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1966

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Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

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man annimmt, er sei in Sykai am Nordufer des Goldenen Hornes,
dem heutigen Galata, Konstantinopel gegenüber, bestattet, dort,
wo sich die Kirche der Heiligen Irene erhob . . .

Man traut seinen Augen nicht, wenn man die Aufstellungen
liest, die in dem Buche temperamentvoll vorgetragen werden.
Colin hat mit großer Belesenheit ein reichhaltiges Material, vor
allem epigraphischer Natur, zusammengetragen, um die geistige
Stimmung der antoninischen Zeit als den Hintergrund der behan-
deten Verfolgung darzustellen. Den Festtagen mit ihren ludi und
der Provinzverfassung und -einteilung wird besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Die Beweisführung aber beruht letztlich auf
dem Verständnis nur zweier Textstellen: Tertullian, ad Scapulam
V, 1 und Script. Historiae Augustae, Commod. VII, 1. Tertullian
schildert Arrius Antoninus als Verfolger in Asia, und die Histo-
ria Augusta berichtet, Cleander habe Arrius Antoninus töten lassen
„fictis criminibus in Attali gratiam, quem in proconsulata Asiac
damnavcrat" Colin kommt zu seinen Folgerungen, indem er in
Attalus den Märtyrer gleichen Namens wiederfindet und den im
Briefe der gallischen Gemeinden nicht namentlich genannten Legaten
mit Arrius Antoninus gleichsetzt. Beide Voraussetzungen
sind nichtig: Attalus ist ein gewöhnlicher Name, der in der Angabe
der Historia Augusta nicht im geringsten an den Märtyrer
denken läßt, und Tertullian setzt die Verfolgertätigkeit des Arrius
Antoninus in seine Amtszeit als Prokonsul in der Asia, die fast
zehn Jahre nach den Ereignissen zu datieren ist; als Prokonsul von
Asia konnte er außerdem nicht im Pontus Christen verfolgen. Es
ist unnötig, im einzelnen auf die weiteren Behauptungen, Text-
änderungen, gewagten Interpretationen und Datierungen einzugehen
und sie zu widerlegen. Auf die hinfällige Basis wird Hypothese
auf Hypothese getürmt; keine besteht die Prüfung1.

Der kenntnisreiche Verfasser referiert natürlich auch zutreffende
Auführungen, vor allem schneidet er Fragen an, die ernster
Durcharbeitung wert sind. So ist in der Tat zu überlegen, ob und
welche Beziehungen zwischen den mancherlei Festtagen der Zeit
und den örtlichen Christenhetzen bestehen. Für den Todestag des
Polykarp von Smyrna und die Märtyrer von Pergamon will Colin
solche Beziehungen annehmen, allein die Beweise sind mißglückt,
weil die Überlieferung willkürlich behandelt wird. Gerade für die
Lyoner Märtyrer hat Oliver vermutet, die Verfolgung hänge mit
dem senatus consultum de sumptibus ludorum gladiatorum mi-
nuendis vom Frühjahr 177 zusammen: Gallien durfte sich billige
trinqui besorgen, und es nahm dafür die Christen'"'. Es scheint, daß
noch andere Daten von Christenbedrängnissen mit derartigen Anlässen
in Verbindung gebracht werden können. Aber das muß sehr
sorgsam geschehen, und man wird oft nicht über Vermutungen
hinauskommen. Colin arbeitet viel zu schnell mit dem Skalpell; es
ist unbegreiflich, daß er die Einwände, die gegen seine Behauptungen
vorzubringen sind, sich nicht selbst gestelllt hat. Er geht überhaupt
auf entgegenstehende Tatsachen und längst gemachte Beobachtungen
anderer nicht ernsthaft ein. So sind viel Heiß und
Wissen vergeblich aufgewandt. Colin stellt eine Reihe weiterer
Untersuchungen zur Geschichte des zweiten Jahrhunderts in Aussicht
, die auch die Lage der Christen berühren; der pieuse coneu-
bine Marcia ist ein eigenes Buch zugedacht. Ich wünsche aufrichtig
, daß sich in diesen Arbeiten die Phantasie des Verfassers von
seiner nicht unverächtlichen Gelehrsamkeit mehr in Zaum nehmen
läßt, als es im vorliegenden Beitrag der Fall ist. Er erwähnt so oft
den großen Duchesne als seinen Lehrmeister; möchte er sich dessen
besonnenen und scharfen Raisonnemcnts bei seinen Überlegungen
erinnern!

Immerhin ist auch das vorgelegte Buch wegen der erwähnten
Fülle an zumeist epigraphischen Nachweisen für den Besitzer eine

*) Soeben stoße ich auf die Besprechung des Budies durch J. Deininger
, der ich voll zustimme (Gnomon 37 (1965) 289—292). In ihr wird
Colins Konstruktion ausführlicher, als es hier geschehen kann, vorgetragen
und widerlegt.

'-') Hesperia 24 (1955) 324f. Ganz sicher ist mir die Annahme freilich
nicht: auch anderswo gab es in diesen Jahren Verfolgungen, wie
auch Euseb in seiner Einleitung ausspricht. Für sie kann die gegebene Erklärung
nicht angewendet werden. Daher teile ich die Zurückhaltung von
P. Orgels (La Nouvelle Clio 7/9 (1955/57) 303).

bequem zugängliche Materialsammlung zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte
des 2. Jahrhunderts und zum Herrschcrkult.
Gute Register erschließen das Gebuchte'1.

