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Ausgabe:

1966

Spalte:

768-769

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Buch 1 1966

Rezensent:

Grabs, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 10

768

Meuthcn, Erich: Nikolaus von Kues 1401 — 1464. Skizze einer Biographie
. Münster: Aschendorff [1964]. 136 S., 4 Taf. 8° = Buchreihe
der Cusanus-Gesellschaft, hrsg. von J. Koch u. R. Haubst, Sonderbeitrag
zum Cusanus-Jubiläum. Kart. DM 8.— ; Lw. DM 9.80.

Der schmale Band ist als Sonderbeitrag zum Cusanus-Jubiläum
1964 in der „Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft", deren
Herausgeber Josef Koch und Rudolf Haubst in der Cusanus-For-
schung seit langem wohlbekannt sind, erschienen. Jos. Koch wird
ja mit Recht als „Nestor" dieser Forschung bezeichnet. Um das
gleich zu Beginn zu sagen: es ist schade, daß der um Cusanus so
verdiente Verfasser dem Buch keine Datentabelle — wenigstens in
knapper Form — beifügte. Ohne Übersteigerung im Ausdruck darf
bemerkt werden, daß das kleine Werk gediegen und faszinierend
zugleich ist. Ist doch der Umfang der einschlägigen Literatur kaum
noch zu übersehen. Das galt eingeschränkt bereits, als Edmond
Vansteenberghe, der französische Biograph des Cusaners, vor rund
einem halben Jahrhundert eine „Respekt heischende" Biographie
schrieb. Heute stehen der Cusanus-Forschung mehr als fünftausend
Dokumente zur Verfügung. Es bedarf keines Wortes, daß die
„Skizze" nicht die Absicht hat, mit dem Werke Vansteenberghes
in Wettbewerb zu treten. Sie will ein Beitrag sein, um das Werk
von Cusanus im Blick auf die Persönlichkeit des Denkers zu
erschließen.

Der knappe Umfang dieser Hinführung macht es verständlich,
daß dem Buch kein Apparat beigegeben werden konnte. (Über welche
genaue Quellenkenntnis der Verfasser verfügt, erweist seine
Arbeit über das Trierer Schisma, diesen sehr umfangreichen Sonderbeitrag
zur frühen Lebensgeschichte von Cusanus.)

Das erhellt, daß es einer Ermunterung, ja einer Überredung
bedurfte, Meuthen zu dieser „Skizze" im Hinblick auf das Cusa-
nusjahr zu bewegen. Den Anlaß dazu bot die Sitzung des Wissenschaftlichen
Beirats der Cusanus-Gesellschaft, die erst am 21. September
1963 stattfand. Jedenfalls ist die Gediegenheit nicht der
Preis für die Kürze der Zeit gewesen. Es ist daher wohl allzu
bescheiden, wenn der Verfasser die Arbeit nur „als einen Vorbescheid
" (S. 3) angesehen wissen möchte.

Nichts fehlt: Der Gelehrte und der eigentändige Denker, der
Legat des Papstes und der in die tagespolitischen Wirrnisse verstrickte
Bischof von Brixen treten vor den Leser.

Was Cusanus so anziehend macht, ist nicht zuletzt „die
überhöhende Denkstufe" des gelehrten Nicht-Wissens, die docta
ignorantia. Aber Cusanus wird völlig einseitig gesehen, wenn
nicht die Bereitschaft zur „Aufnahme des göttlichen Funkens als
Geschenk von oben, vom Vater des Lichts" (S. 5 3) hinzugenommen
wird.

Was die Darstellung des Verfassers so farbig, bewegt und
greifbar nahe rückt, ist sein Vermögen, bestimmte Lebensvorgänge
treffsicher mit den aufleuchtenden Intuitionen grundlegender Gedanken
zu verknüpfen. Die knappen Details erhellen, daß dabei
keineswegs nur die Phantasie eindrucksvolle Szenen malt. Verwiesen
sei auf die kurze Schilderung der Seereise von Byzanz nach
Italien, die Cusanus gegen Ende 1437 zusammen mit Kaiser und
Patriarch und vielen anderen Trägern hervorragender Ämter
unternahm. Sie galt der Teilnahme an dem Unionskonzil in
Ferrara.

Gegenüber den Versuchen, den naturwissenschaftlichen Anreger
einseitig hervorzuheben, zeichnet Meuthen ein Bild, das Raum
läßt für Cusanus als hymnischen Beter. Es ist augenscheinlich, daß
hier die Herzmitte dieses großen Weisen und Demütigen zugleich
getroffen ist. Entschieden muß zurückgewiesen werden, Cusanus
als eine Art Vorläufer einer rein säkular ausgerichteten Weltanschauung
zu betrachten, die für echte Transzendenz keinen Raum
läßt und sich befleißigt, diesen Zug im Wesensbilde des Denkers
lediglich als zeitbedingten Rest zu erklären. Die Gewaltsamkeit,
alle Vorgänge des Lebens und des Denkens soziologisch zu erklären
, erreicht nicht einmal im Ansatz das Denken und Lebensgefühl
des Cusaners.

