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Ausgabe:

1966

Spalte:

55-56

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Peschke, Erhard

Titel/Untertitel:

Die Böhmischen Brüder im Urteil ihrer Zeit 1966

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 1

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Pesch, Otto H.: Um den Plan der Summa Theologiae des hl. Thomas
von Aquin (MTHZ 16, 1965 S. 128—137).

Richter, Vladimir: Zu Ockhams Handschrift Vat. Borghese 68
(Gregorianum XLVI, 1965 S. 766—816).

Rüsch, Ernst Gerhard: Der Weihnachts-Tropus des St. Galler Mönches
Tuotilo (ThZ 21, 1965 S. 517—521).

Strnad, Alfred A.: Kaiser Karl IV. und das Erzstift Salzburg
(Römische Quartalschrift 60, 1965 S. 209—244).

KIRCHENGESCHICHTE: REFORMATIONSZEIT

Peschke, Erhard: Die Böhmischen Brüder im Urteil ihrer Zeit.

Zieglers, Dungersheims und Luthers Kritik an der Brüderunität.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt u. Stuttgart: Calwer [1964]. 122 S.
gr. 8° = Aufsätze und Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft
, hrsg. v. E. Schott u. H. Urner, 29.

E. Peschke, Professor an der Theologischen Fakultät der
Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg, fst einer der
besten Kenner des Denkens der tschechischen Brüder in der Periode
vor der lutherischen Reformation. Man kennt seine beiden reich
dokumentierten Bände über die Theologie der Eucharistie bei den
ersten Generationen der Brüder (Die Theologie der Böhmischen
Brüder in ihrer Frühzeit, Stuttgart I, 1935; II, 1940) ebenso wie
mehrere Untersuchungen, die das ekklesiologische Problem bei
der Brüderunität erforschen. Dabei hat sich Peschke in guter
Weise Rechenschaft gegeben über die Wichtigkeit der Kontroversliteratur
als einer Quelle, die dazu dienen kann, eine ergänzende
Einsicht in die in Frage stehende Lehre zu gewinnen. Das
Buch, das wir anzeigen, hat das große Verdienst, in endgültiger
Weise von Grund auf die polemischen Schriften gegen die
Glaubensbekenntnisse der Brüder zu studieren, die den beiden
deutschen Autoren Jakob Ziegler (1470—1549) und Hieronymus
Dungersheim (1465—1540) zuzuschreiben sind. Der erste veröffentlichte
in Leipzig im Jahre 1512 fünf Bücher „Contra haere-
sim Valdensium", der zweite im Jahre 1514 eine „Confutatio"
zur Apologie der Brüder, die 1511 in Nürnberg erschienen war,
und eine ergänzende ,,Reprobatio".

Der Autor gibt eine detaillierte und lichtvolle Analyse aller
von den beiden Kontroverstheologen verhandelten Gegenstände
und charakterisiert in zutreffender Weise ihre eigenen theologischen
Positionen. Ziegler, ein Schüler von Konrad Celtis, geht
gegen die Brüder vor von einer humanisierenden Sicht der Religion
aus und macht sich im Anschluß daran zum Verteidiger des Prinzips
der kirchlichen Autorität in einem klar katholischen Sinne.
Seine Arbeit ist bestimmt zur Hilfe für den Bischof von Olmütz
in Mähren. Sie offenbart eine erschütternde Oberflächlichkeit.
Dungersheim dagegen ist ein Spezialist, der gründlich vertraut ist
mit dem thomistischen Denken, das er an der Universität Leipzig
lehrt. Dem Gedanken einer Kirche der Prädestinierten, bei den
Brüdern beliebt, stellt er den der einen und hierarchischen Kirche
der römischen Tradition entgegen. Er kann also nicht der Idee
eines Falles der Kirche, sofern er eine Folge der Konstantinischen
Schenkung wäre, zustimmen.

Keines der durch die beiden Kontroverstheologen vorgebrachten
Elemente entgeht der minutiösen Analyse des Autors, der
damit eine erstaunliche Zahl von Punkten herausstellt, an denen
die Lehre der Brüder den zeitgenössischen Katholiken als aufrührerisch
und häretisch erscheint. Ein letztes Kapitel faßt zusammen
, was der Autor anderswo über das Verhalten Luthers
gegenüber den Brüdern gesagt hat. Man weiß, daß dieses sich
entwickelt hat von Feindschaft zu Sympathie; die Leipziger Disputation
von 1519 gibt die entscheidende Wendung an. Eines der
entscheidenden Ergebnisse der Untersuchung ist es, erkannt zu
haben, daß Luther lange Zeit gegen die Brüder mit in gleicher
Weise traditionellen Argumenten vorangegangen ist wie die
anderen beiden behandelten Kontroverstheologen. Jedoch lenkt
er sein Augenmerk schon von Anfang an viel weniger auf die
intellektuellen Abweichungen der Brüder in bezug auf das Dogma
als auf ihr angeblich falsches Verhalten vor Gott. Er zeigte keinerlei
Interesse an den sozialen Problemen, die durch die Thesen der
Brüder hervorgerufen wurden.

