Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

849-850

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Lübbe, Hermann

Titel/Untertitel:

Säkularisierung 1966

Rezensent:

Mann, Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

849

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

850

S pener, Philipp Jakob: Der neue Mensch. In leicht lesbarer Sprache
hrsg. v. H.-G. Feller. Mit Bild des jungen Spener. Stuttgart: Steinkopf
[1966]. 342 S., 1 Porträt, kl. 8°. = Steinkopfs Hausbücherei.
Pp. DM 6.80.

Stange, Erich: Ein Erzbiscbof fuhr durch die Lande (Erinnerungen
an Nathan Söderblom) (PB1 106, 1966 S. 321—326).

Stella, Pietro: ltinerari portorealistici. Jacques-Joseph Duguet
(1649—1733) e le sue fortune in Italia (Salesianum XXVII, 1965 S.
629—665).

Tüchle, Hermann: Barock als Wurzel des Triumphalismus in der

Kirche (Concilium 1, 1965 S. 606—610).
Volk, Ludwig: Fuldaer Bischofskonferenz 1937—1945 (StZ 178, 91.

Jg. 1966 S. 241—267).
Willeke, Venantius: Die erste Franziskancrkustodie Brasiliens

(1584—1657) (FS 48, 1966 S. 150-160).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Lübbe, Hermann: Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen
Begriffs. Freiburg München: Alber [1965]. 136 S. 8°. Kart. DM 13.50.

Die theologische Diskussion über den Themenkreis, der bezeichnet
werden kann durch Chiffren wie „mündige Welt", „nichtreligiöse
Interpretation biblischer Begriffe" und „Ende der Religion
", setzt voraus eine genaue Besinnung über Herkunft und
Bedeutung des zentralen Begriffs der Säkularisierung. Das vorliegende
Buch kann dazu verhelfen; es vermittelt in knapper Form
eine gründliche Unterrichtung über Herkunft und Bedeutungswandel
dieses heute so aktuellen Ausdrucks.

Nach einem einleitenden Überblick über die Bedeutung und
die Theorie der Begriffsgeschichtc überhaupt, stellt der Verfasser
zunächst die historisch-politische und rechtliche Bedeutung von
„Säkularisierung" dar. Der Begriff hat zunädist einen Doppelcharakter
. Er kann einen von der Kirche als Unrecht angesehenen Zugriff
des Staates auf geistliche Güter bezeichnen, ebenso aber auch
einen von der Kirche freiwillig vollzogenen Verzicht, durch den
die Kirche bisherige Rechte oder Ansprüche freigibt. Im 19. Jahrhundert
bekommt dann der Begriff der Säkularisierung seinen Charakter
als Parole des Fortschritts; bezeichnenderweise übrigens
nicht bei Marx: denn an der Religion gibt es überhaupt nichts zu
„säkularisieren", sie ist lediglich durch Änderungen der wirtschaftlichen
Verhältnisse zu überwinden.

Eine große Bedeutung gewinnt der Begriff jedoch bei den positivistischen
und freidenkerischen Kreisen in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts. Gerade hier zeigt sich die alte Ambivalenz,
die dem Begriff von seiner Herkunft her eignet. Einerseits meint
man damit eine immer weiter zu treibende Einschränkung kirchlicher
Vorrechte, andererseits jedoch kann sich der Säkularisationsbegriff
empfehlen, um der Kirche zu ihrem eigentlichen geistlichen
Auftrag zu verhelfen; beide Tendenzen finden sich in den genannten
Bereichen immer wieder.

Bei Max Weber wird Säkularisation dann zu einem wissenschaftlichen
Begriff erhoben, der (wertneutral) zur soziologischen
Analyse allgemeiner Entwicklungen dient. Ernst Troeltsch wertet
diese Kategorie Webers dann wiederum theologisch positiv, da sie
entsprechend der liberalistischen Grundauffassung von Kultur und
Religion eine zu fördernde Entwicklungstendenz ausdrückt.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zeigt eine kirchliche Reaktion
, in der nicht wenige Theologen der Säkularisation die
Schuld an der Krise der modernen Kultur gaben und zu einer Ent-
säkularisierung riefen. Dasselbe wiederholte sich dann nach dem
Ausgang des Zweiten Weltkrieges. Dagegen stellt sich jedoch
sdion die frühe dialektische Theologie auf den anderen Standpunkt
: Säkularisation und Entsäkularisation sind theologisch gleichermaßen
irrelevant. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es dann vor
allem Friedrich Gogartcn, der, sich gegen mancherlei neu-abendländische
Widerstände wendend, die Säkularisierung als theologisch
legitime Folge des paulinischen Evangeliums kennzeichnet.
Wichtig ist dabei Gogartens Unterscheidung zwischen dieser legitimen
Säkularisierung und ihrer Entartungserscheinung, dem Säkularismus
.

