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Ausgabe:

1966

Spalte:

930-932

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Amberg, Ernst-Heinz

Titel/Untertitel:

Christologie und Dogmatik 1966

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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929

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 12

930

Zu Lasten des Herausgebers geht der Hauptmangel dieses
Büchleins, der darin besteht, daß die von B. zitierten Stellen weder
nachgeprüft noch verifiziert sind. Nur als ein Beispiel sei erwähnt
, daß B.s Äußerung (S. 19), Calvin beginne mit dem Credo
und lasse dann die Gebote folgen, ungenau ist, weil Calvin bekanntlich
im Catcchismus Ecclesiae Genevcnsis und in der Instruction
et confession de foy ( = Catechisme 15 37) unterschiedlich verfährt
.

Liest man den vollständigen Titel des Büchleins, ist man vermutlich
bei der Lektüre gespannt, ob wirklich die Katechismen der
Reformation zur Sprache kommen oder ob nicht B. es ist, der, weil
zuletzt, am besten spricht. Vom Inhaltsverzeichnis her sollte man
mehr im I. Teil B.s Position (Überschrift: „Das Gebet", Unterabschnitte
: Das Problem des Gebets, Das Gebet als Geschenk Gottes,
Das Gebet als Tat des Menschen), im II. Teil mehr die Äußerungen
der Reformatoren erwarten (Überschrift: „Erklärung des
Herrngebets nach den Reformatoren"). Doch der Leser wird überrascht
. Am meisten kommt B. noch in den „Vorbemerkungen" auf
das Verhältnis der Reformatoren zum Gebet zu sprechen. Schon
der I. Teil stellt dann mehr Gesichtspunkte heraus, von denen B.
überzeugt ist, mit den Reformatoren einig zu sein. Schließlich
mündet der II. Teil in eine Interpretation der Vaterunserbitten
durch B. selbst, freilich aus dem „Geiste" der Reformation.

Hält man sich mehr an den „Buchstaben", dann will uns
scheinen, daß trotz allem eine Akzentverschiebung zwischen den
Reformatoren und B. eingetreten ist. Zwar kann sich B. in seinem
Insistieren auf die Frage „Was i s t das Gebet wirklich?" und in

seinem Abschieben einer „Beschreibung dessen---- was der

Mensch tut, wenn er betet" (S. 25.) noch auf die Reformatoren
berufen. Das Fragen beginnt aber erst beim Verständnis dessen,
was es heißt, wenn man fragt: „was i s t das Gebet?" Und zweifelsohne
steht B. in der Gefahr, die Frage nach dem Sein des Gebets
einzuengen in sein Koordinatensystem einer theologischen Voraussetzung
, anstatt sich in diesem Fragen zu öffnen für das, was
sich wirklich alles vollzieht, wenn wir beten.

Die Stärke B.s liegt sicher darin, daß das Gebet für ihn zu
einer Aussage über Gott (vgl. S. 25), ja zur Anerkennung Gottes
wird; seine Schwäche aber darin, daß der Aspekt des Gesprächs
m i t Gott und z u Gott zurücktreten muß. B. neigt dazu, einmal
sich ganz nach oben zu erheben, wenn er betont, das Gebet sei ein
Geschenk Gottes, eine Gnade, ein Angebot Gottes (S. 25,37); ein
anderes Mal ganz nach unten zu steigen, wenn er hervorhebt:,, wir
können nicht aus uns selber beten" (S. 32). Gibt es für ihn keinen
Ort in der Mitte, wo Gott und Mensch zusammentreffen und
beisammen sein können? Wo das Beten zum Glauben wird?
Wo das Christsein mit dem Beten identisch wird, wie Luther sagt
(vgl. S. 30)? Wo der Mensch Gott alles sagen kann, was er auf
seinem Herzen hat, „wie die lieben Kinder ihrem lieben Vater"
(Luther)? Wo der Mensch also auch mit Gott ringt wie Jakob am
Jabbok? Wo auch der Zweifel und der Unglaube zur Sprache kommen
darf?

Mit Calvin weist B. dagegen darauf hin, daß „wir in unseren
Gebeten all solche Fragen wie etwa ,Hört uns Gott?' ausschließen
müssen" (S. 36). Und wenn er (mit Calvin) fortfährt: „Es ist nicht
erlaubt, zu zweifeln, denn das versteht sich von selbst, daß wir
erhört werden. Schon vor dem Gebet muß man in der Haltung
eines Menschen sein, der erhört ist", dann wird deutlich, daß es
B. darauf ankommt, das Gebet gleichsam aus der Begegnungssituation
des Menschen mit Gott herauszunehmen und es auf seinen
Anfang zurückzuführen.

Der Anfang des Gebets heißt aber: Gott erhört Gebet. Das
ist für B. die wichtigste theologische Voraussetzung des Betens
(S. 25ff., 57,82). Natürlich kann er sich an diesem Punkt auf die
129. Frage des Heidelberger Katechismus, auf die christologische
Begründung des Gebets bei Calvin (vgl. vor allem in der Bitte:
Dein Reich komme S. 64,77,81) und auf Luthers Gedanken aus
dem großen Katechismus, daß das, worum wir bitten, „wohl ohn
unser Gebet geschieht", berufen.

