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Ausgabe:

1966

Spalte:

932-934

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hübner, Eberhard

Titel/Untertitel:

Theologische Ströumungen der Gegenwart 1966

Rezensent:

Müller-Schwefe, Hans-Rudolf

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Theologisdie Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 12

932

Die äußerliche Art des Vorgehens der Arbeit ist das Entwickeln
einer gewissermaßen gegenwartsgeschichtlichen Übersicht,
in der folgendes vor Augen gestellt wird: im Ersten Teil (§ l)
die „Diskussion um die Kirchliche Dogmatik Karl Barths" im besonderen
Hinblick auf Fragen und Einwände, die den Ansatz betreffen
(von Balthasars Bedenken gegen christologische „Engführung
", Berkouwers Totalformel "Triumph der Gnade" für Barths
Theologie von Anfang an, Vogels Kritik an der .christolo-
gischen' Begründung der natürlichen Befristung des menschlichen
Lebens, die in KD III/2 gerade keine christologische, sondern
letztlich sogar fast eine natürlich-theologische sei, die Prädestinationslehre
als Schlüssel für Barths Theologie wie bei Gloege u.
a.); dazu (§§ 2 u. 3) mehrere Beispiele aus der KD Barths für
„radikal-christologisches Denken", wie Amberg formuliert und
womit er einen Ausdruck meint, der „beides einschließen kann:
den ontischen und den noetischen Primat der Person
Jesu Christi und zugleich die Dringlichkeit seiner Geltung" (S. 43)
(hierbei auch Abgrenzung gegen die christologischen Bemühungen
Ritschis und seiner Schule wie auch den pietistischen sog. Christo-
zentrismus). Im Zweiten Teil werden andere Dogmatiken als die
Bardische auf ihr Selbstverständnis wie faktische Beschaffenheit
hinsichtlich „christologischen" Ansatzes oder Programmes durchgemustert
, und zwar zunächst (§ 4) „Annäherung(en) an die Christologische
Dogmatik" (Heinrich Vogel, Otto Weber, Hendrik van
Oyens „Theologische Erkenntnislehre", Hermann Diems „Dogmatik
"), sodann (§ 5) solche Werke, die ihrem Selbstverständnis nach
und hinsichtlich vielem im Materialen der KD Barths ganz fernstehen
, die aber doch Anklänge an diese oder strukturelle Ähnlichkeiten
mit deren christologischer Fundierung deutlich zu erkennen
geben (Buri und Tillich), weiterhin (§ 6) solche Dogmatiken
, in denen das Bestreben zum Ausdruck kommt, mehr oder
weniger unpolemisch gegenüber der christologischen Forderung
ein „trinitarisches Anliegen" zur Geltung zu bringen (bes. Win-
gren und Prenter). In diesem Paragraphen wird besonders deutlich
, wie ungeklärt der Begriff des Christologischen im heute üblichen
theologischen Sprachgebrauch ist, nämlich daran, daß ein
Unterschied zum Begriff des Trinitarischen oftmals kaum empfunden
wird, was ja Symptom dafür ist, daß er in einem weiteren
Sinn (oder aus allgemeinerer Frontstellung) gemeint ist, als der
Wortsinn eigentlich besagt. Schließlich (§ 7) wird die Forderung
christologischer Interpretation in der Wendung gezeigt, daß sie
nicht eine ganze Dogmatik zu leiten oder gar zu systematisieren
verlangt, sondern die biblische Frage, wer denn Christus heute
eigentlich für uns sei, „zum Kriterium der Theologie" erheben
läßt, ein Problem, das besonders bei Ebeling seine Wurzel weniger
in Bardischem Denken als im Problem der Geschichte und
Exegese habe und vor allem in Bonhoeffers Programm nicht-religiöser
Interpretation biblischer Begriffe verankert sei.

Im Rahmen dieser Übersicht kommen natürlich manche und
wichtige Bedenken gegen das radikale oder auch „mildere" christologische
Denken, oft nur in kurzen Zwischenbemerkungen, zur
Sprache. Dabei ist der leitende Gesichtspunkt nicht das Offenbarungsproblem
, als ob es primär darum ginge, andere Erkenntnis-
quellen als Jesus Christus wieder in Geltung zu setzen; vielmehr
geht es Amberg darum, auf hauptsächlich folgende Gefahren einer
konsequent christologischen Dogmatik wie bei Barth aufmerksam
zu machen: einmal auf die der thematischen Verkürzung,
wie eine solche nicht nur die Dogmatik insgesamt einschrumpfen
lassen kann (was mit dem äußerlichen Volumen nichts zu tun
hat), sondern jede Einzelexegese und jedes Einzelproblem betreffen
kann, nämlich wenn man sofort ein christologisches Schema
zur Hand hat, was ganze Dimensionen an Problematik gewissermaßen
wegfiltern kann. Dazu weist Amberg sehr treffend auf die
Gefahr (und belegt das an Beispielen), daß die Christologie selbst
in ihrem eigentlichen, vielleicht einfältigen, Sinn verfälscht wird,
wenn sich alle Probleme in ihr spiegeln und an ihr analogisieren
sollen.

