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Ausgabe:

1966

Spalte:

875-877

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kretzschmar, Gottfried

Titel/Untertitel:

Volkskirche im Umbruch 1966

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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TTieologisdic Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

876

lieh hat lösen können: wie verhalten sich Kirchengemeinschaft und
Abendmahlsgemeinsdiaft zueinander?

Luther nach seiner Stellung zum Verhältnis von Kirchen- und
Abendmahlsgemeinsdiaft zu befragen, ist bis zur Stunde nicht geschehen.

Das kann nur richtig und im Sinne Luthers gültig im Rahmen seiner
Gesamtintention erfolgen. Mit anderen Worten: es ist der ganze
Luther zu erforschen im Blick auf dieses Problem.

In den Vorfragen dieser Studie wird die Problematik im Verhältnis
von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft in der bisherigen Forschung
untersucht und dann die regula atque norma in der Theologie Luthers
aufgezeigt. Bei der Erforschung der Schriften Luthets ist der Verfasser
zu der überzeugenden Einsicht geführt worden, daß die Basis der Theologie
Luthers seine Theologie des Wortes Gottes bildet. Sie ist Ausgangspunkt
und Ansatz gerade für seine Ansicht über Kirche und Abendmahl
und somit auch für das Verhältnis von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft
. Erst im Verlauf der ganzen Abhandlung wird in zunehmendem
Maße klar, daß in der Tat das Wort Gottes für Luther das ,Haupt-
stück' seiner Theologie schlechthin ist. Auf dieser Grundflädie baut sich
gleichsam in Form einer Pyramide Luthers theologisches .Lehrgebäude'
auf.

Luther nach seiner Ansicht über das Verhältnis von Kirchen- und
Abendmahlsgemeinschaft zu fragen, heißt dann, ihn in dem ersten Teil
der Studie nach seinem Kirchenbegriff zu fragen (.Luthers Auffassung
von der Kirche als Gemeine der Heiligen'), der von der Bedeutung des
Wortes Gottes für seine Theologie getragen wird (,Die kirchenbildende
Kraft des Wortes'). Die verschiedenen Sichten der Ekklesiologie Luthers
sind zahlreich, aber nicht einheitlich. Im Blick auf die Kirchengemeinschaft
hat Luthers Ekklesiologie bisher kaum Beachtung gefunden. Das
Problem der .Lehre' wartete dabei ebenso auf eine nähere LIntersuchung,
wie der Begriff ,Leib Christi' für Luthers Ekklesiologie. Die nahezu Einseitigkeit
, mit der man die ,zwei Kirchen' bei Luther als .sichtbare und
unsichtbare' interpretierte (nicht aber als .wahre und falsche'), hinderte
bis heute ein der Theologie Luthers gemäßes Verstehen von ,De vera
unitate ecclesiae'. Dabei spielen die Grenzen der Kirchengemeinschaft bei
Luther eine bemerkenswerte Rolle. Im Blick auf das Sakrament des Altars
(zweiter Teil der Studie: .Abendmahl und Kirche in ihrer Beziehung aufeinander
') kreist letztlich alles um die Frage: stellt das Abendmahl Kirchengemeinschaft
her oder setzt es Kirchengemeinschaft voraus? Präziser
ausgedrückt: inkorporiert das Abendmahl in Christus und schließt
zum corpus Christi zusammen? Um das genau beurteilen zu können, wird
nach der Verbindung zwischen Inkarnation, Realpräsenz und Kirche gesucht
und auch die Bedeutung der Taufe für die Inkorporation in Christus
und die Kirdie erforscht. Erst danach ist es sinnvoll und möglich, in
ebendiesen Fragenkreis das Abendmahl mit einzubeziehen. Das letzte Kapitel
befaßt sich dann mit .Abendmahlsverweigerung und Abendmahlsverzicht
', Begriffe, die sich organisch aus Luthers eigenen Anweisungen
ergaben.

Der Vater der Studie ist Werner Eiert. Er fordorte den Verfasser,
seinen Schüler, auf, das Problem, dem er für die Alte Kirdie des Ostens
nachgegangen war, bei Luther zu untersuchen.

Dan t ine, Johannes: Die Prädestinationslehre bei Calvin und Beza.
Diss. Göttingen 1965. XIV, 261 S.

