Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1966

Spalte:

838-840

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Colin, Jean

Titel/Untertitel:

L' Empire des Antonins et les martyrs gaulois de 177 1966

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

837

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

838

teten Ethik ist nicht hoch genug einzuschätzen" (S. 666) und zeigt
sich namentlich in der Behandlung der Sklaven ihre Wirkung, so
wenig an der sozialen Grundordnung als solcher geändert wird. Bei
der Darstellung des Urchristentums werden Paulus und Johannes
mit Recht für sich gestellt. Denn ..für das Gemeinchristentum der
ersten beiden Jahrhunderte nimmt Paulus (wie Johannes) durchaus
nicht die Sonderstellung ein. die ihm die moderne Dogmengeschichte
einräumen muß" (Sp. 710). „Dem Zeitgenossen war das
eigentlich Neue seiner Lehre vermutlich schwerer erkennbar als
dem modernen Betrachter, der sich auf die im vierten Jahrhundert
machtvoll einsetzende Tradition der Paulus-Exegese stützen kann"
^Sp. 727). Das ist eine auch für den Ncutcstamcntlcr beherzigenswerte
Mahnung!

Die Darstellung der Ethik in der Gnosis (und im Montanismus —
">er hätten die apokalyptischen Traditionen mehr Berücksichtigung verdient
) fällt etwas schcmatischcr aus. Reich und lebendig werden die Probleme
jedoch bei den einzelnen Kirchenvätern entfaltet. Wichtig ist die
schon in der Mitte des zweiten Jahrhunderts beginnende Teilnahme der
Christen am Unterricht der philosophischen Schule und die Gemeinsamkeit
von Philosophen und Theologen auch in der sozialen Stellung. Aber
• ein ebenso selbstverständlicher Verkehr der Christen in den anderen
wichtigen Bildungsstätten der antiken Welt, in den Rhetorenschulcn, läßt
sich erst im vierten Jahrhundert, also nach der Erhebung des Christentums
zur Staatsrcligion nachweisen" (Sp. 746f.). Einen ganz „unhellcnisti-
sdien", selbständigen Willensbegriff entwickelt Klemens von Alexandrien
(während cntprechcndc Vorstufen in der Gnosis und Hermetik —
gegen E. Benz — mit Recht abgelehnt werden). Er dürfte bei Klemens
weniger ..nach dem Bilde des göttlichen Willens" konzipiert (so Sp. 751)
a's aus der Notwendigkeit erwachsen sein, den ,,Glauben" der
schlichten Christen zu rechtfertigen und zu begründen (Sp. 754). Doch
wird dieser anthropologische Willcnsbegriff bis hin zu Augustin nicht
aufgenommen und fortgeführt. Im Anschluß an Benz wird Augustin an
dieser Stelle mit der ..neuplatonischen Ontologie des Marius Victorinus"
'n Verbindung gebracht und ein Einfluß des Porphyrios — gegen T h e i -
'er— bestritten.

„Die Verwandlung der reinen Sozial-Ethik des Llrchristen-
Uims in eine im Ideal individueller Vollkommenheit gipfelnde Moral
wurde außer durch die immer mächtiger werdende philosophische
Betrachtungsweise vor allem auch durch die Parallele zum individuellen
Erlösungsvorgang nahegelegt." Aber „der Ernst seelsorg-
lichcr Bemühung, der sich in den Briefen Cyprians oder den Predigten
des Johannes Chrysostomos ausspricht, ist in dieser Tiefen-
und Breitenwirkung den außerchristlichen Religionen und Philosophien
unbekannt". Die Mildtätigkeit etlicher später Neuplato-
niker „ist ohne das christliche Vorbild kaum verständlich" (Sp.
761). Die christliche Auffassung des Bösen erwies sich in der Spätantike
gleichfalls als lebensnäher als die gemäßigte, zivilisierte
Ethik der hohen Kaiserzeit. „Das Mißtrauen, das die intellektua-
listische Ethik der hellenistischen Kultur dem spontanen Handeln
entgegenbrachte und mit dem sie dem spontanen Guttun den Charakter
der Tugendübungen absprach, erwies sich als durchaus unangebracht
in einer Zeit, in der häufig nur ganz .unvernünftige'
Guttaten die Not zu lindern vermochten, weil eben sehr wenig . . .
mit rechten Dingen zuging" (Sp. 766f.). Das Mönchtum erfährt in
seiner Bedeutung für die Ethik eine eigene, schöne Würdigung.
Hier bewährt sich besonders der christlichen „Schlüsselbegriff" der
Demut, dem der Verfasser schon früher im Rahmen des RAC eine
bedeutende Darstellung gewidmet hat, auf die er jetzt wiederholt
Bezug nehmen kann. — Daß auf Sp. 774 der Archidiakon von Cor-
dova Chalcidius (Calcidius) zu den „nichtchristlichen" Neuplato-
nikem gezählt wird, ist wohl nur als Versehen zu beurteilen.

