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Ausgabe:

1966

Spalte:

857-858

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Braun, Dietrich

Titel/Untertitel:

Der sterbliche Gott oder Leviathan gegen Behemoth 1966

Rezensent:

Jüngel, Eberhard

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857

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

858

Braun, Dietrich: Der sterbliche Gott oder Leviathan gegen Behemoth.

Teil L Erwägungen zu Ort, Bedeutung und Funktion der Lehre von
der Königsherrschaft Christi in Thomas Hobbes' „Leviathan". Zürich:
EVZ-Verlag [1963]. XII, 261 S. gr. 8° = Basler Studien zur historischen
u. systematischen Theologie, Bd. 2. Lw. DM 25.—.

Das Buch liest sich schwer. Schon Stil, Gedankenführung und
Gliederung sind anspruchsvoll. Was zur Sprache kommt, ist es
erst recht.

Die ebenso subtil-gelehrte wie politisch-aktuelle Basler
Dissertation wurde angeregt durch die Frage nach der theologischen
Begründung des Widerstandsrechtes. Die radikalste Form
der Bestreitung einer im „Gehorsam gegen ein besonderes
regnum Christi innerhalb des regnum civitatis" (S. V) begründeten
Möglichkeit des Rechtes zum Widerstand untersucht der
Vf., indem er die Staatsphilosophie des englischen Philosophen
Thomas Hobbes analysiert. Der vorgelegte erste Teil
dieser Untersuchung fragt in systematischer Absicht nach der Beziehung
zwischen Weltreich und Gottesreich im Rahmen der
Hobbes'schen Staatstheorie, um so dem Hauptwerk des Philosophen
, dem „Leviathan", als einem politisch-theologischen
Traktat gerecht zu werden, und zwar „anders und entschiedener",
als der Vf. es „innerhalb der Hobbes-Forschung wahrzunehmen
vermochte" (S. VI). Es geht also um die Analyse des philosophischen
Kampfes gegen die Existenz einer staatsunabhängigen
Kirche. Das „Reich des (natürlichen) Lichtes" kämpft gegen das
„Reich der Finsternis".

Die Arbeit führt mit viel Geschick in Grundaspekte der
Denkformen des Philosophen ein und arbeitet dabei die Leitfrage
nach dem Ort der Lehre von der Königsherrschaft Christi im
Hobbes'schen System aus. Die Logik, Erkenntnistheorie, Physik,
Psychologie und Ethik ontologisch neu konstituierende, der alten
Gottesmetaphysik entgegengesetzte „Metaphysik von unten"
wird vom Vf. in verschiedenen Anläufen einsichtig gemacht.
Scharfsinnig wird gezeigt, wie der die Welt entgeisternde Mechanismus
alles Seienden sich entwirft als Mystik von Destruktion
und Wiederaufbau „der bis auf die Elemente destruierten, alten
Welt im Nachvollzuge ihrer Genesis durch die schöpferische Kraft
des Denkens" (S. 54). Das die „neue Welt" bestimmende Prinzip
der Bewegung (deren Definition als stete Ortsveränderung die
aristotelische Bewegungsanalyse nur einseitig aufnimmt) wird in
der Theorie des Conatus zu einer Sein und Denken umgreifenden
metaphysischen Instanz, die auch die Anthropologie als eine
„Abart der Physik" (S. 76) erscheinen läßt. Einzig in der Fähigkeit
zur Sprache liegt die den Menschen gegenüber aller anderen
„Kreatur" auszeichnende Differenz, die den „Schlüssel zum Geheimnis
seiner schöpferischen Macht" (S. 8 5) enthält. Des Wortes
mächtig ruft der Mensch durch Verwandlung der (aus
Furcht vor fremder Macht sich immer fürchterlicher potenzierenden
) Macht der vielen Einzelnen die Staatsgewalt als
einen sterblichen Gott ins Leben. Der Staat als durch Bewegung
konstituierter künstlicher Körper schließt eine nicht durch das
lumen rationale begründbare Königsherrschaft Christi folgerichtig
aus. Stattdessen aber kann mit Hilfe einer der Bewegungsmechanik
entsprechenden hermeneutischen analogia a c t i o n i s
ein Königtum Gottes konstruiert werden, ein Reich Gottes von
Natur aus, das dem durch Vernunft erschaffenen Staat vorausgesetzt
wird, um ihn durch Gottes (mit dem Diktat der Vernunft
identisches) Befehlswort legitimiert sein zu lassen.