Auf die enge Verzahnung von Gebet und Erhörung wird
zweifelsohne Wert zu legen sein. B. aber pointiert: „bevor wir beten
, sind wir schon erhört" (vgl. S. 57) und: „Gott hat uns schon

erhört, darum haben wir die Freiheit zu beten" (S. 82). Folgt man
B., droht dann nicht die Gefahr, daß die Notwendigkeit zu beten
nicht mehr deutlich gemacht werden kann? Differenzierter gefragt
: daß hinter die durch Christus eröffnete Freiheit zu beten (B.
sagt nicht: Möglichkeit!) die Nötigung und das Getriebensein zum
Gebet (das B. nicht völlig unberücksichtigt läßt, vgl. S. 37) zurücktreten
muß, so daß das Beten zur Anerkennung Gottes und von
da aus zur Erkenntnis Gottes wird und schließlich identisch wird
mit einem „Gehorsamsakt" (vgl. S. 34)?

Ist das Beten so gemeint? Oder ist es eher die theologische
Reflexion B.s, die das Gebet und im Gebet Gott theologisch sicherstellen
will? Wie sonst ist zu erklären, daß der Abstand zwischen
Beter und Gott so groß wird, so groß, daß man sich fragt,
wie es überhaupt noch zum Gebet kommen kann?

„Wie können wir die Kühnheit haben, uns Gott zu nähern?"
(S. 93).

Das Beten ist schwer geworden; aber nicht, weil es Mut
braucht, die Sprache des Unglaubens und des Zweifels vor Gott zu
gebrauchen, sondern weil der Mensch nicht glauben will, daß ihm
Gott schon nahe ist, weil er daran zweifelt, daß Gott ihn
schon erhört hat. So B.

Wird dann aber nicht der Glaube zur Vorbedingung des Gebets
, zu einer Vorleistung, die das Gebet dann fast überflüssig
macht? Und wird nicht das Problem des Sprechens und der Freiheit
zur Sprache umgangen? Anders gefragt: Will B. das Sprachproblem
gleichsam durch den Gehorsam des Glaubens, der die
Freiheit zu beten einschließt, lösen? Heißt seine These: Wer beten
kann, kann sprechen?

Im II. Teil seines Büchleins bringt er jedenfalls öfters Beispiele,
wie die Interpretation des Herrengebetes zum Beten und eigenen
Sprechen führt (S. 57ff., 97ff., 107, 109ff.). Besonders gut gelungen
scheint mir die Auslegung der letzten Bitte zu sein. Hier wird
deutlich, daß der Herausforderung zum Beten durch Gott die Bedrängnis
auf unserer Seite, der wir nur durchs Beten Herr werden
können, entspricht.

Gerade der II. Teil macht das Büchlein lesenswert im Hinblick
darauf, wie eine theologische Existenz zur Gebetsexistenz wird
und wie es aus dem Gebet heraus zu theologischer Erkenntnis
kommt. Besonders sei das hinsichtlich des Themas der „Menschlichkeit
Gottes" betont, auf das B. hier und schon vor seiner gleichnamigen
Schrift öfters zu sprechen kommt (S. 48ff).

Im ganzen wird sich dieses Büchlein daran zu bewähren haben,
ob es nicht nur eine theologische Untersuchung bleibt, die das Gebet
unseres Herrn verherrlicht, sondern dazu hilft, ihn selbst anzurufen
und zu ihm zu sprechen.

Schwäbisch Hall Friedrich Hertel

Amberg, Ernst-Heinz: Christologie und Dogmatik. Untersuchung
ihres Verhältnisses in der evangelischen Theologie der Gegenwart.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Göttingen: Vandenhoeck k Ruprecht
[1966]. 141 S. gr. 8°.

Die vorliegende Arbeit, die auf eine Leipziger Habilitationsschrift
vom Jahre 1960 zurückgeht, hat sich ein außerordentlich
wichtiges und, wie es scheint, immer aktueller werdendes Problem
vorgenommen, nämlich zu untersuchen, was es mit dem Begriff
der christologischen Dogmatik bzw. der Forderung,
daß alle dogmatische Arbeit „direkt oder indirekt" (Barth)
christologisch vorgehen müsse (ja alle Dogmatik im
Grunde Christologie sein müsse), eigentlich auf sich hat. Es handelt
sich dabei nicht darum, daß etwa die dogmatische Konzeption
von Althaus oder gar die von Schlatter Empfehlung bzw. Rehabilitierung
erfahren soll. Zu Konsequenzen dieser Art wie überhaupt
einem Konzipieren nicht-christologischer dogmatischer Aussagenkomplexe
stößt die Arbeit kaum vor, da sie sich in Bescheidenheit
und Selbstbeschränkung, dazu allem Tumultuarischem abhold
und zum Verstehenwollen des Barthschcn Modells fest entschlossen
, ganz auf die Klärung des Sinnes des Wortes .christologisch
' samt immanenter Kritik konzentriert. Aber es liegt
Sprengkraft hierin; und es zeigt sich wieder einmal, daß die Begriffe
am ungeklärtesten sein können, die eine Zeit am meisten
nennt.