Die radikale Kritik der philosophischen Umklammerung der Theologie
durch die dialektische Theologie hat auch zu einer Neuinterpretation
der calvinischen Prädestinationslehre geführt (Karl und Peter Barth,
W. Niesei, H. Otten, E. Brunner, P. Jacobs, H. E. Weber, W. A. Haudc).
Die soteriologische Basis dieser Lehre wurde freigelegt und das deter-
ministisdie Mißverständnis der Prädestination der calvinischen Orthodoxie
, insbesondere ihrem ersten Vertreter, Theodor Beza angelastet.

Die vorliegende Arbeit überprüft nun diese These, indem sie die
Entwicklung dieser Lehre von den ersten Äußerungen in Calvins Insti-
tutio 1536 bis zu ihrer letzten Gestaltung bei Theodor Beza (1582 veröffentlicht
) untersucht. Es ist bekannt, daß Calvin durch weitere Beschäftigung
mit der Schrift und durch die antierasmianische Kontroverse
sich gezwungen sah, seine ursprünglich rein „soteriologisdien" Prädestinationsaussagen
„theologisch" zu untermauern, sie also ins Grundsätzliche
durchzuziehen. Er blieb sich dabei bewußt, in gefährlidie Nähe zu
deterministischer Spekulation zu geraten und suchte unbedingt solche
Konsequenzen zu vermeiden. So bewahrte er auch die Freiheit, sich
immer wieder auf rein soteriologische Aussagen zurückzuziehen.

Diese Freiheit verlor sich bei Beza. Er versuchte die Aporien einer
„theologischen" Prädestinationslehre (Gottes Vorherbestimmung und
menschliche Verantwortlichkeit, Ungerechtigkeit Gottes, Gott als Urheber
der Sünde usw.) zu lösen mit der zum systematischen Prinzip erhobenen
Unterscheidung von Gottes ewigem Vorsatz und dessen Ausführung
, in der Gott seinen Willen durchsetzt durch Zweitursachen, die
in relativer Eigenverantwortung handeln und unter die er Christus
ebenso reiht wie den Menschen mit seiner Sünde, seinem Glauben und
seinen Werken. Daraus ergibt sich ihm ein umfassendes, von der Prädestinationslehre
her entwickeltes System der Theologie, erstmals dargestellt

im bekannten Schema der „Summa totius theologiae" 1 555. Die Folge
ist nun, daß einerseits Christus zur Zwischenursache abgewertet wird
und die biblische Aussage von der Erwählung in Christus ihre grundsätzliche
Bedeutung verliert, anderseits der einzelne Mensch aufgewertet
wird. Da die Kausalreihe der Ausführung im Glauben und in der Heiligung
zum vorläufigen Ziel kommt, kann der Mensch sich seiner Erwählung
vergewissern durch den Schluß von der Wirkung auf die Ursache
und in seinem Glauben bzw. seinen Werken (Sylogismus practicus)
sein Erwähltsein bewiesen finden.

Beide Folgen des bezaschen Systems sind bei Calvin angelegt, was
vor allem K. Barth in Bezug auf die Christologie nachweist. Es stellt sich
aber nun die Frage, ob wirklidi nur die spekulative Ausweitung der
Prädestinationslehre die beiden Folgen hervorruft, oder aber, ob vielmehr
umgekehrt die Fehlentwicklung der Prädestinationslehre provoziert
wurde durch sonst verdeckte Fehlansätze in der Christologie und im Verständnis
der menschlichen Aktivität, insbesondete im Glaubensverständnis
. Daß solches tatsächlich zutrifft, und zwar als Folge einer nicht vollständigen
Überwindung der Scholastik und des erasmianisdien Humanismus
, sucht diese Arbeit nachzuweisen. Es zeigt sich nämlich, daß die
Christologie „soteriologisdi enggeführt", d. h. Christus auf seine Funktion
reduziert ist, anderseits die Reste eines Verständnisses, das Glauben
als menschliche Tugend sieht, anscheinend nur mit einer deterministisch
gefährdeten Prädestinationslehre gebannt werden können.

