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Ausgabe:

1966

Spalte:

99-103

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Maier, Johann

Titel/Untertitel:

Vom Kultus zur Gnosis 1966

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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99

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 2

vielfach belächelten Behauptung: „der Text ist zu gewaltig da"
(WA. 15, 394, 19). Das heißt nicht, daß Luther oder in seiner
Nachfolge das lutherische Bekenntnis vom Abendmahl das biblische
Zeugnis in dieser Sache erschöpft hätte. Luthers Exegese hat
hier wie auch sonst ihre deutliche Begrenzung gehabt, wie es
heute etwa von Paul Philippi in der lehrreichen Abhandlung über
„Abendmahl und Wirklichkeit der Gemeinde" (1961) unter ausgiebiger
Verwertung der heutigen Exegese nachgewiesen ist.
Diese Begrenzung kommt wiederum weithin daher, daß Luther
zu tief in der Überlieferung der Kirche verwurzelt war, um aus
der damit gegebenen Enge völlig herausbrechen zu können- Auch
Hans-Christoph Schmidt-Lauber hebt in seiner Abhandlung „Die
Eucharistie als Entfaltung der Verba Testamenti" (1957) die herkömmliche
Einseitigkeit hervor, die die altlutherische Exegese mit
der abendländischen Überlieferung gemeinsam gehabt hat'".

Die hier vermißten biblischen Erkenntnisse, die erst heute
in tastender Weise aufgenommen worden sind und auch in den
Arnoldshainer Thesen zum Vorschein kommen, würden aber
völlig entwurzelt werden, wenn sie von der Verbindung mit der
Realpräsenz und damit auch von der christologischen Begründung
losgelöst werden sollten. Nicht als ob sich das Abendmahl seinem
geistlichen Sinn und Gehalt nach einfach aus der Christologie
irgendwie hätte herleiten lassen können, denn man spricht in der
lutherischen Theologie nicht umsonst von der Kontingenz der
Einsetzung, die die Kirche als göttliche Setzung einfach hinzunehmen
hat. Trotzdem zeigen gerade die althergebrachten Auseinandersetzungen
und Gegensätze in der Abendmahlslehre, daß
es dort genau so wie in Fragen der Rechtfertigung schließlich um
die Christologie geht70. Man hat zwar die Rechtfertigungslehre
aus dem Zusammenhang mit der altkirchlichen Christologie zu
lösen versucht, wie das auch in der Bultmann-Schule von heute
immer wieder geschieht, aber dadurch verliert der rechtfertigende
Glaube seinen eigentlichen Gund und Gegenstand und ist in Gefahr
, zu einer Ideologie oder religiös getarnten Weltanschauung
herabzusinken"0. Dabei geht die lebensgestaltende Kraft des
Glaubens verloren, und genau so geht es mit dem Abendmahl,
wenn man es aus dem Zusammenhang mit dem trinitarischen Bekenntnis
zu der in Christus stattgefundenen Inkarnation Gottes
und der damit geschehenen Erlösung löst. Ist im römisch-katholischen
Meßopfer vor allem die in Christus vollbrachte Erlösung
vom frommen Menschenwerk bedroht, dann ist in der reformierten
und neuprotestantischen Leugnung der Realpräsenz vor allem die
Gottesoffenbarung als solche, wie sie im Gottmenschen Jesus
Christus verkörpert ist, ebenso ernsthaft bedroht. In beiden
Fällen geht es schließlich um die Reinerhaltung des christlichen
Glaubens, denn ohne Christi gottmenschliche Person und Tat,
wie sie von der alten Kirche bekannt und von der lutherischen
Reformation wieder aus der captivitas einer falschgeratenen Tradition
herausgelöst worden sind, muß der Glaube als fides
salvifica zugrundegehen.

7H) Vgl. oben Anm. 53.

7") Vgl. außer Maurer, a.a.O., Sp. 8 ff, auch Wilhelm Link: Das
Ringen Luthers um die Freiheit der Theologie von der Philosophie,
2. Aufl. München 1955, S. 105—53.

80) Vgl. Walter Künneth, Glauben an Jesus?, 2. Aufl. Hamburg 1962,
vo auf diese Gefahr besonders eindrücklich hingewiesen wird.

