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Ausgabe:

1966

Spalte:

701-704

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Poscharsky, Peter

Titel/Untertitel:

Die Kanzel 1966

Rezensent:

Mai, Hartmut

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?01

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

702

ginnen müssen. H. denkt offenlichtlich von einer universalistischen
Christologie (Christus vor allem auch außerhalb der Kirche) und
von der Eschatologie (Christi Wiederkunft macht die Zukunft zur
vielleicht letztmöglichen Frist) aus. Freilich ist dann auch zu bedenken
, daß etwaige dogmatische Kritik die praktischen Konsequenzen
keineswegs von selbst erledigt.

Leipzig Johannes Hempel

Poscharsky, Peter: Die Kanzel. Erscheinungsform im Protestantismus
bis zum Ende des Barocks. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn [1963]. 315 S. mit 23 Abb., 32 Taf. gr. 8° =
Schriftenreihe für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart,
1. DM 48.-.

Mit dem Druck seiner Marburger Dissertation (vgl. die
Selbstanzeige in ThLZ 88, 1963 Sp. 627 f.) legt P. die erste grundlegende
, zugleich umfassendes Material sammelnde und verarbeitende
Veröffentlichung über die Kanzel im Protestantismus vor.
Im Blickfeld der Untersuchung liegt für das Luthertum Deutschland
, für das Reformiertentum darüber hinaus Frankreich, Holland
und die Schweiz, da der reformierte Kirchenbau in Deutschland
unter dem Einfluß der westlichen Nachbarländer steht. Die Vielzahl
der behandelten Denkmäler, die Auseinandersetzung mit
wichtigen Quellenschriften und sekundärer Literatur zeugen davon
, daß der Verfasser keine Mühe gescheut hat, sich seines
Gegenstandes zu bemächtigen.

Einem Vorwort des Direktors des Instituts für Kirchenbau
und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg/Lahn, Professor
Heinrich Laag, folgt die Einleitung (S. 9—14), die gleich zu Beginn
die Aufgabenstellung der Arbeit in zwei Fragen umreißt:

,,Besteht zwischen der Stellung der Kanzel im Kirchenraum
und der Predigt im Gottesdienst eine Korrelation?

Ist der Schmuck der Kanzel lediglich Dekoration oder sinnvolles
Programm? Bildet der Schmuck ein Programm, läßt sich
dann erkennen, nach welchen Prinzipien man die Auswahl der
Motive getroffen hat?" (S. 9). Das Ergebnis seiner Arbeit sieht
in der positiven Beantwortung dieser Fragen (S. 295). Maßgeblich
für die Untersuchung ist die Definition der Kanzel als der
-.Stätte im Kirchenraum, die primär der Predigt, der Verkündigung
des Wortes Gottes, dient" (S. 11). Da so verstandene Kan-
2eln aber erst im Zuge der Predigttätigkeit der Bettelorden aufkommen
, hält der Verfasser eine scharfe Abgrenzung gegen die
zuvor zur Wortverkündigung benutzten Ambonen und Lettner
™r gerechtfertigt.

Anders als der Titel vermuten läßt, wird im Hauptteil A
UDie Kanzel bis zur Reformation") die Kanzel von ihren bescheidenen
Anfängen bei den Bettelorden (A. I S. 15—21) bis zu
ibrer zunehmenden künstlerischen Entfaltung in den Kirchen verschiedener
Gattung im 15. Jahrhundert (A. III S. 26—5 5) vor
Augen geführt.

Freilich gewinnt dieser Teil Bedeutung für die Darstellung
"et nachreformatorischen Zeit, da nach Kenntnis des Vorhergegangenen
besser verstanden werden kann, in welchem Maße die
Reformation eine vorgegebene Tradition fortsetzt, zu ihr Neues
hinzugefügt oder mit ihr gebrochen bat.

In der Anlage der Arbeit dominieren die kunstgeschichtlichen
Stilbegriffe: A. III „Die Kanzel in der Gotik" (S. 26-55); C „Die
Kanzel in der Renaissance" (S. 72-213); D „Die Kanzel im
Barock" fS. 214-286). In den Unterabschnitten kehrt die in der
Einleitung aufgeworfene Doppelfrage wieder. Als einem Sonder-
j^oblem wird im Hauptteil B der „Kanzel in adaptierten Kirchen"
^ • 56—71) nachgegangen.

Gewöhnlich bringen erst die Überschriften der Unterteile
*|en theologischen Ansatz der Arbeit stärker zum Ausdruck, wo
"■e Verschiedenheiten, mit denen die Aufgabe des Kirchenbaus
und der Gestaltung der Kanzel in der reformierten und in der
utherischen Kirche gelöst wurde, jeweils scharf ins Auge gefaßt
Verden.