Tübingen Hnns-Dietridi AI tc n i o r f

:l) Wie die delikaten Fragen nach dem Einfluß des Christentums am
Hofe des Commodus zu behandeln sind, ersehe man aus der Hingst erschienenen
vortrefflichen Abhandlung von H. U. Instinsky: Marcus Aure-
lius Prosencs — Freigelassener und Christ am Kaiserhof (Abh. d. Akad.
d. Wiss. u. d. Lit. (Mainz), Geistes- u. sozialwiss. Kl., 1964. Nr. 3). Für
Colin ist Proscnes natürlich auch ein Montanist; da wirken Grcgoires Behauptungen
nach, die Colin auch den Einfluß der Christen, vor allem der
Marcia. auf Commodus überschätzen lassen: Commodus selbst wird dadurch
fast zu einem Monotheisten gemacht; ich wiederhole meine Warnung
, ihm eine tiefere Erömmigkcit zuzusprechen, als vertretbar ist, und
verweise erneut auf Hohls Ausführungen (ThLZ 90 (1965) 49). Instinsky
hält sich von der modischen Schätzung des Mannes frei.

Abramowski, Luise: Ps.-Nestorius und Philoxcnus von Mabbu?

(ZKG LXXVII, 1966 S. 122-125).
Bacht. Heinrich: Vom Umeang mit der Bibel im ältesten Mönditurf

rPhPh 41. 1966 S. 5 57-566).
Brox, Norbert: Justin-Zitat oder Sprichwort bei Irenaus? (ZKIj

LXXVII. 1066 S. 120-121).
— Zum Vorwurf des Atheismus gegen die alte Kirche (TThZ 75, 1966

S. 274—282).

Fontaine, Jacques: Die Christen und der Militärdienst im Früh-

christentum (Concilium 1, 1965 S. 592—597).
Gastaldclli, Ferruccio: Prospettive sul peccato in San Gregorio

Magno (Salesiamim XXVIII, 1966 S. 65—94).
Grillmcier, Alois: Zum Stand der Nestorius-Forschung (ThPh 41.

1966 S. 401—410).
Haendlcr, Gert: Der Ketzertaufstreit als ökumenisches Problem

(EMZ 23, 1966 S. 184—193).
Jaubcrt, Annie: Line discussion patristique Sur la Chronologie de

la Passion (RcchSR LIV, 1966 S. 407—410).
Löf, L. J. van der: Augustin a-t-il change d'intention pendant I-1

composition des „Retractationes"? (Augustiniana XVI, 1966 S.

5—10).

Lorenz, Rudolf: Die Anfänge des abendländisdicn Mönchtunis in'

4. Ih. (ZKG LXXVII, 1966 S. 1-61).
Marot, Hilaire: Strukturelle Dezentralisierung und Primat in der

Allen Kirche (Concilium 1, 1965 S. 548—555).
Moingt. loseph: Theologie trinitaire de Tertullien (RcchSR LlV,

1966 S. 337—369).
Ramos-Regidor, lose: Signo y poder. A propösito de la exege-

sis patristica de Jn 2,2—11, 2a parte (Salesianum XXVIII, 1966 S.

3—64).

Rehfeldt, Mario L.: O Desenvolvimento da Sc Romana na Era
Pos-Apostölica (Igreja Luterana XXVII, 1966 S. 71—89).

Tscholl, Josef: Augustins Beachtung der geistigen Schönheit (Augustiniana
XVI, 1966 S. 11—53).

KMCHENGESCHICHTE: REF0HMATI0NSZE1T

Forster, Anselm OSB: Gesetz und Evangelium bei Girolamo Scri-
pando. Paderborn: Bonifacius-Druckerei [1963]. 159 S. gr. 8° = Kon-
fessionskundliche u. Kontroverstheologische Studien, hrsg. v. Johann-
Adam-Möhler-Institut, Bd. VI. Lw. DM 14.80.

Die vorliegende Arbeit zeigt erneut, daß das reformatorische
Thema „Gesetz und Evangelium" auch eine katholische Tradition
hat und daß sich die katholische Theologie heute verstärkt darauf
besinnt, wozu Gottlieb Söhngen vor einigen Jahren den Auftakt
gegeben hat (mit seinem Buch „Gesetz und Evangelium" 1957, vgl.
auch seinen Artikel „Gesetz und Evangelium" in LThK IV', 8 31—
8 35). Während dieses Thema bei Augustin und Thomas von Aquin
(dort unter den Stichworten „Gesetz und Freiheit" bzw. „Gesetz
und Gnade") ursprüngliches zentrales Anliegen war, hat es im
Katholizismus des 16. Jahrhunderts im wesentlichen nur noch
kontroverstheologisches Interesse gefunden in Abwehr der Reformation
und geriet nach Abschluß des Tridentinischen Konzils mehr
oder weniger in Vergessenheit.

Anselm Forster greift auf den Kardinal und Legaten beim
Tridentinischen Konzil Seripando (1492—1563) zurück, der als