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Ausgabe:

1966

Spalte:

842-844

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Calvin, Jean

Titel/Untertitel:

Sermons sur le livre d'Esaïe 1966

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

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General der Augustinercremiten von seiner Ordcnstheologie her
der genannten Thematik von vornherein besonders aufgeschlossen
gegenüberstand und durch den Auftrag Papst Pauls III., die Werke
der Reformatoren eingehend zu studieren, zur Auseinandersetzung
und theologischen Arbeit an diesem Punkte geradezu genötigt
wurde. Da Seripando bei der Diskussion um die Formulierung des
Trienter Rechtfertigungsdekrets eine gewichtige Rolle gespielt hat,
Kann das Studium seiner Theologie wesentliche Aufschlüsse zur
Interpretation dieses Dekrets bieten. Die Arbeit Forsters ist äußerlich
ausgezeichnet durch die Benutzung ungedruckter Quellen,
insbesondere des (unvollendeten) Traktats „De iustitia etlibertate
ehristiana", der einen stilisierten Dialog zwischen einem lutherischen
Theologen und einem Verteidiger der katholischen Lehre
darstellt.

Außer einer Einleitung (7—9) und einer abschließenden Zusammenfassung
(152—1 54) enthält das Buch vier Kapitel: L Das Gesetz (11—56),
B. Das Neue Gesetz und Christus, der Gesetzgeber (57—95), III. Die
Erfüllung des Neuen Gesetzes durch den Christen (96—123), IV. Die
christliche Freiheit (124—151). Obwohl der Vf. betont, daß eine systematisch
-geschlossene Darstellung der Position Seripandos unmöglich sei,
da dieser nur sehr unterschiedliche, ja mitunter disparate Einzelelemente
bereitgestellt habe (152), treten die Grundzüge in den Ausführungen des
Vff, gut heraus. Das Gesetz, so wie Paulus es sieht und wie es das Kennzeichen
des tempus legis vor Christus ist, hat als eigentliches Amt. den
Menschen seiner Sünde zu überführen, freilich mit dem Ziel des Heils. Es
ist die konkret-damalige Form des ewigen Willens Gottes. Mit den Heils-
verheißungen ist es zwar nicht identisch, steht ihnen aber auch nicht entSegen
. Christus bringt das Neue Gesetz des Geistes und der Liebe und
kann deshalb nicht ohne nähere Spezifizierung als zweiter Gesetzgeber
neben Mose bezeichnet werden. Immerhin schließt sowohl die Verheißung
des Evangeliums als auch das Neue Gesetz selbst die Erfüllung der Gebote
notwendig mit ein. Diese Erfüllung ist zur Seligkeit notwendig; andererseits
ist sie in diesem Leben nie voll möglich — hier liegt der Ansatz zur
Lehre Seripandos von der doppelten Gerechtigkeit. Dennoch handelt es
sidi bei Gesetz und Evangelium letztlich um ein Wort Gottes in zwei
versdiiedenen Formen: „Der Gegensatz zwischen Gebot und Verheißung
wird aufgehoben in der Erfüllung der Verheißung; denn diese Erfüllung
bedeutet auch und nicht zuletzt Erfüllung des Gebotes" (119). In der Erfüllung
der Gebote (in Hoffnung und Liebe neben dem Glauben) bewährt
sich die Freiheit des Christen als Freiheit von der Sünde. Die Erfüllung
ist Gnadengeschenk Gottes und hat nur als soldies Verdienstcharaktcr
für das ewige Leben.

Das augustinischc Erbe kommt bei Seripando im heilsgcschichtlichcn
Ansatz besonders des Gesetzesverständnisses zum Tragen (13). Bei der
Bestimmung des „Neuen Gesetzes" wird von Seripando die theologische
Höhe des Thomas von Aquin, der das Neue Gesetz primär und cigentlidi
mit der Gnade gleichsetzte und dadurch die radikale Andersartigkeit und
Neuheit im Sinne des Paulus zum Ausdruck brachte, nicht erreicht: Es
bleibt das Nebeneinander von Gnade und Gebot bestehen (74 ff.). Die
Aussage über die Erfüllung des Gesetzes durch die Gnade bleibt für
Seripando letztlich unausgeglichen neben der Erkenntnis von der Un-
erfüllbarkeit des Gesetzes und der These von der doppelten Gerechtigkeit
stehen (vgl. 152). Seripandos Bedenken gegen Canon 21 des Tridcn-
tinischen Dcktcts (Christus als Gesetzgeber) sowie seine Aussage von
der Unerfüllbarkeit des Gesetzes konnten, wie der Vf. meint, von den
Vätern des Konzils schon deshalb nicht angenommen werden, weil Seripando
sein Anliegen, im „freibleibenden Raum zwischen erfüllter Forderung
und intendierter Erfüllung" des Gesetzes die göttliche Barmherzigkeit
ins Spiel zu bringen, nicht klar genug zum Ausdruck gebracht
hat (108 f.).