So führt das Buch anhand der Begriffsgeschichte von den Anfängen
bis in die gegenwärtige theologische und kulturphilosophische
Diskussion hinein. Eine Fülle von Quellenverweisen ermöglicht
die wissenschaftliche Auswertung der knappen und übersichtlichen
Darstellung. Wer immer sich über das Problem der Säkularisierung
zu orientieren oder zu äußern gedenkt, sollte Hermann
Lübbes instruktive und vollständige Analyse zu Hilfe nehmen.

Zu wünschen wäre lediglich, daß in einer neuen Auflage der
Anteil Bonhoeffers an der theologischen Aufwertung der Säkularisierung
deutlicher herausgestellt werde.

Saarbrücken Ulrich Man n

Schmaus, Michael, u. Alois G r i I I m c i c r, [Hrsg.]: Handbuch
der Dogmengeschichte. Band III: Christologie. Soteriologie. Mario-
logie. Reich Gottes und Kirche. Faszikel Ia: Christologie. Von
der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451). Von
Jacques Liebaert. Mit einer biblisch-christologischen Einleitung von
P. Lamarche SJ. Freiburg — Basel — Wien: Herder 1965. VII,
127 S. 4».

Mit dem ersten Teilband der Christologie hat das Handbuch
der Dogmengeschichte nun auch das Thema in Angriff genommen,
dem in der Entfaltung der christlichen Lehre eine besondere Bedeutung
zukommt. Liebaert bringt die Lehrentwicklung bis zum
Konzil von Chalcedon. Eine biblisch-christologische Einleitung, die
in der Gesamtinhaltsübersicht (1963) noch nicht angeküdigt war,
wird vorausgeschickt. Da diese einen anderen Verfasser hat (Lamarche
), erfolgt die Entwicklung der christologischen Fragestellung
und Glaubenseinsicht nicht — wie etwa Scheffczyks Behandlung
der Lehre von der Schöpfung und Vorsehung (Bd. II, Fasz. 2a) —
vom Schriftzeugnis her. Liebaert beginnt seine Darlegungen mit
dem Satz: „Die eigentlich christologischen Streitigkeiten werden
erst im Laufe des 4. Jahrhunderts eröffnet" (S. 17).

Mit dieser Feststellung will er die davorliegende Zeit natürlich
nicht einfach als bedeutungslos übergehen — er setzt dann im
ersten Paragraphen ja auch mit der Behandlung des christologischen
Problems im 2. Jahrhundert (S. 19ff.) ein —, aber er gewinnt so
damit die ihm wichtig erscheinenden Gesichtpunkte und Fragestellungen
, die den Gesamtentwurf bestimmen. So bekommt der erste,
weitaus umfangreichste Teil (S. 17—102) die Überschrift: Die zwei
Naturen Christi, und der zweite hat als Thema: Die Einheit der
zwei Naturen in Christus (S. 103—127).

Das christologische Dogma von den zwei Naturen in der
einen Person Christi wird damit zum Orientierungspunkt, der
auch rückwirkend als kritischer Maßstab dient. Liebaert stellt
gleich im zweiten Satz fest; Schon seit den Anfängen der Geschichte
der Theologie haben die meisten Häresien oder dokrrina-
len Streitgespräche, die wir kennen, sei es die Gottheit, sei es die
Menschheit Christi, mehr oder weniger direkt in Frage gestellt
(vgl. S. 17). So sieht er im judenchristlich beeinflußten Ebioni-
tismus — Christus als privilegierter Mensch — eine Verwerfung der
Transzendenz seiner Person (vgl. S. 20ff.), während der gnostisch
bestimmte Doketismus zugunsten der Transzendenz Christi sein
wirkliches Menschsein aus den Augen verliert (S. 23ff.). Die Apologeten
des 2. Jahrhunderts würdigt L. als diejenigen, die den Glauben
an Jesus Christus als „unser Heil und unser Leben" gegen den
Judaismus und die Gnosis verteidigt und den Heiden ihrer Zeit
dargestellt haben (S. 27ff.).

Als eine unter veränderten Verhältnissen — die Kämpfe der
ersten Generation haben mit der Anerkennung von Schrift und
Tradition die Grundlagen des Glaubens herausgestellt (S. 3 5) —
analoge Auseinandersetzung stellt er die Positionen des Adoptia-
niimuc und des Modalismus am Anfang des 3. Jahrhunderts in
Rom einander gegenüber (S. 36ff.). Im positiven Sinne klärend
hat für den Westen neben Cyprian vor allem der lateinisch schreibende
Tertullian gewirkt, während im Osten Männer wie Klemens
von Alexandrien (bei dem der Platz der Menschheit Christi allerdings
sehr verengt ist — S. 47) und Origenes (Liebaert spricht von
einem „plafonisierenden Rahmen", dem sich die Lehre vom
fleischgewordenen Logos bei Origines einfügt — S. 48) das theologische
Denken weithin bestimmt haben.

Aber auch die Auseinandersetzungen mit und um Arius bezeichnet
Liebaert als eine „große Wiederholung der Problemstellung
" (S. 59ff.). „Im 4. Jahrhundert sollten die grundlegenden
Glaubenswahrheiten erneut, diesmal jedoch in weit größerem