Der Leser wird dem Autor Dank wissen, daß er ihm das Verständnis
der reichen Materialien dieser Kontroverse leicht gemacht

hat durch eine allgemeine Einleitung, die vertraut macht mit der
hussitischen Mentalität, welche immer gegenwärtig ist in den
dogmatischen Aussagen der Brüder. Zu diesem Zwecke hat der
Autor das Programm der Reformation in Böhmen zusammengefaßt
, indem er über die Idee der kirchlichen Erneuerung, über
die Rückkehr zur Bibel und über die Weltentsagung spricht. Ich
glaube jedoch, daß die letzte dieser Forderungen nur ein sekundärer
Aspekt der brennenden eschatologischen Erwartung gewesen
ist, die seit den Zeiten von Milic von Kromenz nicht aufhört,
die Bewegung völlig zu charakterisieren.

Die Kritiken, die in diesem Buche meisterhaft untersucht
sind, sind in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu
datieren. Der Titel des Buches könnte den Anschein erwecken,
daß die Entwicklung des Denkens der Brüder hier aufhört, jedoch
setzt es seinen Weg noch mehr als ein Jahrhundert lang fort. Und
selbst für das, was die Jahre nach 1510 allein betrifft, überschreitet
das Echo auf die Theologie der Unität das deutsche
Sprachgebiet, auf das die vorliegende Studie sich beschränkt. Es
wäre von höchstem Interesse, zwei andere zeitgenössische Kritiken
des Denkens der Brüder einer analogen Analyse zu unterziehen,
welche der Feder des italienischen Franziskaners Samuele di
Cassini entstammen. Sie sind veröffentlicht worden in Cuneo im
Jahre 1510 bei der Druckerei von Simone Bevilaqua, die erste
betitelt „Victoria triumphale contro Ii errori de valdeisi", die
zweite „Libellus contra Valdenses" (cf. Romolo Cegna, La pole-
mica antivaldese di Samuele di Cassini, in Bollettino della Societä
di Studi Valdesi, n. 115, Torre Pellice 1964, p. 5—10). Ihr polemischer
Charakter, gerichtet gegen die Glaubensbekenntnisse der
Taboriten und Brüder, ist bis jetzt unbemerkt geblieben, obwohl er
sonnenklar ist. Um in rechter Weise die Mannigfaltigkeit und Häufigkeit
der Kritik vor unseren Augen zu haben, mit der die tschechischen
Brüder von allen Seiten überhäuft worden sind, wäre es noch
nötig, Rechenschaft zu geben von den Polemiken, die in dieser
Zeit in Böhmen erschienen sind. Ich habe selbst meine Aufmerksamkeit
auf diejenigen des tschechischen Humanisten Nicolas
Konäc gerichtet, veröffentlicht in Prag 1511 und 1515 (Mikuläs
Konäc a Jednota bratrska, in Theol. pfiloha Kfestanske revue
1961, p. 41—53). Diese Bemerkungen genügen, um die Wichtigkeit
des Phänomens hervorzuheben, das das Buch von E. Peschke mit
so großer Sachkenntnis untersucht.

Prag Amedeo Mol nä r

P o 11 e t, J. V., O. P., Dr.: Huldrych Zwingli et la Reformc en Suisse

d'apres les recherches recentes. Paris: Prcsses Universitäres deFrance
1963. 123 S. m. 40 Abb. i. Text, 12 Taf. gr. 8°.

Der Verfasser, Dominikaner und Maitre de Recherche au
Centre National de la Recherche Scientifique, bietet mit kirchlicher
Druckerlaubnis der wissenschaftlichen Welt eine in vieler
Beziehung interessante Arbeit an. Sie ist nicht nur ein Forschungsbericht
; dafür haben die zusammenfassenden Urteile PoIIets ein
zu schweres Eigengewicht; sie ist aber auch keine biographische
oder lediglich die Theologie des Reformators einfangende Darstellung
; dafür fehlen die erforderlichen Quellenbelege. Am
besten würdigt man Pollets Buch vielleicht eingangs durch den
Hinweis, daß es seine Entstehung der Ausgestaltung und bibliographischen
Weiterführung des Artikels „Zwinglianisme" im Dic-
tionnaire de Theologie catholique (Tome XV, col. 3745—3928.
Paris 1951) verdankt. Dieser Lexikonartikel Pollets war von
Gottfried W . Locher in seinem Forschungsbericht (Die Wandlung
des Zwingli-Bildes in der neueren Forschung, Zwingliana, Bd. XL
H. 9, 1963, Nr. 1, S. 560 ff) als „ein höchst beachtlicher und tief
verständnisvoller, ausführlicher neuer Überblick über Zwingiis
Gedankenwelt.. ., der in vorbildlicher Weise auch ihre biblischen,
altkirchlichen und mittelalterlichen Elemente und die Diskusison
des Zeitalters einbezieht" (S. 582), bezeichnet worden. Man wird
dieses Votum in vielen Stücken auf die vorliegende Arbeit übertragen
dürfen.

Der Verfasser berücksichtigt — wie er selbst angibt (S. 7) —
etwa 2 50 Beiträge, die seit 1950 zum Zwingliverständnis erschienen
sind. Dadurch hat man nicht allein eine ganz hervorragende
Fundgrube der neuesten einschlägigen Bibliographie vor
sich, sondern wird auch eingeführt in die vielerlei Aspekte der