P Die Arbeit schließt unter E mit einer „Zusammenfassung der
Ergebnisse" (S. 287-295). Das dem Literaturverzeichnis (S. 297 f.)
r°lgende Personen- (S. 299-303) und Sachregister (S. 305-315)
Verhilft dazu, sich im Buche Auskunft zu Einzelfragen zu holen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung lassen sich
folgendermaßen zusammenfassen:

Bereits vor der Reformation bildete sich eine feste Stellung
der Kanzel meist in der Mitte des Schiffes auf der Epistelseite (S,
18 ff., 30), in kleineren Kirchen am Chorbogen (S. 31 f) heraus.
Die Kanzel findet zu voller künstlerischer Ausprägung mit einigen
ikonographischen Programmen (S. 3 5 ff). Die Errichtung von Kanzeln
steht im Zusammenhang mit der Stiftung von Prädikaturen
(S. 23 ff.). In den von der Reformation übernommenen Kirchen
wird das Gestühl um die Kanzel angeordnet. In den lutherischen
Kirchen blieb die überkommene Stellung von Kanzel und Altar
bestehen. Die Errichtung und Anordnung des Gestühls steht unter
soziologischem und ökonomischem Impuls (S. 64 ff., 89 ff.). In den
reformierten Kirchenneubauten ist die Kanzel Mittelpunkt der
Gesamtkonzeption (S. 72 ff.). Im Luthertum hingegen beschränkt
sich das Neue vorerst auf die Ikonographie (S. 112 ff.), die nach
1577 zu einem Normalprogramm führt (S. 165 ff.), das sich an
den Aussagen des 2. Artikels des Credo orientiert.

Prägend wirkte Lucas Cranachs d. Ä. Gemälde „Altes und
Neues Testament" (S. 15 3 ff.). Erst in der Barockzeit nahm das
Luthertum das Problem der Kanzelstellung in Angriff und löste es
in der Vereinigung von Kanzel und Altar im Kanzelaltar. Dieser
gegenwärtig angefochtenen Erscheinung widmet P. große Aufmerksamkeit
(S. 214—250) und weist nach, daß die Angriffe auf
sie historisch und theologisch nicht gerechtfertigt sind (S. 240—
250). Die seitliche Kanzelstellung findet sich noch in Räumen,
deren Konzeption älteren Traditionen folgt (S. 250—80).

Ohne das Verdienst der vorliegenden Untersuchung schmälern
zu wollen, machen sich doch einige kritische Anmerkungen
notwendig. Die der Arbeit zugrunde liegende Doppelfrage ist insofern
zu äußerlich gestellt, als ihre positive Beantwortung zumindest
für Fachleute von vornherein auf der Hand liegt. Die
eigentlichen Fragen, um die es P. letztlich auch geht, lauten: In
welchem Umfang und auf welche Weise kommt in der Anordnung
der Kanzel die gottesdienstliche Stellung der Predigt zum Ausdruck
? Und worin besteht der Sinn der ikonographischen Programme
? Die auf S. 9 f. zitierten Quellen, die anscheinend die
Ausgangsposition des Verfassers rechtfertigen, sind einseitig ausgewählt
; denn es gab zur Zeit der lutherischen Orthodoxie konkrete
Erörterungen über Kirchenraum und Ikonographie. Ein wertvolles
Zeugnis ikonographischen Denkens teilt P. ja selbst
S. 193 ff. mit. Nicht nur die Lösung Zwingiis im Großmünster zu
Zürich dürfte Anlaß sein, die Distanz zwischen den Lettnerkanzeln
und den Predigtstühlen nicht zu stark zu betonen, was
übrigens auch P. nicht in jedem Falle tut (vgl. S. 101).

Zumindest ist die Herleitung der Kanzel aus altchristlicher,
wenn nicht gar alttestamentlicher Zeit, die wir in den Schriften aus
der Zeit der lutherischen Orthodoxie finden, für die Ikonologie
des 16. bis 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung gewesen.

Ungeachtet dessen, daß sich für die Kanzelstellung in vor-
reformatorischer Zeit Regeln herausgebildet haben, hat sie sich
doch als relativ variabel erwiesen, wie zahlreiche Verlegungen
von Kanzeln in nachreformatorischer Zeit veranschaulichen (vgl.
Reimers: Die protestantischen Kanzeln im Königreich Sachsen.
In: Kunst und Kirche 3, 1926 S. 2).

Schließlich scheint mir die Einordnung des Kanzelaltars in die
Geschichte des protestantischen Kirchenbaus, wie sie P. vornimmt,
nicht ganz zuzutreffen. Ausgehend von einer sehr eingeengten
Definition, nach der nur dann von einem Kanzelaltar geredet werden
kann, wenn „die Kanzel in ein Retabel eingefügt ist", kommt
er zu dem Ergebnis, daß der Kanzelaltar im Unterschied zu allen
anderen vorangehenden und zeitlich parallelen Anordnungen der
Kanzel über dem Altartisch eine „typisch barocke und lutherische
Lösung" ist (S. 214). Diese Begriffsbestimmung vermag P. bereits
in seiner Typologie (S. 216 ff.) nicht durchzuhalten. Gerade in der
Anordnung der Kanzel über dem Tisch des Herrn haben sich die
Lutheraner nachweislich im 18. Jhd. mit den Reformierten einig
gewußt. P. kommt zu der Ansicht, daß zwischen den nach seiner
Meinung um 1680 aufkommenden Kanzelaltären und den frühen
Lösungen axialer Kanzelstellung, wie sie die Schloßkapelle in
Schmalkalden (1590) und Furttenbachs Entwurf (1649) bieten,
kein Zusammenhang bestehe (S. 96 f.), infolge fehlender Kenntnis