Die Eigenart der antiken „Etymologie" und ihre Verwendung in
der christlidien Apologetik und Exegese werden von Ilona O p e 1 t dargestellt
. Im Anschluß an Wutz werden besonders die alttestamentlidien
Etymologien gesammelt und die christlichen Onomastica besprochen. Am
Ende werden auch einige Wortspiele und ..Sprachwitze" erwähnt; doch
Vermisse ich eine grundsätzliche Erörterung der Frage, wo — schon im
Alten Testament — zwischen einer ernsthaften und einer spielerischen
Verwendung der Etymologie die Grenze läuft und wie diese zu verstehen
ist. In seinem verhältnismäßig kurzen Artikel „Euhemcrismus"
schränkt T h r a e d c die Bedeutung des Begriffes erheblich ein. „Für das
Christentum des 2.15. Jahrhunderts konnte... der Euhcmcrismus, geschweige
denn Euhcmcros selbst kaum die Bedeutung haben, die man ihm
Wegen des späteren Euhcmcrismus als heuristisches Prinzip der Historiographie
und noch der neueren Rcligionswisscnchaft zuzuschreiben geneigt
war" (Sp. 8 89f.). Unter den griechischen Vätern hat sich allein Klemens

von Alexandrien zustimmend zu Euhemeros gestellt. Man hält sich im
allgemeinen nur an den Topos „deos homines fuisse". Erst das Mittelalter
hat den Euhemerismus dann aus historischem und chronographischem
Interesse wieder ernt genommen. — Kötting zeigt in seinem
Artikel über „Eucrgetes" sehr schön die Stufen in der Entfaltung dieses
zunächst untheologischen Begriffs bis zu seiner zuletzt erstaunlichen
Spannweite. — Der Begriff der „Eulogia" im Zusammenhang mit „Eu-
charistia" wird von S t u i b e r besonders nach seiner sprachlichen Bedeutung
eingehend untersucht. Es geht ihm vor allem um „die Verbindung
mit der alttestamentlich-jüdischen Ausgangsposition", während
„die rein christliche Entwicklung" nicht mehr verfolgt wird. (Warum?).
Tatsächlich handelt es sich zunächst um ein reines Übcrsetrungswort nach
dem hebräischen „brk". Selbst die „heidnische Lichtbegrüßung scheint
stark von der jüdischen Sitte beeinflußt, wenn nicht gar von ihr abzuleiten
sein" (Sp. 919). Während eine materielle Bedeutung im Sinne von
„Geschenk" schon im Alten Testament zu belegen ist, kommt in der
Kirche derartiges (Eulogien-Brote) erst im vierten Jahrhundert auf.

Diesmal erscheinen nur zwei eigentliche Realien-Artikel: „Essig"
ven Jean Colin mit den alten und neuen exegetischen Problemen hinsichtlich
des Essigtranks am Kreuz und die von Ilona O p e 11 behandelte
„Eule", die im Aberglauben und in der Bildersprache eine ziemliche Rolle
spielt, in der christlichen Symbolik des Altertums, aber, wie es scheint,
kaum begegnet.

