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Ausgabe:

1966

Spalte:

700-701

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hoekendijk, Johannes Christiaan

Titel/Untertitel:

Die Zukunft der Kirche und die Kirche der Zukunft 1966

Rezensent:

Hempel, Johannes

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699

Theologische Literaturzeitung 91. Jahrgang 1966 Nr. 9

700

tion: „Sind Adam und Eva nicht wirkliche, sondern nur symbolische
Gestalten, dann ist auch die Geschichte vom Sündenfall und
von der ersten Messiasverheißung (gemeint ist wohl Gen. 3,15)
nicht wahr; dann wird überhaupt die Erlösung durch Jesus
Christus mehr als fragwürdig" (S. 121). Also ist die Erlösung
durch Christus nur glaubwürdig, wenn man akzeptiert, daß Eva
aus Adams Rippe geschaffen wurde!? Auf der gleichen Seite wird
ungenannten Leuten das Wort unterstellt: „Es macht gar nichts,
wenn man den Schöpfungsbericht der Bibel fallen läßt, so lange
man Gott als den Schöpfer anerkennt. Vor allen Dingen berührt
ja die Lehre von der Schöpfung nicht das Zentrum, die Erlösung
durch Jesus Christus". Der Prediger erledigt diese Ansicht mit
dem Satz: „Nun, um ein Rad zu zerstören, braucht man nicht
unbedingt das Zentrum, die Nabe zu beschädigen, man kann
auch die Felge kaputtmachen". Vor wem warnt W. hier die Gemeinde
? Wer läßt den Schöpfungsbericht fallen und anerkennt
dabei Gott als den Schöpfer? Nach W.s Meinung wohl, wer
zwischen zeitbedingten Vorstellungen und Kerygma unterscheidet.
Muß also die Gemeinde, um Gott als Schöpfer anerkennen zu
können und die Erlösung nicht „mehr als fragwürdig" zu machen,
akzeptieren, daß die Welt in 6 Tagen und der Mensch aus Lehm
geschaffen wurde? Diese Fragen wirken anachronistisch. Der
Predigtband zeigt, daß solche Anachronismen noch blühen. Leider
sind sie kein Proprium der Freikirchen.

Natürlich spielt auch der Weissagungsbeweis eine Rolle:
„Geht nicht alles, was von dem Sohn Gottes geweissagt ist über
Art, Zeit und Ort seiner Menschwerdung, über sein Werk, sein
Leiden, Sterben und Auferstehen — geht dies nicht alles auf w i e
eine mathematische Gleichung?" (S. 123, Hervorhebung
vom Rez., vgl. S. 204 u. S.60). Wenn aber die mathematische
Gleichung nicht immer aufgeht? Ist dann die Göttlichkeit
der Bibel verloren, kann man sich dann nicht mehr felsenfest
auf sie verlassen?

Das verhängnisvolle Axiom, entweder sei die ganze Bibel
„wörtlich" zu verstehen, oder alles werde fragwürdig, wendet W.
auch auf das umstrittene „ist" von 1. Kor. 11, 24 f. an: „Wenn
er das gar nicht wörtlich gemeint hat, dann hat er es vielleicht
auch gar nicht wörtlich gemeint, als er sagte: .Also hat Gott die
Welt geliebt'?" (S. 199). Wie kann man aus der Interpretation
eines Hilfsverbs, das Jesus im Aramäischen gar nicht gesprochen
hat, solche Konsequenzen ableiten?!

Daß mit Hilfe typologischer und allegorischer Exegese, die
lebhaft an altkirchliche und mittelalterliche Vorbilder erinnert,
immer wieder im Alten Testament Weissagungen auf Christus
und die Kirche gesehen werden, sei nur am Rande erwähnt
(S. 18 ff., 23, 27, 33, 60 u. ö.).

Mit der Hermeneutik des Autors hängt eine Neigung zur Ausmalung
zusammen, die der Phantasie des Auslegers mitunter die Zügel
schießen läßt. Da der Wein auf der Hochzeit zu Kana so schnell verbraucht
war, schließt er, das Hochzeitspaar sei arm gewesen. „Wahrscheinlich
hat der Herr ihnen soviel Wein geschenkt, daß sie einen
Teil verkaufen könnten, um von drückenden Geldsorgen freizu-
werden" (S. 106). Warum luden sie dann so viele Gäste ein? Als die
Einladungen ausgeschickt wurden, war Jesus noch nicht in Galiläa.
Nachdem die Brautleute von seinem Wirken gehört hatten, luden sie
diese nachträglich ein. Da unter ihnen Fischer waren, „die gewiß einen
guten Zug zu tun gewöhnt waren", konnten arme Leute schon in Verlegenheit
geraten (S. 109). Solche kuriosen Reflexionen führen vom
Skopus ab.

Eine Fülle kritischer Fragen wäre von der Exegese her an das
Buch zu richten. Damit sollen die eingangs erwähnten positiven
Seiten des Predigtbandes nicht verdeckt werden. Außer den formalen
Vorzügen läßt ein reicher Gehalt an seelsorgerlicher Weisheit
hoffen, daß die Predigten trotz allem eine gute Wirkung
entfalten werden. Ein großer Teil der Predigten kann für Lesegottesdienste
empfohlen werden. Die kritischen Bemerkungen
wollen vor allem zeigen, wie wenig das hermeneutische Problem
in manchen kirchlichen (hier freikirchlichen) Kreisen bewältigt
wird. Wer soll uns abnehmen, daß Glauben und Wissenschaft einander
nicht ausschließen, wenn in gedruckten Predigten aus dem
Jahre 1964 der Gemeinde verboten wird, Adam und Eva „symbolisch
" zu verstehen?