Der Verlag gibt am Schluß Hinweise auf die Publikationen
der Veröffentlichungen der Cusanus-Gesellschaft. Es sollte bei
einer Neuauflage nicht versäumt werden, noch ausführlicher auf
den Prediger Cusanus hinzuweisen, zumal nicht erst seit dem Cusa-

nusjahr 1964, sondern bereits seit 1952 ein nahezu 500 Seiten
umfassender Predigtband (er umfaßt die Jahre 1430 — 1441), vorliegt
(F. H. Kerle — Heidelberg). Das ist notwendig, da ja das
Werk von Meuthen nicht nur die gelehrten Freunde des Denkers
der coincidentia oppositorum erreichen will.

Ein tiefes Ergriffensein von der Größe und inneren Würde
des Moselschiffersohnes aus Kues bezeugen die Worte, die Meuthen
dem erwähnten französischen Biographen entnimmt. Vansteenberghe
meditiert über das Grabmal des Nikolaus von Kues,
das sich in S. Pietro in Vincoli zu Rom befindet:

„Wir sehen den . . . Mann in der Blüte der Jahre, aber schon
gebeugt, mehr unter der Arbeit und Mühsal als unter Alterslast.
Doch die körperliche Schönheit lebt weiter in der Schönheit des
Herzens, die wie sanftes Licht über seine Züge schimmert. Diese
Augen, verständnisvoll, verzichtergeben und doch ohne Traurigkeit
! Diese Gestalt, vor der unser Schritt anhält, überrascht von
der Würde, ergriffen von der Schönheit! Dieser Ausdruck, ruhiges
und festes Vertrauen atmend und doch sich bewußt der Llnver-
meidbarkeit des Übels! Das ist er in seinem ganzen Wesen: der
Dulder, der trotzdem glaubt und liebt, der nie erntete, sondern
nur säte und doch von der Fruchtbarkeit seiner Arbeit weiß, ■ ■ •
seine ganze Hoffnung auf eine bessere Welt setzend — die Welt
da drüben."

Dresden Rudolf G rabs

Meuthen, Erich: Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil
. Zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues. Münster/W.:
Aschendorff [1964). XI, 294 S. gr. 8° = Buchreihe der Cusanus-
Gesellschaft, hrsg. v. J. Koch u. R. Haubst, L Kart. DM 24.—.

Wir sind dankbar, daß es dem Verfasser gelungen ist, für die
frühen Jahre des Cusanus erhellendes Material beizubringen. Das
ist hauptsächlich einem Archivalienfund zu danken, der Aufschlüsse
vermittelt über die Hintergründe der Politik Ulrichs von
Manderscheid, dessen Anpruch auf das Trierer Erzbistum Cusanus
auf dem Basler Konzil zu verteidigen hatte. Der „Fall", der hier
mit einer erstaunlichen Fülle von Tatsachen äußerst sorgfältig ausgebreitet
wird, ist eben nicht nur einer der zu allen Zeiten immer
wiederkehrenden Machtkämpfe um ein geistlich-politisches Amt
im Gefüge des Heiligen Römischen Reiches. Dank der schon in dieser
frühen Zeit überlegenen Art von Cusanus wird dieser Streit,
wie mit Recht hervorgehoben wird, zu einem solchen, in dem die
rechtlichen, politischen und kirchlichen Fragen dieser spätmittelal-
terlichcn Epoche zur Darstellung kommen. Die Freude am Detail
ist dem Verfasser auf jeder Seite anzumerken. Gerade das häufige
liebevolle Eingehen auf kleinste Fakten, ohne sich darin zu verlieren
, ist das Erfreuliche an dieser Veröffentlichung.

Dresden Rudolf Grebs

Nikolaus von Kues: Die belehrte Unwissenheit. Buch
Lateinisch-deutsch, übers, und mit Vorwort und Anmerkungen hrsg-
v. P. Wilpert, Nachwort v. E. Eickhoff. Berlin: Akademie-
Verlag 1964 (Lizenzausg. des Felix Meiner Verlags, Hamburg) XL
144 S. 8° = Philosophische Studientexte. Lw. MDN 15.—.

Es ist zu begrüßen, daß der Akademie-Verlag Cusanus im
ersten Teil einer seiner Hauptschriften herausbringt. Aber erst
wenn der zweite und dritte Teil des Werkes vorliegen, wird mehr
als ein Hinweis zu sagen sein. An dieser Stelle sei die Frage
gestellt, ob die andern Orts erfolgte Wiedergabe „Von der wissenden
Unwissenheit" nicht hätte vorgezogen werden sollen, da
sie dem Denkvorgang bei Cusanus gemäßer ist.

Mag das Jahr 1964 als Fünfhundertjahrgedenken an den Tod
des Cusaners die Aufmerksamkeit breiter gebildeter Kreise besonders
auf ihn gelenkt haben, so darf andererseits dieser rein äußerliche
Anlaß keineswegs überbetont werden. Sein Denken findet
zunehmend Freunde, weil er uns etwas zu sagen hat. Eine so handliche
Taschenausgabe, wie sie der Akademie-Verlag im Rahmen
seiner Reihe „Philosophische Studientexte" herausbringt, erleichtert
ungemein den Zugang zu den Denkwegen dieses spätmittcl-
alterlichen Großen unserer Geistesgeschichte.