„Der einzig wirklich greifbare Ertrag solchen Analogisierens (bes.
in christologischer Exegese, F.) scheint uns tatsächlich immer noch darin
zu bestehen, daß die Analogien die eigentliche Christologie verflachen!"
(S. 71).

„Es muß auch damit gerechnet werden, daß sich Rückwirkungen auf
die Christologie im engeren Sinne einstellen, die zu einer NivcHierung

der Einzigartigkeit aller Lehre von Christus führen ... Es ist demnach
sehr zu fragen, ob man der Christologie die höchste Ehre erweist und
ihrem Primat den vollkommensten Ausdruck verleiht, wenn man ihren
Radius um alle Bereiche der Dogmatik (und Ethik) schlägt. Wenn
die Redeweise nicht so abgegriffen wäre, könnte man auch hier sagen:
Wo alles christologisch bestimmt ist, ist im Grunde nichts c h r i s t o -
logisch bestimmt — in Analogie zu ähnlichen totalen Aspekten und
Aussagen in der früheren dialektischen Theologie, wo das Zauberwort
.eschatologisch' hieß: Christlich war identisch mit eschatologisch, und
die letzte Konsequenz war, daß es keine eigentliche Eschatologie mehr
gab" (S. 62f.).

„Es wäre denkbar, daß man Barth gegenüber weniger die Dogmatik
gegen die Christologie zu verteidigen hätte als vielmehr die Christologie
gegen die Dogmatik" (S. 64).

Natürlich wird auch das weite Feld der konfessionellen Gegensätze
betreten; und Amberg läßt sich nicht entgehen, Barths
manchmal seltsam verhärtete Polemik gegen lutherisches Theo-
logisieren, wie an der Kontroverse um Gesetz und Evangelium,
kritischer Überprüfung zu unterziehen, und dies in großer Sadi-
lichkeit, Korrektheit, aber auch Hartnäckigkeit, und unter Bedauern
, daß Barth „für das Gespräch mit den Lutheranern nun
einmal noch nie einen so glücklichen Ton gefunden (hat) wie etwa
für das mit den Katholiken" (S. 81). Dabei scheint Amberg hier
weniger als Lutheraner zurechtzurücken denn aus einem ausgeprägten
Gerechtigkeitswillen, der sich mit Freude an minutiöser
Überprüfung paart. Manchmal wundert man sich freilich etwas,
wie bereitwillig sich Amberg auch auf recht subtile .sdiolastische'
Gedankengänge einläßt; was wohl damit zusammenhängt, daß
seine Arbeit doch primär dem historischen Verstehen gewidmet
ist und einfach aus diesem heraus die Kategorien für eine echte
Alternative natürlich nicht gewonnen werden, wie auch Kritik als
Zwischenbemerkung noch keine eigentlich konstruktive Kraft hat.
Aber es handelt sich um eine vorzügliche Habilitationsschrift,
deren Lektüre gewiß anstrengender ist als die der Bücher v. Balthasars
, der sich hinzugeben aber die Zeit wirklich gut genutzt ist.

Berlin Hans-Georg F r i t zsch e

Hüb n er, Eberhard, Peters, Albrecht, Lohff, Wenzel, u. Herbert
Braun: Theologische Strömungen der Gegenwart. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht [1965]. 90 S. 8° = Evangelisches Forum,
Kart. DM 5.80.

Der Nutzen eines Heftes, wie des vorliegenden, ist begrenzt.
Mit drei Vorträgen in die Theologie der Gegenwart einzuführen,
das kann kaum gelingen. Trotzdem ist der Wert des Heftes nicht
zu bestreiten. Die drei Schnitte, die durch die Theologie der Gegenwart
gelegt werden, zeigen wichtige Strukturen der theologischen
Lage an.

Der erste Beitrag von Hübner bestimmt den Ansatz von
Barths Theologie: Gott in seiner Offenbarung. Dieser Ansatz ist
dialektisch insofern, als die Offenbarung nicht die Identität von
Gott und Mensch meint, sondern die Überwindung des Gegensatzes
, die allein Gottes Sache ist. Von daher formuliert sidi der
Angriff Barths auf Bultmann: Die Dialektik darf nicht in der
menschlichen Existenz gesucht werden, sondern muß der Offenbarung
des Wesens der vorgegebenen Offenbarung dienen. — Die
Frage ist freilich, ob von diesem Ansatz aus die Lösung der historischen
Frage des Glaubens möglich ist.

Der zweite Beitrag von Peters legt den Schnitt durch die
Theologie an der Rechtfertigungslehre. Er zeigt, wie drei Ansätze
zu ihrem Verständnis sich in sich selbst zu verkrümmen
drohen: Der Versuch, Rechtfertigung in der Spannung von Gesetz
und Evangelium zu sehen (Eiert), verkürzt das Leben unter
der „Gnadensonne". Die Erhellung mit personalen Strukturen
(Ebeling) droht die Rechtfertigung zu einem Innenraum gläubiger
Existenz zu verengen. Die heilsökonomische Interpretation (Win-
gren) schleift die Spitze der Rechtfertigung in einem ungebrochenen
Realismus ab. — Peters sieht die Lösung darin, daß die Rechtfertigungsbotschaft
nicht als Lehre genommen wird, sondern (in
der Beichte) dem Sünder verkündigt wird. Dann könne sie alle Dimensionen
entfa'ten und behalten.