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Ausgabe:

1966

Spalte:

893-904

Autor/Hrsg.:

Fohrer, Georg

Titel/Untertitel:

Altes Testament - ʺAmphiktyonieʺ und ʺBundʺ? 1966

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 12

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Altes Testament - »Amphiktyonie« und »Bund«?

Von Georg F o h r e r, Erlangen
Fortsetzung zu ThLZ 91, Sp. 801—816

III.

Aus den angeführten Gründen scheint es mir ratsam, die Am-
phiktyonie-Hypothese durch die Annahme zu ersetzen, daß das
Schema der zwölf Stämme Israels eine kurze volkstümliche Genealogie
darstellt, die während der Frühzeit in wechselnden Formen
entsprechend dem jeweiligen Bestand an Stämmen und unter
Anpassung der Wirklichkeit an die vorgegebene Zwölfzahl die
Gemeinschaft Israel konstituiert. Doch damit ist die gesamte
Problematik noch nicht behandelt. Denn in Verbindung mit der
Amphiktyonie-Hyporhese, aber auch unabhängig von ihr, wird
vielfach die Ansicht vertreten, daß das Verhältnis zwischen Jahwe
und Israel grundlegend und stets durch einen „Bund" (berit)
geformt worden sei. Insbesondere scheint der amphiktyonische
Bund der Stämme untereinander dem „Bund" zwischen Jahwe
und dem amphiktyonisch organisierten Israel zu entsprechen. Ist
aber die Amphiktyonie-Hypothese unwahrscheinlich, so legt sich
die Frage nahe, wie es um die Vorstellung vom „Bund" zwischen
Jahwe und Israel bestellt sein mag. Daher ist es nötig, dieser
Frage in der gebotenen Kürze nachzugehen. Es handelt sich im
Folgenden weder um eine umfassende Untersuchung des Inhalts
oder der wechselnden Inhalte der berit-Vorstellung noch um
eine Untersuchung der Bedeutung des Begriffs berit; sie ließe
sich auf wenigen Seiten keinesfalls vornehmen, wenn sich auch
aus den Erwägungen in IV. ergeben wird, daß die Übersetzung
mit „Bund" nicht sachgemäß ist und daher im Folgenden vermieden
wird. Außerdem muß zuvor die Frage geklärt sein, die hier
in erster Linie behandelt werden soll: die Frage nach dem geschichtlichen
Vorkommen der ben'/-VorstclIung. Wie bei derjenigen
nach der möglichen geschichtlichen Existenz einer israelitischen
Amphiktyonie geht es bei dieser Frage darum, Auftreten
und Rolle der faenf-Vorstcllung festzustellen. Wann, wo, mit
welchem Gewicht und welchem Einfluß auf den Gehalt des Jah-
weglaubcns hat sie bestanden?

Seit alters hat es nahegelegen, die berit-Vorstellung als
grundlegend zu betrachten. Das bezeugen schon die Bezeichnungen
Altes und Neues „Testament", d. h. alter und neuer „Bund"
im Blick auf den von Jahwe durch Mose mit Israel geschlossenen
alten und den in Jesus Christus gegebenen neuen „Bund" und
im Blick auf die heiligen Schriften, die davon handeln und also
die Bücher des alten und des neuen „Bundes" sind. Doch der weiteren
Entwicklung kann und soll an dieser Stelle nicht nachgegangen
werden. Wir stellen nur fest, daß sie immer wieder in
Bewegung geraten und bis in die Gegenwart hinein zu wechselnden
Auffassungen und neuen Hypothesen geführt hat. Über die
jüngste Phase hat D. J. McCarthy zusammenfassend und abwägend
berichtet''7.

Dem steht gegenüber, daß sich mehr als eine Stimme gegen
die Überschätzung der berit-Vorstellung erhoben hat. Für sie
alle mag das Ergebnis der umfangreichen Untersuchung von J. J.
P. Valeton jr. stehen: „1°. Vor der deuteronomisch-jeremiani-
schen Zeit kommt das Wort Berith in religiöser Anwendung nur
vereinzelt vor. Von den pentateuchischen Quellen gebraucht es
nur J, von den Propheten nur Hosea; außerdem steht es 1 Kön.
XIX 14. — 2°. Der eigentliche Gebrauch des Wortes in religiöser
Beziehung stammt aus der dcuteronomisch-jcremianischen Zeit.
Erwähnt wird da eine Berith mit den Vätern (eidliche Zusage
des Landes Kanaan); - eine bei dem Auszug aus Ägypten,
am Horeb und auf den Feldern Moabs geschlossene Berith,
deren Urkunde das Hilkianische (deuteronomische) Gesetzbuch
•st; eine Berith mit Levi und den Priestern (Deut. XXXIII 29,
Maleachi, Neh. XIII 29, in einer dem Jeremia unterschobenen

57) D. J. McCarthy, Covenant in the Old Testament: the Present
State of Inquiry, CBQ 27 (1965), S. 217-240.