Von besonderem Interesse für den evangelischen Leser ist der
häufige Bezug auf Luther. Leider wird Luthers Ansicht nie aus den
Quellen erhoben, sondern entweder der Darstellung Seripandos
oder derjenigen moderner evangelischer Autoren (z. B. W. Jocst)
entnommen. Dabei kommt es zu einigen Verzerrungen: so, wenn
für Luther angeblich jede „.äußere' Handlung heilsunerheblich"
bleiben muß (130), weil alles „Äußere" bei ihm von vornherein
einen negativen Akzent habe (demgegenüber braucht nur etwa auf
Luthers Sakramentenlchre hingewiesen zu werden), oder wenn das
. simul iustus et peccator" von Luther her angeblich nur im Sinne
von „totus iustus — totus peccator" interpretiert werden kann
(121) (man vgl. dagegen nur die beiden Aussagcreihcn, die
W. Joest in „Gesetz und Freiheit" für Luther herausarbeitet), oder
wenn einfach als Luthers Meinung hingestellt wird „Der Christ
bedarf keines Gesetzes" (132) (dagegen sei nur auf das erste
Hauptstück im Kleinen Katechismus verwiesen). In der komplexen

Theologie des originalen Luther hat — im Linterschied zu manchen
Vereinseitigungen in der späteren lutherischen Theologie —
durchaus auch eine positive Wertung des Gesetzes Gottes und die
Liebe zur Erfüllung des Willens Gottes (Ps. 119!) ihren Platz. In
der grundlegenden Frage jedoch — Verheißung und Heil mit oder
ohne Bedingung der Gesetzeserfüllung — wird der Gegensatz zwischen
Luther und der Sicht des Tridentinums, auf dessen Seite
trotz allem auch Seripando steht, vom Vf. richtig herausgearbeitet
und sogar zugegeben, daß Seripando Luther mit seiner grundlegenden
Unterscheidung von praeeepta und promissa im letzten
gar nicht verstanden hatt (88, vgl. 136). Die Frage, ob Luther hier
die Schrift gegen oder für sich hat (119), ist eine ernste Frage, die
bis heute zwischen den Konfessionen steht. Nach Meinung des
Rez. wird man hier in Richtung auf einen umfassenden Glaubensakt
, der Hoffnung und Liebe in sich einschließt und det ein Annehmen
der Gnade Gottes und eine gcsamtpersonalc Hinwendung
zu Gott in einem ist, weiterzudenken haben und wird im übrigen
noch stärker die Hinweise von E. Schlink u. a. auf die Verschiedenheit
der jeweiligen Aussagestruktur und die darin gegebene
hermeneu'tische Frage zu beachten haben.

Das Buch von Forster ist leider in seiner Lesbarkeit beeinträchtigt
durch eine mangelnde Straffheit der Gedankcnführung
im einzelnen. Diese zeigt sich u. a. in der häufig unvermittelten
Heranziehung von Aussagen aus der gegenwärtigen Theologie
(Rahncr, Söhngen), sie zeigt sich ebenso dort, wo — besonders im
letzten Kapitel — den einzelnen Abschnitten nur mit Mühe der in
der jeweiligen Überschrift angedeutete spezifische Inhalt zu entnehmen
ist. Das mag freilich auch an der behandelten Materie
liegen, die aber durch geschicktere Darstellung, häufigere Zusammenfassungen
, Vor- und Rückblicke noch eindringlicher hätte
zum Sprechen gebracht werden können. Dennoch sind wir dem Vf.
dankbar, daß er auf Seripando erneut hingewiesen und neues
Material zum Verständnis des Tridentinischcn Rechtfertigungsdekrets
bereitgestellt hat.

Leipzig Ulridi Kühn

Calvin, Jean: Sermons sur le Livre d'Esai'c. Chapitres 13—29, publ.
par G. A. B a r r o i s. Lfg. 8—9. S. 533—662 4°. DM 23.—.

— Sermons sur le Livre de Michee, publ. par J. D. Benoit. XV, 262 S.,
3 Taf. 4°. Lw. DM 75.—. Neukirchen: Neukirchcner Verlag des Erziehungsvereins
1964. = Supplementa Calviniana. Sermons inedits.
Iussu Corporis Presbyterianorum Universalis (World Presbyterian
Alliance) moderantc J. I. McCord, ed. E. Mülhaupt, Vol. II et V.

Die Lieferungen 8 und 9 schließen die Herausgabe der in
Genf erhaltenen Jesajapredigten Calvins ab. Über die von George?
A. Barrois besorgte wissenschaftliche Erstedition war bereits in
ThLZ 88 (1963), Sp. 435ff. und in ThLZ 90 (1965), Sp. 524f. berichtet
worden. Im folgenden wird das dort Ausgeführte vorausgesetzt
.

Die vorliegenden beiden Lieferungen drucken 11 Wochentagspredigten
und einen Teil einer weiteren Predigt des Reformators
ab, die Jes. 28, 12—29.24 auslegen. Sie sind zwischen dem 12.
und dem 31. Juli 1557 gehalten worden. Der Herausgeber bereichert
seine Ausgabe am Schluß durch ein — soweit nachgeprüft
vollständiges — Bibelstcllenregister zu allen edierten Jesajapredigten
. Außerdem fügt er ein Verzeichnis der von Calvin angezogenen
Autoren des klassischen Altertums und der kirchlichen Tradition
bei, das besonders verdienstvoll (weil mühevoll herzustellen
gewesen) ist; denn Calvin zitiert weder wörtlich noch mit hilfreichen
bibliographischen Hinweisen. Eine Wertung der Traditionsauswahl
durch Calvin kann hier nicht geboten werden: sie wäre
von großem Interesse. Auffällig oft ist Nikolaus von Lyra herangezogen
; Thomas von Aquin begegnet — laut Register — nur ein
einziges Mal. Begrüßenswert ist schließlich eine Liste von Redensarten
bzw. Sprichwörtern, die der Reformator benutzt hat, ebenso
ein Index der hebräischen Begriffe und der theologischen bzw. kirchengeschichtlichen
Termini mit den entsprechenden Belegstellen.

Wie oben ersichtlich, liegen Calvinpredigten über ein weiteres
Prophetenbuch vor. Es handelt sich um insgesamt 28 Wochen-
tagspredigten über das ganze Buch Micha, die der Reformator jeweils
vormittags eine Woche hindurch unter regelmäßiger Auslas-