Wir können für das so reich Gebotene wieder sehr dankbar sein.
Heidelberg H. v. Cumprnhauscn

Colin, Jean: L'Empire des Antonins et les Martyrs Gaulois de 177.

Bonn: Habelt 1964. 226 S. 8° — Antiquitas Reihe 1: Abhandlungen
zur Alten Geschichte, hrsg. v. A. Alföldi, 10.

Der neutral formulierte Titel verhüllt die sensationelle These
des Buches, die den Schauplatz der Lyoner Christenverfolgung betrifft
. Wir sind über sie durch den ergreifenden Brief der Gemeinden
von Vienne und Lyon an die Glaubensgenossen in Asia und
Phrygien unterrichtet, den Euseb in der Kirchengeschichte exzerpiert
hat (V, 1 ff.)- Nach jahrelanger Beschäftigung mit den Quellen
glaubt Colin, folgendes neues Bild der Vorgänge entwerfen zu
können:

Die Märtyrer des Jahres 177 waren in der Tat „Gallier", doch
ist ihre Heimat nicht im Rhönctal zu suchen; die Ereignisse spielten
sich in einem anderen „Gallien" ab: in Kleinasien, im galati-
chen Ponrus, in der Stadt Sebastopolis fand der Christenpogrom
statt. „Vienne" und „Lyon", wie sie am Kopfe des Briefes stehen,
sind auf ein Versehen Eusebs und seiner Gehilfen zurückzuführen,
welche die Ortsnamen verkannten. Eusebs Viennenser sind die
Christen von Sebastopolis, die Lyoner die von Neoclaudiopolis.
Um den heidnischen Feierlichkeiten am dies imperii Mark Aurels
(7. März) zu entgehen, weil sich an ihnen die Volksstimmung gegen
die Christen richten konnte, flüchteten die Christen von Neoclaudiopolis
nach „Vienne" = Sebastopolis, um allerdings gerade an
diesem Platze einer Verfolgung zum Opfer zu fallen, die die Chri-
ten betraf. Der legat persecuteur kann benannt werden: er ist kein
anderer als Arrius Antoninus, dessen politische Karriere uns bekannt
ist. Er konnte sich seiner Tat nicht lange freuen; die einflußreiche
Christenschaft am Hofe des Commodus, deren prominenteste
Gestalt Marcia, „la pieuse coneubine", war, zählte auch den
Praefectus praetorio Cleander zu den ihren. Er wird als Phryger
bezeichnet, was besagt, daß er Montanist war. Cleander rächte
seine Glaubensbrüder an Arrius Antoninus: unter den Märtyrern
hatte sich auch Attalus befunden, der mit ihnen im Circus umgekommen
war, obwohl er das römische Bürgerrecht besaß. Dieser
Umstand gab Cleander den Rechtsgrund, Arrius Antoninus hinrichten
zu lassen. So hatten die Christen des „palais chretien",
des „palais de Marcia", den Verfolger bestraft. Eine derart große
Zahl von Blutzeugen konnte in der Erinnerung der Kleinasiaten
schwerlich in Vergessenheit geraten; das war auch nicht der Fall:
die Christen von Sebastopolis sind gleichzusetzen mit den herkömmlich
unter die Opfer des Licinius gerechneten vierzig Märtyrern
von Sebaste, deren eindrucksvolles Testament wir besitzen,
in dem sie Anweisung für ihre Bestattung geben, und die im 4.
Jahrhundert hoch gefeiert wurden. Damit nicht genug: Irenaus,
der angebliche Bischof von Lyon, der in Leben und Theologie so-
vicle Beziehungen zu Kleinasien aufweist, auch er gehört in dieses
Gebiet: Irenäus war Bischof von Neoclaudiopolis, und er starb als
Märtyrer zwischen 193 und 196; man wird nicht fehlgehen, wenn