Rostock . Eberhard Winkler

Hoekcndijk, Johannes Christiaan: Die Zukunft der Kirche und
die Kirche der Zukunft. Übers, v. R. Heeger. Stuttgart-Berlin:
Kreuz-Verlag [1964]. 218 S. 8°. Lw. DM 12.80.

Der Utrechter Theologe legt hier zehn in brillantem Vortragsstil
abgefaßte Studien vor, die sich u. a. mit Fragen des
christlichen Apostolates, der Abendmahlsfeier, evangelistischer
und überhaupt missionarischer Aktionen der christlichen Gemeinde
, der Rassentrennung beschäftigen. Das gemeinsame Anliegen
aller Einzelstudien ist dabei zweifellos, die gegenwärtige
Kirche Christi für die Zukunft tüchtig zu machen.

Wie ist dieses Buch zu charakterisieren? — Es fällt an H's
Darlegungen, trotz gelegentlicher Neigung zu Schlagworten, eine
außergewöhnlich scharfsichtige Diagnose der Lebensproblematik
vieler Menschen unserer Zeit auf. H. spricht vom „vierten Menschen
" (S. 138) und charakterisiert ihn als „rebellischen Konformisten
", unfähig zu echter Revolution, ohnmächtig im Blick auf
schöpferische geistige Positionen, symbolisiert durch den antiken
Sisyphus-Mythus als ein „Held der Absurdität, der sich maulend
abrackert" (S. 140). Dieser Mensch formt die „postmoderne Ge-
sellchaft" (S. 14). Sie wird eine „offene Gesellschaft" (S. 132) sein,
d. h. ohne gesellschaftlich oder geographisch bedingte Gruppierungen
; sie wird des weiteren „ökonomisch" (S. 132) sein, d. h.
in ihrem Denken und Handeln auf materielle Nutzbarkeit ausgerichtet
; sie wird „kollektivistisch" (S. 132) sein, d. h. vorwiegend
in Gruppen existieren und arbeiten; und sie wird
„säkular" (S. 132) sein, d. h. perfekt unchristlich (S. 141): „Man
hat einfach nichts mehr damit zu tun" (S. 144).

H. fordert, diese Situation rechtzeitig anzunehmen; nicht um
zu retten, was zu retten ist, sondern um des (einzigen) Auftrages
willen, den die Kirche hat, nämlich „das Evangelium bis an die
Enden der Erde zu tragen" (S. 86). Das kann die Kirche aber nur
in der Annahme der von der Welt aus gegebenen Situation-
„Reich" (Gottes) „und Welt sind Korrelate" (S. 119), d. h. vom
Blickpunkt des Heilshandelns Gottes aus eine unauflösliche
Einheit.

Das Annehmen der Zukunft hat Konsequenzen. Eine wichtige
Konsequenz besteht für die Kirche in der Überwindung der
eigenen Vergangenheit. Der Verf. spricht in diesem Zusammenhang
mehrfach vom unerläßlichen Abschied von der Idee des
Corpus christianum, überhaupt vom Christentum als Kulturfaktor
, von der Entzauberung des christlichen Europa und vom
Bekenntnis zur weltweiten Diasporasituation der Kirche. H's
tiefes Mißtrauen gegen die verfaßten Kirchen und ihre Traditionen
ist offenkundig. — In positiver Hinsicht fordert der Verf.
vor allem, daß die christlichen Kirchen ihre Arbeit auf die Ertüchtigung
der Gemeinden zu missionarischer Aktion für die Welt
konzentrieren. .Missionarische Aktion' heißt keineswegs Ver-
kirchlichung der Welt. Ihr Ziel muß vielmehr sein, die „Zeichen
des Schalom" (S. 35) in der Welt, wie sie ist, aufzurichten und dadurch
die Hoffnung in ihr zu vermehren. Das muß geschehen durch
Verkündigung an, durch Mitleben mit und durch Dienst in der
konkreten Umwelt, wie sie sich vorfindet (durch „Kerygma,
Koinonia und Diakonia", S. 101). — Voraussetzung dafür ist die
Strukturänderung der Kirche. Es muß z. B. der „Laienapostolat
neu begründet werden. Der Laie hat das volle, ja das eigentliche
Apostelamt. Der Pfarrer ist „Diener des Laien, . . . Souffleur
(S. 34), und er darf den Laien auf keinen Fall verkirchlichen
wollen (S. 36). — Es muß des weiteren die interkonfessionelle
Hausgemeinde neu gefördert werden. Die Parochialgemeindc ist
historisch bedingt und nicht das allein Mögliche. Neben ihr muß
sich die „kategoriale Missionsgemeinde" als „völlig normale
Kirchenvariante" (S. 44) durchsetzen. — Analog dazu muß die
Feier des Abendmahles mit interkonfessioneller, ja .heidenoffener
' Kommunion gehalten werden. Die Abendmahlsgemeinschaft
steht am Anfang der Kirchengemeinschaft. — Schließlich
wird sich die Kirche der Zukunft um in sozialer und gesellschaftlicher
Hinsicht betont schlichten Lebensstil bemühen müssen. Sie
wird sich stärker den Armen in der Welt zuwenden, ja selbst
arme Kirche sein müssen; die Armen sind das Sakrament der
Gegenwart Christi (S. 163).

H's Buch ist geeignet, ungestümes Nachdenken auszulösen-
Dabei wird man bei den theologischen Positionen des Verf's be-