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Ausgabe:

1966

Spalte:

128-131

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bizer, Ernst

Titel/Untertitel:

Theologie der Verheißung 1966

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

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Luther mußte rechtsschöpferisch werden, ohne als in der Reichsacht
Stehender selbst Rechtsboden unter den Füßen zu haben.
Durch Luthers Festhalten an Kaiser und Reich wurde die lutherische
Kirche ein integrierender Bestandteil des Reichsverfassungsrechtes
. Neben diesem positiven Verhältnis zum Staat stand Luther
dem werdenden Renaissancestaat gegenüber, sowie den großen
wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die um die Wende
des 15. zum 16. Jahrhundert einsetzten. Eindrucksvoll zeigt L. die
Linie auf, die Luther praktisch zwang, Ordnung und Aufbau
der Kirche dem Staat in die Hand zu legen. L. knüpft hier an
seinen früheren Aufsatz über den unjuristischen Luther an (vgl.
Luther-Jahrbuch 24 [1957]) und weist auf Bugenhagen hin, der
„Luthers geniale Nonchalance gegenüber allem Formalen" (S. 38)
als Verfasser wichtiger Kirchenordnungen in gewisse Bahnen
lenkte. L. zieht die Linien bis in die heutige Zeit, von den Epigonen
bis in die Ökumene und setzt sich dabei mit der „sehr
bequemen These" (S. 42) auseinander, daß Luther die Gemeinde
erst hat von unten bauen wollen, nach dem Bauernkrieg aber eine
Schwenkung um 180 Grad vollzog. Luther hat die Ordnung der
Kirche nicht gemacht, sondern hat sie wachsen lassen (S. 45). Erst
kam die Lehre, dann die Liturgie und zuletzt, wie ein notwendiges
Übel, die Verfassung.

In memoriam Rudolf Hermann stellt sein Schüler Horst
B e i n t k e r „Luthers Verständnis vom geistlichen Leben des
Christen im Gebet" (S. 47—68) dar. Luthers Grundauffassung vom
Gebet, das nur im Glauben gedeihen kann und umgekehrt nur der
Glaube durch das Gebet, wird von B. ausführlich untersucht bis
hin zu Schleiermacher, für den Beten und Frommsein identisch
war. Einen wirklich eigenen Ort hat jedoch das Gebet im heutigen
dogmatischen System seiner Bedeutung nach noch nicht wieder gefunden
. Gemeinsamer Grund von Glaube und Gebet sind die
Rechtfertigungsartikel, doch können sie nur durch einen exegetisch
und meditierend forschenden Umgang mit der Schrift sinnvoll
werden, andererseits ist in ihnen auch das Beten des gottfernen
sündigen Menschen begründet (S. 62).

Eine Stelle in Luthers Schmalkaldischen Artikeln untersucht
Martin Henschel (S. 69—76) und weist nach, daß Luther bei der
Nennung des „feurigen Engel S. Johannes" entgegen der üblichen
Meinung nicht an Apokalypse 10, 1 gedacht hat.

In einer gewissen Beziehung zu den Verhandlungen der
4. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes vom Sommer
1963 in Helsinki steht der Aufsatz von A. Peters „Reformatorische
Rechtfertigungsbotschaft zwischen tridentinischer Rechtfertigungslehre
und gegenwärtigem evangelischen Verständnis der
Rechtfertigung" (S. 77—128). Bedingt durch die kirchliche und
theologische Situation der Gegenwart wird bei den noch nicht
abgeschlossenen Verhandlungen von Helsinki aus dem Gesamtkomplex
der Rechtfertigungslehre die Frage nach Glaube und
Werk stark betont werden. In dieser Linie kann der Aufsatz von
P. als ein „wirklich weiterführender Beitrag" (F. Lau) gewertet
werden. Nachdem er die reformatorische Rechtfertigungsbotschaft
in kurzen Strichen skizziert hat (S. 81—95), wendet er sich der
Frage zu, wie die Reformatoren das personale Gegenüber des
Menschen zu Gott verstehen. Verhängnisvoll für das kontroverstheologische
Gespräch ist es nach P.'s Ansicht dabei, daß es den
Reformatoren nicht zu zeigen gelungen war, daß ihre neue, aus
der „personalen Innenschau" (S. 102) erwachsene Sicht der Rechtfertigung
bereits in der „scholastisch-tridentischen Schau der
Rechtfertigung" (ib.) ans Licht drängte und andererseits auch das
neue Verständnis die römisch-katholischen Aussagen in eine verschärfende
Beleuchtung rückt. Abschließend konfrontiert P. dann
das reformatorische Rechtfertigungszeugnis an einigen Punkten
sowohl mit den entsprechenden Anschauungen des Tridentinums
als auch mit der gegenwärtigen evangelischen Theologie, wobei
man allerdings in den beigefügten Anmerkungen eine ganze
Anzahl profilierter Namen, die sich ebenfalls mit der reformatorischen
Rechtfertigungslehre befaßt haben, vermißt. Dies ist wohl
bedingt durch die nicht zu umgehende Kürze eines Aufsatzes, der
Teil eines Jahrbuches ist. Allerdings liegt hier auch für den Autor
ein gewisses Wagnis, das er zu umgehen sucht, indem er immer
wieder auf sein umfangreiches, Luthers Rechtfertigungslehre im
Licht der Heiligen Schrift behandelndes Werk verweist. Natürlich

ist es dem Verfasser nicht möglich, in einem relativ kurzen
Aufsatz die umfassende Weite der Rechtfertigungsfrage in ganzer
Intensität zu klären. Trotzdem dürfte ihm der Nachweis gelungen
sein, daß auch heute noch die reformatorische Auffassung von der
Rechtfertigung einer kritischen Durchleuchtung standhält, da in
ihr die tiefsten Intentionen sowohl des Tridentiums als auch der
modernen Theologie ausgeprägt enthalten sind.

