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Ausgabe:

1966

Spalte:

824-826

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Daube, David

Titel/Untertitel:

The sudden in the scriptures 1966

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 11

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spiel des Bundesrechts erblickt wird, das von Anfang an ethische neben
kultischen Vorschriften enthielt. Die Propheten, z. B. Arnos, beziehen
sich in ihren Anklagen auf dieses Bundesrecht. Dagegen wird die Existenz
einer im Kult selbst beheimateten Gerichtsrede abgelehnt (78f.);
die Propheten borgten nur die Redeformen des profanen Rechtslebens
(entsprechend auch die der kultischen Einzugsthorot, 82ff.). So sind die
Propheten auch keinesfalls in irgend einer Beziehung zu dem alten Bun-
desrechtssprecheramt zu sehen (80). Hier hätte der Rezensent doch Fragen
, die im Zusammenhang mit den noch zu erhebenden Gesamteinwänden
zu sehen sind.

Kapitel V (86—102), das die Stellung der vorexilischen Propheten
zum offiziellen Kult an den Heiligtümern Israels behandelt, sieht den
Grund für die prophetische Kritik am Kult darin, daß dieser, der ursprünglich
der legitime Träger der Glaubenstradtionen Israels war,
hauptsächlich durch die Übernahme kanaanäischer Kultformen ein sehr
unsicherer Zeuge der Bundesüberlieferungen geworden war, nicht zuletzt
auch durch die Rivalität einer Vielzahl nebeneinander bestehender Heiligtümer
(87—93). Daher rührt die prophetische Kritik am Kult, die aber
nicht den Kult als solchen ablehnt, sondern sein Versagen als Träger der
ethischen Forderungen Jahwes (93—100). Die prophetischen Forderungen
bildeten in nachexilischer Zeit die Grundlage für eine Reform des gottesdienstlichen
Lebens Israels (lOlf.).

Kapitel VI (103—118) „Prophetie und Eschatologie" betont richtig,
daß die Differenzen in der heutigen Forschung, ob die Propheten eine
eschatologische Botschaft verkündigt hätten oder nicht, weniger sachlicher
Natur sind, als damit zusammenhängen, wie man den Begriff
„Eschatologie" definiert (103f.). Neutral ist die Definition: „Eschatology
is the study of ideas and beliefs concerning the end of the present world
order, and the introdueting of a new Order." (105). Die prophetische Un-
heilseschatologie, zuerst festzustellen bei Arnos, enstand im Gegensatz
zu der kultischen Heilserwartung für den ,,Tag Jahwes" (107—109). Aber
auch eschatologische Hcilserwartung ist schon bei vorexilischen Propheten
festzustellen (wobei auch Am 9, llf. als echt angesehen wird); das Heil
wird als auf das Gericht folgendes Handeln Jahwes erwartet. Deutero-
jesaja verkündet nach vollendetem Gericht das Heil als unmittelbar bevorstehend
, während die nachexilische Prophetie nach enttäuschten Hoffnungen
die eschatologische Heilserwartung wieder ferner hinausschiebt.

In allen diesen Einzelthemen und damit ihrer gesamten Verkündigung
sind die alttestamentlichen Propheten, wie der Verf.
aufzeigt, von der Bundestradition Israels bestimmt. In der Krisis,
die durch die kanaanäische Überfremdung der Heiligtümer eintritt,
sind sie die treuen Bewahrer und Verfechter der alten Bundesordnungen
(vgl. dazu auch die „Conclusion", 119ff.). Wichtig ist,
wie der Verf. mehrfach betont, daß der Blickpunkt der modernen
Forschung von der Person der Propheten weg und ihrer Psychologie
auf ihre Botschaft gelenkt wird. In all dem kann man den Ausführungen
des Verf. nur dankbar zustimmen.

Nur in einer Hinsicht scheint die Arbeit eine Unausgegli-
chenheit aufzuweisen. Wenn wir hier mit einer Frage an sie herantreten
, tun wir dies in dem Bewußtsein, daß wir an diesem Punkte
selbst auf ernster Suche sind. Der Verf. möchte ermitteln, weshalb
bestimmte Propheten, obwohl sie, wie er mehrfach richtig betont,
phänomenologisch von der in Israel weit verbreiteten Erscheinung
des Prophetismus, auch des kultisch gebundenen Prophetismus,
überhaupt nicht klar abzugrenzen sind, mit ihren Schriften kanonisches
Ansehen erlangten (8. 13). „Wherein Iay the distinetiveness
of the canonical prophets?" (127). Die Antwort möchte er in der
Verkündigung des ältesten dieser kanonischen, des Propheten
Arnos finden (Kapitel II, 27—44). Das entscheidend Neue in der
Botschaft des Arnos soll darin liegen, daß seine Unheilsverkündigung
, mit der er grundsätzlich den schon zur Bundesverkündigung
gehörenden Fluch aufnimmt, sich gegen das ganze Volk und
nicht mehr nur den einzelnen Sünder innerhalb oder außerhalb
des Volkes richtet, daß damit das Ende Israels als des Bundesvolkes
Jahwes und damit des Bundesverhältnisses selbst zum erstenmal
in den Blick kommt (40—44; wichtig ist der zuvor, 3 5ff-, geführte
Nachweis, daß Arnos sich durchaus in der Nachfolge der
vorausgegangenen Propheten versteht).