Und dennoch: der Eintritt in die wirkliche Geschichte
verwehrt dem Philosophen die Vergötzung seiner
Staatsperson und nötigt ihn zum „Zugeständnis einer neuen Anschauung
von Gott, eines .Reiches Gottes durch Vertrag'"
(S. 110). Das Zugeständnis wird jedoch zur schärfsten Waffe
gegen die große Störung einer der Staatsgewalt nicht unterworfenen
, sondern auf Offenbarung sich berufenden Kirche, insofern
im Gestell dieser Zwei-Reiche-Lehre das „prophetical
kingdom" als die mythologische Vollgestalt des in Analogie zum
irdischen Staat dargestellten „natural kingdom" behauptet und
dieses Gestell selbst zur materialen Ausgangsbasis aller Schriftauslegung
gemacht wurde (cf. S. 111). Damit hat der Philosoph
das Fundament der Gegner nicht etwa zerstört, wohl aber so
okkupiert, daß es zum inconeussum fundamentum unitatis der

beiden Reiche wird, mit dem Ziel, daß die acclamatio
civitatis und die acclamatio Christi von den Staatsbürgern
in einem Akt vollzogen werden kann. Weigerung wäre
Hochverrat und Häresie in einem. Der Philosoph hat an alles
gedacht.

Nach dieser Ortsbestimmung setzt der Vf. noch einmal ein,
um den Leser durch „Erwägungen zur Bedeutung der Lehre von
der Königsherrschaft Christi im Horizont des Kampfes zwischen
beiden Reichen" (S. 116) in die Welt des „Leviathan" einzuführen
. Das stellt sich als ein Aufriß vom System des Hobbes'schen
Staatsrechtes dar — aufregend zu lesen, schwer zu referieren,
wurde doch damals das Heute konstruiert (cf. z. B. S. 162—169).
„Power after power" heißt das den Staat in seiner Genesis,
Struktur, Funktion und Dauer bestimmende Prinzip, das den
totalen Staat als Inbegriff der wahren natürlichen Religion existieren
läßt. Die mythologisch-gnostische (mit der bewußt
mythologischen Form nicht zu verwechselnde) Komponente dieser
Staatstheorie im Namen der Vernunft wird vom Vf. prägnant
herausgearbeitet und läßt den Ansatz der Kritik ahnen, die das
Wesen Leviathans zu deuten hätte, aber vom Vf. als das
„jenseits dieser Studie" liegende Ziel ausgespart worden ist
(cf. S. 254). Nun, vorerst ist der zweite Teil der Untersuchung
zu erwarten, der über „Infragestellung und Bewährung Leviathans
in der Begegnung mit bestimmten, ihm aus der konkreten, wirklichen
Geschichte heraus widerstehenden, gegnerischen Geistesmächten
" unterrichten und nach der Bedeutung der durch Hobbes
ausgelegten Lehre vom regnum Christi als dem Eckpfeiler des
Leviathan widerfahrenden Widerstandes fragen soll (cf. S. 114 f.
mit S. VI f. und S. 193 f.). Man wird sich auch von diesem noch
ausstehenden Teil des beachtlichen Werkes gern strapazieren
lassen.

Zürich Eberhard Jüngel

A 1 b r e c h t, Paul: Die Entwicklung einer ökumenischen Sozialethik
(Die Kirche als Faktor einer kommenden Weltgemeinschaft. Hrsg.
vom Ökumenischen Rat der Kirchen. Stuttgart: Kreuz-Verlag 1966
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Bainton, Roland: Wahrheit, Freiheit und Toleranz in der Sicht der
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Bertalot, R.: L'etica del dialogo (Protestantesimo XXI, 1966 S.
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Bö ekle, Franz: Friede und moderner Krieg (Concilium 2, 1966 S.
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Heyl, Cornelius-Adalbert von: Bericht über die Weltkonferenz für

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