Der Besprechungsteil des Luther-Jahrbuches 1964 enthält
durch die intensive Beschäftigung des Herausgebers mit Leif
Grane's Contra Gabrielem nur relativ wenig Titel, was aber sicher
auf Grund dieses wichtigen Buches berechtigt ist, zeigt es doch
den entscheidenden nicht nur positiven, sondern vor allem Widerspruch
auslösenden (F. Lau) Einfluß Biels auf Luther.

553 Titel der Luther-Bibliographie schließen den Band ab.

Berlin Hans-Ulrich DelJui

Bizer, Ernst: Theologie der Verheißung. Studien zur theologischen
Entwicklung des jungen Melanchthon (1519—1524). Neukirchen: Neu-
kirchener Verlag des Erziehungsvereins [1964]. 320 S. gr. 8°. Kart.
DM 24.80.

Der Melanchthonforschung wird mit Bizers Buch eine neue
Version hinzugefügt, die ein übriges Mal deutlich macht, wie
wenig homogen das Melanchthonverständnis der Gegenwart ist.
Es bestätigt sich auch in diesem Falle die These, daß sich die
Hauptansatzpunkte für ein Melanchthonbild aus den Fragestellungen
der Lutherforschung herleiten. Das gilt für die Arbeit Ernst
Bizers selbst und für die Studie, gegen die er Erhebliches auf dem
Herzen hat (S. 64): Rolf Schäfer: Christologie und Sittlichkeit in
Melanchthons frühen Loci. Tübingen 1961 — Beiträge zur historischen
Theologie, hrsg. von Gerhard Ebeling, Bd. 29.

Anstelle einer Einleitung gibt der Verfasser unter der Überschrift
„Zur Methode der Melanchthonforschung" fast ausschließlich
eine äußerst kritische Rezension des Schäferschen „überaus
gescheiten, mit großem formalem Geschick geschriebenen, aber . . •
historisch völlig verfehlten Buches" (S. 9), die an anderer Stelle
bereits publiziert worden ist (Evangelische Theologie, 24, 1964,
S. 1—24). Man greift kaum zu weit, wenn behauptet wird, daß
über Schäfers Monographie hinaus dessen Lehrer Gerhard Ebeling
in seiner gesamten Arbeit an der Reformationsgeschichte, repek-
tive an Luther, gemeint ist. Es wäre ein weites Feld, diese Kritik
mit einer Metakritik zu versehen. Danach ist hier nicht gefragt,
sie könnte außerdem den Wert der erfreulich eigenständigen Bizer-
schen Arbeit verdunkeln.

So sollen an dieser Stelle nur die hauptsächlichsten Einwände
des Verfassers gegen Schäfer zitiert werden, als deren quellenmäßige
Unterbauung wesentliche Teile der folgenden Abhandlung
gedacht sind. Bizer wehrt sich auf der ganzen Linie dagegen,
den jungen Melanchthon gedanklich sehr weit von Luther abzusetzen
: „Der junge Melnchthon rückt sehr nahe zu dem jungen
Luther und bestätigt im wesentlichen das früher gewonnene
Lutherbild" (S. 8, Vorwort). Somit lenkt der Verfasser selbst das
Augenmerk auf sein Lutherbuch: Fides ex auditu. Eine Untersuchung
über die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes durch
Martin Luther, Neukirchen i9602. Er ist sich darüber im klaren,
sowohl hinsichtlich seines Luther- als auch seines Melanchthon-
verständnisses, von den Ergebnissen heutiger Forschung sehr abzuweichen
. Um so sorgfältiger wird also auf Bizers Argumente
geachtet werden müssen. Er ist zu der Überzeugung gelangt, daß
es an der Zeit sei, Melanchthon wieder primär als Theologen zu
Wort kommen zu lassen, nachdem in der modernen Literatur ge'
läufige Vorstellungen sich vorwiegend „von der Seite des Humanismus
her" (S. 8) dem Praeceptor Germaniae zugewandt hatten-
(Dafür ist etwa an Adolf Sperl zu denken: Melanchthon zwischen
Humanismus und Reformation, München 1959).

Bizer zieht (im Gegensatz zu Schäfers Vorgehen) aus seiner
These tiefgreifende methodische Schlußfolgerungen. Er legt seiner
Arbeit die frühen Vorlesungen Melanchthons zugrunde, und zwar
die Annotationes in Matthaeum, den Römerbriefkommentar von
1522 und die Annotationes in Iohannem. Als Vorarbeiten zu
den Loci von 1 521 werden die Theologica Institutio und die Lucu-
bratiuncula oder Rerum Theologicarum Capita (1520) herangezogen
, danach werden etwas ausführlicher die beiden Teile der