Von dieser Analyse her stellt sich jeder Prädestinationslehre die
Aufgabe, radikal christozentrisdi entfaltet zu werden. Außerdem muß sie
mit einem Glaubensbegriff arbeiten, der frei ist von jedem virtus-Ver-
ständnis. Hinsichtlich letzterem vor allem ist aber nun zu fragen, ob
überhaupt eine der Rechtfertigungslehre vorgeordnete Prädestinationslehre
den biblischen Erwählungsaussagen voll gerecht werden kann und
ob nidit die genannten Schwierigkeiten erst dann entscheidend gebannt
sind, wenn die Rechtfertigung als Mitte und Grenze auch der Prädestinationsichre
ernst genommen wird.

Kretzschmar, Gottfried: Volkskirche im Umbruch. Kirchliche
Lebensäußerungen in drei Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsens. Eine praktisch-theologische Arbeit auf kirdige-
meindesoziologisdier Grundlage. Habilitationsschrift Leipzig 1965.
204 S., IX S. Anmerkungen.

Die Arbeit untersucht kirchliche Lebensäußerungen in drei Gemeinden
der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, wie sie auf Grund statistischer
Angaben und teilweiser Befragungen gewonnen werden konnten.

Nadi einer kurzen Einleitung werden zunächst „Sinn und Methode
der Untersuchung" herausgearbeitet. Sodann folgen Ausführungen zu so
grundsätzlichen Themen wie „Kirche und soziologische Forschung",
„Wesen und Gestalt der Kirchgemeinde", „Großstädtische und ländliche
Kirchlichkeit" und „Die Kirdie in der volksdemokratischen Ordnung
der DDR".

Die empirische Untersuchung beginnt mit einer historisch-soziologischen
Darstellung der Kirchgemeinden A (Großstadt), B (Kleinstadt mit
acht zu betreuenden Dörfern) und C (hervorragendes erzgebirgisdies
Dorf). Danach werden die jeweiligen Kirdienvorstände in ihrer Altersund
Sozialstruktur analysiert.

Der erste Themenkreis kirchlicher Lebensäußerungen umschließt den
Gottesdienstbesuch bei Erwachsenen und Kindern samt der damit eng
verbundenen Kirchenchorarbeit. Wie sehr gerade diese Manifestation der
Zugehörigkeit des einzelnen zur Gemeinde im landeskirdilidicn Protestantismus
daniederliegt, wird vor allem in den Gemeinden A und B
deutlich.

Danach werden die Amtshandlungen (Taufe, Konfirmation, Trauung
und Bestattung) nach ihrem statistischen Befund dargestellt und soziologisch
interpretiert. Gerade ihr rapider zahlenmäßiger Rückgang macht
deutlich, in weldi tiefgreifender Wandlung sich die Gemeinden befinden.
Die Zeiten, in denen sich die Kirdie ihrer offenkundigen Llnentbehrlich-
keit wegen dieser Kasualien erfreute, scheinen jedenfalls vorbei zu sein.

Den Absdiluß der Untersuchung bilden die Gemeindekreise: Bibelstunde
, Männervverk, Frauendienst und Junge Gemeinde. An diesen
„gemeinschaftlichen Lebensformen" nehmen die Gemeindemitgieder in
sehr unterschiedlicher Zahl teil. In der Regel reichen sie nicht weit in die
Ortsgemeinde hinein. Eine Ausnahme macht in den drei Gemeinden vor
allem der Frauendienst.

Der letzte Abschnitt der Arbeit bietet eine „Zusammenfassung und
kritisdie Beurteilung". Er macht deutlich, daß die einstige Volkskirche, in
der Kirche und Volk fest zugeordnet waren, immer mehr im Umbruch
begriffen ist. Ohne die gestaltenden und bewahrenden Kräfte dieser im
Laufe einer langen Geschichte herausgebildeten Erscheinungsform abzuwerten
, muß der Blick freigehalten werden für eine Kirche der Zukunft,
die in einer „Freiwilligkeitskirche" gesehen wird, allerdings nicht in der
Form eines vereinsmäßigen Zusammenschlusses, sondern als oekumenisch
gesinnte, vom Amte her auferbaute Gliedsdiaft am Leibe Christi.

Obwohl das Bild dieser empirischen Kirche, wie es am Ende dieses
gewaltigen Prozesses erscheinen wird, nodi nidit in allen Einzelzügcn