Der hier obwaltende Ernst der ganzen Frage nach der Realpräsenz
ist zweifellos mit die Erklärung dazu, daß lutherische
Unterzeichner der Arnoldshainer Thesen so ernstlich bestrebt
gewesen sind, gerade das genuin lutherische Anliegen in der
Abendmahlslehre in ihrer Deutung der Thesen wahrzunehmen.
Zugleich ist man im Mutterland der lutherischen Reformation
durch die verwickelte Lage bedrängt, die durch die Entwicklung
der letzten Jahrhunderte heraufgeführt worden ist und die nach
einer Lösung schreit. Diese Entwicklung läßt sich nicht rückgängig
machen, aber sie ist, wie das in den Verwicklungen der
Kirchengeschichte wohl noch mehr zutrifft als in den Konflikten
der Weltgeschichte, mit einer schweren Schuld vergangener Generationen
beladen, und Schuld kann am allerwenigsten durch voreilige
Lösungen abgetragen werden. Die hier in Frage kommende
Schuld liegt nicht bloß in der Kirchenspaltung als solcher, wie
heute nur zu oft behauptet wird, sondern sie muß dort aufgesucht
werden, wo die Spaltung ihren Ausgang gehabt hat, und da
kommt man nicht an der alten Frage vorbei, die sowohl die alte
Kirche als auch die Reformation bewegte, nämlich an der Frage nach
der „kirchentrennenden Bedeutung von Lehrdifferenzen" * Einen
Friedensschluß zwischen den alten Gegnern in der hergebrachten
lutherisch-reformierten Kontroverse um das Abendmahl kann es
wohl nicht durch Formeln geben, die den nach wie vor bestehenden
Gegensatz mehr verdecken als beseitigen, sondern nur
durch ein Verständnis des Abendmahls, in dem sich beide Seiten
in der biblisch begründeten Wahrheit von der Realpräsenz des
Leibes und Blutes Christi zusammenfinden. Ein Mann wie Peter
Brunner hat als führender Mitarbeiter in der Arnoldshainer
Abendmahlskommission gerade dies anbahnen wollen. Es bleibt
aber, und das ist eine Befürchtung, die ich meinerseits mit vielen
anderen teile, schließlich doch die von Ernst Sommerlath angeschnittene
Frage bestehen, wenn es um die Arnoldshainer Thesen
geht, nämlich ob „nicht eine Selbsttäuschung durch das Dokument
" geht82.

81) Vgl. Gerhard Ebeling: Wort und Glaube, Tübingen 1960,
S. 161—191. Ebeling vertritt hier von grundsätzlichen Erwägungen über
die Consensus-Frage her folgende Auffassung: „Das Urteil über die
kirchentrennende Bedeutung tradierter Lehrdifferenzen ist grundsätzlich
revidierbar", und belegt sie mit einem entsprechenden Urteil Dietrich
Bonhoeffers, wonach die lutherisch-reformierten Gegensätze „nicht mehr
echt" seien (S. 190 f). Nimmt man Ebelings neueste Arbeit hinzu: Wort
Gottes und Tradition, Göttingen 1964, wo er jenen grundsätzlichen und
damit verwandten Fragen weiter nachgeht und nun zum Schluß auch
noch entsprechende Erwägungen zur Sakramentsfrage darbietet, um
schließlich auch von dort her die in dieser Arbeit ohne jede Einschränkung
vertretene Aufrechterhaltung der herkömmlichen protestantischkatholischen
Lehrdifferenzen zu erhärten, dann zeigt sich doch wohl
gerade hier, daß sich ein gemeinsames ,.evangelisches Sakramentsverständnis
" (S. 217 ff) nur dann aufrechterhalten läßt, wenn das Verhältnis
von „worthafter und sakramentaler Existenz" (S. 197 ff) so verstanden
wird, daß der entsprechende Gegensatz zwischen der vom Spiritualismus
herkommenden „personalistischen Verengung" und der von Luther
durchgeführten realistischen Vertiefung jener Existenz, wie er von
Albrecht Peters aufgerollt worden ist, völlig zurücktritt, vgl. oben zu
Anm. 55 ff.

""') Vgl. Lehrgespräch., S. 89.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Maier, Johann: Vom Kultus zur Gnosis. Studien zur Vor- und Frühgeschichte
der „jüdischen Gnosis". Bundeslade, Gottesthron und
Märkäbäh. Salzburg: Otto Müller Verlag [1964]. 151 S. gr. 8° =
Kairos, Religionswiss. Studien, hrsg. v. J. Haekel u. K. Schubert, 1.
DM 23.-.

Als erster Band dieser neuen religionswissenschaftlichen Studienreihe
KAIROS, herausgegeben von J. Haekel und K. Schubert,
erscheint ein Teil der Habilitationsschrift, die J. Maier 1963 der
Philosophischen Fakultät der Universität Wien vorgelegt hat. Der
Verf. — bekannt durch seine gediegene Übersetzung der Qumrän-
texte — hat in dieser Arbeit, die nur einen (ersten) Teil darstellt
(ein 2. Band ist, nach S. 133, in Aussicht gestellt), versucht, durch

eine religionsgeschichtliche Fragestellung die Wurzeln der frühen
jüdischen Esoterik in der altisraelitischen Religion aufzuweisen,
außerdem „den Weg und den Gestaltwandel der einzelnen Vorstellungen
und Vorstellungskomplexe in der Geistesgeschichte des
Frühjudentums, zur Zeit des zweiten Tempels, aufzuzeigen und
den ,Sitz im Leben' solcher Überlieferungen zu finden" (11). Im
Unterschied zu den bisherigen Versuchen, die den Fremdeinfluß in
dieser Entwicklung überschätzten, will M. die Überlieferungsgeschichte
der jüdischen Esoterik im Zusammenhang mit der
israelitischen Kult- und Tempelideologie begreifen, also als ein
wesentlich innerjüdisches Phänomen. Über diese Themastellung
kann man nur erfreut sein, denn durch die bahnbrechenden
Arbeiten G. Scholems auf dem Gebiet der jüdischen Mystik einerseits
und die neubclebten Forschungen im Bereich der spätantiken