erwägungen.

Ein dritter Abschnitt sucht den Weg nachzuzeichnen, auf dem
Kierkegaards Kategorie des Einzelnen dazu führte, „sich selbst als
methodisches Prinzip einer Erneuerung des theologischen Denkens zu
erfassen" (79), und stellt im Anschluß daran Barths selbstkritische Verwarnung
des Einzelnen anhand seiner Behandlung des Judasproblcms
(86 ff), sowie seiner Erörterung der Zeitlichkeit (8 8 ff) und der Schuld
des Menschen (94 ff) dar.

Den für viele überraschenden Weg Barths von der Dialektik
zwischen Gott und Welt zur Analogie der Beziehung beider sucht der
4. Abschnitt zu erhellen. Seine umfangreichen Erörterungen zum Verhältnis
von „Analogie und Ontologie" gehen von der Annahme aus,
daß erst bei Plato und Aristoteles das analogische Denken mit onto-
logischer Bemühung zusammengetroffen sei (101.137) und daß keineswegs
alle Analogie Seins analogie sei (105.131). So wird die ana-
logia fidei im Gegensatz zur analogia entis als von Gott ausgehende
Bewegung verstanden, die im Vollzug der christlichen Existenz (und
nicht in irgendeiner Vorfindlichkeit) die Beziehung zum Menschen setze-
in welcher der Mensch als Partner Gattes allein ernst genommen sei
(116). Barth habe die Frage Anselms nach der Existenz Gottes (die in

der

kosmischen Theologie der Griechen unmöglich war) als Frage des Glau'
bens aufnehmen können, da sie nicht unbedingt eine Frage der Philo'
sophie sei. Demnach tritt mit Barths Grundfrage: Wer ist Gott?, welche
die Frage nach dem Sein Gottes impliziert, an die Stelle einer kosmischen
und einer Daseinsontologie „die eine Ontologie des göttlichen
Namens" (139). Durch die Annahme eines „Pluralismus der Ontc
logien" (140) wird jedoch die ontologische Problematik entschärft.

Schließlich werden in dem Abschnitt zum Thema „Historie und
Christologie" einleitend in einem längeren Forschungsbericht „die
Aporien der existentialen Exegese" (160) aufgewiesen, die in dein
unverbundenen Nebeneinander von „sukzessiver Faktengeschichte" un«
dem „Zirkel des gläubigen Selbstverständnisses" gesehen werden (162)-
Auf die offene Frage, „wie wir das Bekenntnis zum ,vere deus vere
homo' aufnehmen und vollziehen sollen", wird daraufhin mit Zitaten
aus Barths Versöhnungslehre eingegangen (163 f), an deren kurz«
Kommentierung (164 0 sich eine aufschlußreiche Meditation über die
Verbindung von Berufung Israels und Sendung Jesu anschließt (165 fß-
In ihr scheint der Grundsatz der Barthschen Versöhnungslehre der ,,u°'
historischen Geschichte" entnommen und historisch reflektiert zu sein-

Im ganzen enthalten sich jedoch die Darlegungen solcher -•frc'£r
Meditationen" und beschränken sich auf ausführliche Exegesen der KD;
die auf diese Weise als „Buch der Hoffnung und des Auftrages
(212) vorgestellt werden soll.

Homburg Han« Sch m i d t