Unsere Frage ist, ob das wirklich stimmt. Der Verf. verweist
an anderer Stelle (77, Anm. 1) auf die von W. Zimmerli mehrfach1
betonte Erkenntnis, daß schon im ursprünglichen Bundesfor-

') Das Gesetz im Alten Testament. Gottes Offenbarung, 1963, S.
270ff. — Ders., Das Gesetz und die Propheten, 1963, S. 81 ff.

mular die Möglichkeit des Bundesbruchs und damit eines Endes
des gesamten Bundesverhältnisses ins Auge gefaßt war. Offensichtlich
wird also auch hier, nachdem alles übrige dahingefallen
ist, ein entscheidend Neues in der Botschaft des Arnos gegenüber
der Bundestradifion nicht sichtbar2. Dieser letzte Versuch, den
kanonischen Propheten eine Sonderstellung in der Tradition einzuräumen
, muß also als gescheitert angesehen werden. Übrig
bliebe lediglich die Erwägung, von dem Verf. angestellt (41 u. ö.).
daß die Bundestradition mit ihren radikalen Forderungen und der
damit verbundenen letztgülrigen Drohung in der aktuellen Kultpraxis
vernachlässigt worden war und der Kult sie nur noch gebrochen
verwirklicht hatte. Die Propheten erschienen dann als die
einzig entschlossenen Bewahrer der Tradition. Dies scheint der
Wahrheit nahezukommen, wobei die Frage nach der möglichen institutionellen
Stellung auch der kanonischen Propheten im Kult
allerdings unentschieden bleiben muß, solange stichhaltige Kriterien
zur Abgrenzung nicht sichtbar werden.

Gerade darin, daß sie diesen Sachverhalt so deutlich gemacht
hat und alle nicht haltbaren Kriterien, mit denen man den kanonischen
Propheten einer Sonderstellung in den GlaubensinsTitutio-
nen Israels einzuräumen gesucht hat, als solche aufgewiesen hat,
liegt der besondere Wert dieser Arbeit. Ihre Lektüre erscheint für
die Besinnung über den augenblicklichen Stand der Prophetenforschung
unentbehrlich.

2) So der Verf. selbst: „The covenant tradition of Israel, therefore,
as it was maintained in the cult, held out the possibility of divin judge-
ment for individual members of the covenant, and even for the people
as a whole." — In VT 15, 1965, S. 300ff., hält der Verf. die Möglichkeit
eines Endes des Bundesverhältnisses für nordisraelitische Tradition,
während man in Jerusalem an seine ewige Dauer glaubte.

Bodium Henning Graf Re ven 11 o w

Daube, David: The Sudden in the Scriptures. Leiden: Brill 1964.
VII, 86 S. gr. 8°. Lw. hfl. 14.-.

Der jüdische Rechtsgelehrte David Daube hat mit dieser
Studie einen weiteren wertvollen Beitrag zu seinen älteren, in
„The New Testament and Rabbinic Judaism", 1956, abgedruckten
exegetischen Abhandlungen geliefert. Auch das Thema dieser
neuen Arbeit ist eng begrenzt: es geht um die Untersuchung der
verschiedenen Termini, die den Gedanken der Plötzlichkeit im
AT und der rabbinischen Literatur (Teil 1: S. 1—27) sowie im
NT (Teil 2: S. 28—79) zum Ausdruck bringen. Die unterschiedliche
Länge der beiden Hauptteile macht deutlich, daß das
Hauptinteresse D's bei den „Schriften" wiederum dem NT gilt.

Den Ausgangspunkt nimmt D. bei den drei für „plötzlich"
im AT und in der rabbinischen Literatur gebrauchten Termini:
pith'om, petha' und regha. Da die beiden zuerst genannten
synonymen Ausdrücke immer — mit einer Ausnahme — in Verbindung
mit „Unglück" Verwendung finden (vgl. Nu. 6, 9; 12, 4;
35, 22; Jos. 10, 9 u. ö.), wobei aber ein Ereignis nur von den
Besiegten und Geschädigten als „plötzlich" empfunden wird,
neigt D. der These zu, daß die Wurzel b't, „expressing the
seizure of a man by some terror" (S. 3), ursprünglich mit petha'
identisch sei. In der einen Ausnahme, 2. Chr. 29, 36, möchte deshalb
D. das bephith'om in bappetha im oder biphetha'im
(„unter den Einfältigen") ändern. Diese Emendation sieht D.
durch Prov. 7, 22 und Ps. 64, 8, wo sie durch die LXX gefordert
wird, gestützt (vgl. auch CD XIV, 2; Sir. 40, 14). Auch bei dem
Wort regha weist D. eine häufige Beziehung zu „Unglück" nach
(vgl. Jes. 47, 9; Hi. 34, 20; Nu. 16, 21 u. ö.). Zusammenfassend
ergibt sich somit im Blick auf die drei Termini: „The ,sudden'
event is ,an evil', ,death', ,blow', ,wound', .smiting', ,breaking'.
.desolation', .calamity', .fall', .spoiling', .consuming'" (S. 10/11)-
In die gleiche Richtung tendieren die für „plötzlich" in der LXX
nachweisbaren Ausdrücke. Eine Besonderheit stellt jedoch
exaisios dar, das für die Wurzel pl' steht und das Wunderbare
meint, mit dem zu leben allerdings „unheimlich" ist (vgl. Hi. 5, 9;
9, 10; 34, 24; 37, 16).

Die rabbinische Literatur zeigt eine Weiterentwicklung der
Begriffe pith'om und petha , die jetzt nicht mehr nur in der im