Stelle Jer. XXXIII 20f. und in PC Num. XXV 12f.)i - eine
Berith mit David, welche sich in der Zukunft bewähren wird
(außer 2 Sam. XXIII 5, und in der obengenannten Jeremia unterschobenen
Stelle, nur in der Chronik und im Psalter). — 3°. Im
Großen und Ganzen ist Berith die stehende Benennung für ein
freundliches, der göttlichen len entsprossenes Verhältnis zwischen
Gott und dem betreffenden Menschen (Israel). Die Frage
nach dem geschichtlichen Ursprung desselben tritt dabei in den
Hintergrund. In einigen Stellen des B. Daniel wird die ganze jüdische
Religion ihrem Wesen nach mit diesem Namen bezeichnet
. — 4°. Die Berith offenbart sich einerseits in Verheißungen
und Zusagen Gottes, andererseits in gewissen den Menschen vorgeschriebenen
Verpflichtungen... — 5°. In PC ist das Wort
Berith ein theologischer Kunstausdruck . . . "58. Doch nicht nur
Valeton, dessen Beurteilung erneuter Überprüfung bedarf59, hat
die berit-Vorstellung kritisch eingeschätzt. Auch W. Eichrodt,
der sie als Grundlage seiner alttestamentlichen Theologie gewählt
hat, weist auf die Schwierigkeit hin, daß die „Bundcs"-
Vorstellung in der klassischen Prophetie bis zu Jeremia durchaus
in den Hintergrund rückt. Er löst sie durch die Annahme, daß bei
der kritischen Gesamteinstellung der Propheten zu dem geistigen
Besitz ihres Volkes ihnen der „Bundes"-Gedanke im Kampf gegen
alles opus operatum nicht helfen konnte und daß sie nur
durch den Hinweis auf die Rettung aus Ägypten, nicht aber auf
den Sinai-„Bund", die zuvorkommende Gnade Jahwes in deutlicheres
Licht setzen und die falsche Verkehrung seines Handelns
in eine pflichtgemäße Leistung des „Bundes"-Gottes abwehren
konnten"0. Ganz so einfach, wie man vielfach vorausgesetzt hat,
scheint der Sachverhalt sowohl bei den vordeuteronomischen Geschichtserzählern
als auch bei den vorexilischen großen Einzelpropheten
nicht zu sein.

So ist es verständlich, daß A. Jepsen eine andere Ansicht
geäußert hat: Während sich für die vorexilische Zeit nur wenige
Belege für eine göttliche berit finden, wird im deuteronomisti-
schen und priesterschriftlichen Geschichtswerk, bei den Propheten
des 6. Jh. und in meist späten Psalmen häufig davon gesprochen
. „Das bedeutet doch wohl, daß Berith ein Theologumenon
geworden ist, mit dessen Hilfe die Geschichte der Vergangenheit
und Zukunft gedeutet wird" und das eine „feierliche Zusage
Gottes" bedeutet"1. Erst recht findet C. F. Whitley keine Grundlage
für die Annahme, daß eine Sinai-ben/ die Einheit zwischen
den Stämmen Israels hergestellt oder daß die berit-Vorstellung
von den Kanaanäcrn übernommen worden sei, zumal die vorexilischen
Propheten die Beziehung Israels zu Jahwe nicht mittels
der berit, sondern durch die Bande natürlicher Verwandtschaft
hergestellt sehen. Darum muß man bezweifeln, ob es in vordeu-
teronomischer Zeit eine „Bundes"-Vorstellung gegeben hat.
Auch der Dekalog ist erst deuteronomischer Herkunft und vom
priesterlichen Redaktor in die Sinaitradition aufgenommen wor-

M) J. J. P. Valeton jr., Bedeutung und Stellung des Wortes n*lS
im Priestercodex, ZAW 12 (1892), S. 1—22; Das Wort P-"!! in den
jehovistischen und deuteronomischen Stücken des Hexateuchs, sowie in
den verwandten historischen Büchern, ebd. S. 224—260; Das Wort r*^2
bei den Propheten und in den Ketubim, Resultat, ebd. 1 3 (1893), S.
245—279. Noch schärfer und entschiedener R. Kraetzschmar, Die Bundesvorstellung
im Alten Testament in ihrer geschichtlichen Entwicklung,
1896.

5") So ist z. B. die Frage des Vorkommens beim Elohistcn neu zu
prüfen. Hosea erwähnt den religiösen „Bund" nicht, weil 6,7 sich auf den
Vertrag zwischen König und Volk bezieht und 8, 1—3 ein späteres Wort
ist.

l(>) W. Eichrodt, Theologie des Alten Testaments, I 19 59°, S. 19f.

"') A. Jepsen, Berith, ein Beitrag zur Theologie der Exilszeit, Verbannung
und Heimkehr, Rudolph-Festschrift, 1961, S. 161—179.